Disruptives Verhalten und Störung des Sozialverhaltens

Überblick

Definition

Die disruptive und soziale Verhaltensstörung ist eine Verhaltensstörung, welche sich häufig, aber nicht ausschließlich bei Kindern manifestiert und länger als 6 Monate besteht. Charakteristische Merkmale sind:

• Oppositionelles, provokatives oder disruptives Verhalten
• Nicht Einhalten von sozialen Normen, Regeln und Gesetzen

Epidemiologie

• Lebenszeitprävalenz: etwa 2 – 5 % der Kinder und Jugendlichen
• Höhere Prävalenz bei Jungen als bei Mädchen (3:1)
• Hohe Komorbidität mit ADHS ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) (50 % der Betroffenen mit ADHS ADHS Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS))

Ätiologie

• Nicht ausreichend geklärt
• Sowohl biologische als auch psychosoziale Faktoren können zur Entstehung der Störung beitragen.
• Strukturelle Gehirnveränderungen:
  • Geringere Aktivität der Amygdala → Die Amygdala spielt eine Rolle bei der Interpretation und dem Ausdruck von Emotionen.
  • Erhöhte Aktivität des Gyrus frontalis medialis und des anterioren Gyrus cinguli → Diese spielen eine Rolle bei der Bewertung und Verarbeitung negativer Gefühle.

Diagnostik

Klinische Diagnosekriterien nach ICD-11:

• Disruptives (trotzig, oppositionell, provokativ, boshaft) und dissoziales (Gewalt gegen Grundrechte Anderer oder Überschreiten sozialer Normen, Regeln und Gesetze) Verhalten, welches in mehreren Settings auftritt
• Erfüllt nicht die Kriterien für die oppostionelle oder dissoziale Verhaltenssttörung
• Bestehend für mindestens 6 Monate
• Symptome und Verhalten sind nicht dem Entwicklungsstand entsprechend und kulturell sanktioniert.
• Symptome können nicht durch eine andere neurologische Entwicklungsstörung erklärt werden oder sind durch Substanzkonsum/-entzug zu erklären.
• Beeinträchtigung des persönlichen/sozialen/schulischen/familiären Umfelds oder anderen wichtigen Lebensbereichen

Therapie

Psychosoziale Therapie

Essentieller Bestandteil ist die psychosoziale Therapie.

• Die kognitive Verhaltenstherapie Kognitive Verhaltenstherapie Psychotherapie (KVT) findet häufig Anwendung, um Betroffenen Fähigkeiten zur Bewältigung und zum Umgang mit Ärger zu vermitteln.
• Schulung der Eltern/Elternedukation:
  • Soll den Eltern helfen, mit dem Kind zu interagieren und Ausbrüche durch Vermeidung spezifischer Auslösern zu reduzieren
  • Vor allem für Eltern jüngerer Patient*innen geeignet

Medikamentöse Therapie

• Da die Diagnose relativ neu ist, gibt es noch kein Medikament der ersten Wahl.
• Die Pharmakotherapie erfolgt gegenwärtig als Off-Label-Verordnung.
• Eine medikamentöse Therapie wird empfohlen, wenn die Störung mit anderen Krankheiten oder Symptomen assoziiert ist.

Differentialdiagnosen

• Bipolare Störung Bipolare Störung Bipolare Störung: eine psychiatrische Erkrankung, die durch abwechselnde manische Phasen (z. B. mit Zerstreuung, Impulsivität, Aktivitätssteigerung, vermindertem Schlafbedürfnis, Redseligkeit, Überschwang, Ideenflucht) und depressiven Episoden gekennzeichnet ist. Einige Expert*innen vertreten die Theorie, dass die chronischen Stimmungsstörungen und die Reizbarkeit bei der disruptiven und sozialen Verhaltensstörung ein frühes Anzeichen für eine bipolare Störung Bipolare Störung Bipolare Störung sein könnten. Sie unterscheidet sich allerdings von der bipolaren Störung, da Reizbarkeit im Gegensatz zur bipolaren Störung bei ihr permanent und nicht in Schüben auftritt.
• Oppositionelle Verhaltensstörung Oppositionelle Verhaltensstörung Oppositionelle Verhaltensstörung/Oppositionelles Trotzverhalten: ein sich wiederholendes und andauerndes Muster von wütender und reizbarer Stimmung, argumentativem und defensivem Verhalten oder Rachsucht über mindestens 6 Monate. Betroffene weisen Symptome von Trotz und Ärger auf, die bei der disruptiven und sozialen Verhaltensstörung nicht vorhanden sind. Während die Diagnose der disruptiven und sozialen Verhaltensstörung auf Reizbarkeit und Wutausbrüchen basiert, die in verschiedenen Situationen auftreten, ist dies keine Voraussetzung für die Diagnose der oppositionellen Verhaltensstörung.
• Intermittierend explosible Störung: zeichnet sich aus durch wiederholende kurze Episoden verbaler und physischer Aggression oder Zerstörung von Eigentum. Diese Episoden können nicht kontrolliert werden und sind unverhältnismäßig bezüglich des auslösenden Ereignisses. Im Gegensatz zur disruptiven und sozialen Verhaltensstörung halten die Symptome nur kurzzeitig an und sind wiederkehrend.
• Störung des Sozialverhaltens: eine psychische Störung, die klassisch bei Kindern auftritt. Typisch ist ein sich wiederholendes Muster dissozialen Verhaltens, bei dem die grundlegenden Rechte anderer oder gesellschaftliche Normen nicht beachtet werden. Das anhaltende Verhaltensmuster muss über mindestens 6 Monate bestehen. Beispiele für solche Verhaltensweisen sind Verletzung, Zerstörung, Diebstahl, Lügen und schwerwiegende Missachtung von Regeln. Verglichen mit der Störung des Sozialverhaltens beinhaltet die disruptive und soziale Verhaltensstörung zusätzliche Symptome von oppositionellem und trotzigem Verhalten.