Einwilligungsfähigkeit

Die Einwilligungsfähigkeit bezieht sich auf die Fähigkeit einer Person, eine informierte Entscheidung bezüglich medizinischer Behandlungen und Eingriffe zu treffen. Eine Person ist einwilligungsfähig, wenn sie in der Lage ist, die Informationen, die ihr vom medizinischen Personal zur Verfügung gestellt werden, zu verstehen und zu verarbeiten, um eine informierte Entscheidung zu treffen. Erwachsene Patient*innen müssen als einwilligungsfähig angesehen werden bis es Hinweise gibt, die dies infrage stellen. Jede medizinische Maßnahme gilt in Deutschland als Körperverletzung und bedarf daher einer Rechtfertigung, die hinreichend ist, um keine Sanktionen des Tatbestands Körperverletzung zu erwarten. Die Einwilligung von Patient*innen bildet für die Rechtfertigung die notwendige Voraussetzung. Die Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Einwilligung ergibt sich aus der ärztlichen Aufklärung und der Einwilligungsfähigkeit. Sie wird in Deutschland im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im Patientenrechtegesetz (PatRG) geregelt.

Aktualisiert: 29.06.2023

Redaktionelle Verantwortung: Stanley Oiseth, Lindsay Jones, Evelin Maza

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Rechtliche Rahmenbedingungen

Jede medizinische Maßnahme stellt im deutschen Recht tatbestandlich eine Körperverletzung im Sinne der §§ 223 ff. StGB; 823 I BGB dar.

  • Dazu gehören auch: Medikamentenverordnungen und -gaben, therapeutische Maßnahmen, Durchführungen von Operationen, diagnostische Verfahren, Blutentnahmen und Blutspenden
  • Zur Erfüllung des Tatbestands ist es unerheblich, ob der Eingriff ärztlich indiziert und lege artis mit ärztlichem Heilwillen durchgeführt wurde.
  • Ärztliche Eingriffe können strafrechtlich sanktioniert werden.
  • Bestrafung erfolgt nur bei rechtswidrigen und schuldhaft begangenen Körperverletzungen: Rechtfertigungsgrund ist erforderlich zur Legitimation.
  • Rechtfertigungsgrund kann durch Einwilligung durch Patient*innen entstehen.

Behandlungsvertrag bildet die gesetzliche Grundlage für einen ärztlichen Heileingriff.

  • Festgelegt in §§ 630 a ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  • Vorschriften zur Aufklärung, Einwilligung und zu weiteren Informationspflichten des Behandelnden (§§ 630 c, 630 d und 630 e BGB)

Einwilligungsfähigkeit

Die Einwilligung von Patient*innen in ärztliche Maßnahmen bildet die notwendige Voraussetzung für die Durchführung der Maßnahme. Die Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Einwilligung ergibt sich aus ärztlicher Aufklärung und Einwilligungsfähigkeit.

  • Einwilligung als Grundlage für die Rechtfertigung für einen ärztlichen Heileingriff
  • Einwilligung als Ausdruck des verfassungsmäßigen Rechts von Patient*innen auf Selbstbestimmung und des Rechts auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit
  • Einwilligungsfähigkeit:
    • Jede*r erwachsene Patient*in gilt grundsätzlich als einwilligungsfähig soweit nicht festgestellt wird, dass seine*ihre Einwilligungsfähigkeit im konkreten Fall ausgeschlossen ist.
    • Für medizinische Behandlung nicht exakt rechtlich definiert
    • Ausprägung der rechtlichen Handlungsfähigkeit
    • Bezeichnet das für die Rechtswirksamkeit der Einwilligung erforderliche Mindestniveau der Entscheidungsfähigkeit
    • Patient*innen müssen in der Lage sein, Wesen und Tragweite eines ärztlichen Heileingriffs zu verstehen und ihren Willen danach ausrichten zu können.
    • Stets Einzelfallprüfung notwendig
    • Nicht durch Betreuungsgerichte beschränkbar (Unterschied zu Entscheidungskompetenz)
    • Aufklärung und Entscheidungsfähigkeit eng verknüpft (Entscheidungsfähigkeit von Patient*innen fördern), Aufklärung kann als Grundlage zur Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit dienen

Regelungen

  • Behandelnde sind verpflichtet, vor medizinischen Maßnahmen die Einwilligung von Patient*innen nach Aufklärung („informed consent“ (aufgeklärte Zustimmung)) einzuholen.
  • Behandlungssituation, die durch eine Patient*innenverfügung abgedeckt ist:
    • Patient*innenverfügung ist dadurch Einwilligung
    • In Paragraph (§) 1901a des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelt
    • Patient*innenverfügung nur dann bindend, wenn die in der Verfügung festgelegten Wünsche und Vorstellungen der zu Behandelnden der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation entsprechen (§ 1901a Absatz 1 Satz 1 BGB)

Mutmaßlicher Wille

  • In besonderen medizinischen Situationen, in denen unaufschiebbare Maßnahmen erforderlich sind und die Einwilligung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann
  • Wenn Maßnahme dem mutmaßlichen Willen von Patient*innen entspricht, darf diese durchgeführt werden.
  • Wille soll im Vorfeld der Maßnahme ermittelt werden (z. B. durch Gespräche mit Angehörigen).
  • Kann auch aus Patient*innenverfügung vermutete werden (dann mutmaßlicher Wille).

Beurteilung der Einwilligungsunfähigkeit

  • Einwilligungsfähigkeit ist bei erwachsenen Patient*innen gegeben
  • Bei Vorliegen für konkrete Anhaltspunkte einer Einwilligungsunfähigkeit darf und muss diese geprüft werden.
  • Psychische Störungen (z. B. Delir Delir Delir (Delirium), Demenz Demenz Demenz: Schwerwiegende neurokognitive Störungen, Psychose, Manie, Depression) oder kognitive Beeinträchtigungen:
    • Alleine kein Grund für Einwilligungsunfähigkeit
    • Weitere Umstände müssen vorliegen, die die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit von Patient*innen einschränken.
  • Patient*innen haben recht auf „unvernünftige“ Entscheidungen: Entscheidung muss nicht ärztlicher Empfehlung entsprechen.
  • Rechtliche Betreuer*innen führen für sich genommen nicht zum Verlust der Einwilligungsfähigkeit:
    • Einwilligungsunfähigkeit muss im einzelnen Fall festgestellt werden
    • Gilt auch bei bevollmächtigten Personen
  • Die Einwilligungsfähigkeit fehlt Patient*innen erst dann, wenn die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit im jeweiligen Einzelfall hinsichtlich der konkreten Behandlungsmaßnahme ausgeschlossen ist. Empfehlungen der Bundesärztekammer:
    • Mögliche Hinweise auf eine eingeschränkte Einsichtsfähigkeit: Behandler*innen haben den Eindruck, dass Patient*innen nicht in der Lage sind:
      • Informationen zu verstehen
      • Folgen für Lebensführung und Lebensqualität bewusst zu machen
      • Angemessene Einsicht der Natur der Erkrankung zu haben
      • Verständnis über die Schwere der Erkrankung und/oder die Notwendigkeit einer Behandlung zu erkennen
    • Mögliche Hinweise auf eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit: Behandler*innen haben den Eindruck, dass Patient*innen nicht in der Lage sind:
      • Für und Wider der Maßnahme abzuwägen
      • Bezug zu persönlichen Werthaltungen und Überzeugungen herzustellen
      • Eine der Situation angemessene affektive Beteiligung am Entscheidungsprozess zu zeigen
      • Eine Entscheidung zu treffen und dies zu kommunizieren
      • Getroffene Entscheidung gegenüber widersprechenden Meinungen zu behaupten
      • Impulse, Zwänge oder Ängste, die sie daran hindern, die getroffene Entscheidung umzusetzen, zum Ausdruck zu bringen und zu kontrollieren
  • Folgen bei Zweifel an der Einwilligungsfähigkeit:
    • Führt dazu, dass Zustimmung durch Patient*innen zu Maßnahmen keine wirksame Einwilligung darstellen
    • Bei wahrscheinlich fluktuierenden Zustand, der zu Einwilligungsunfähigkeit führt: nach Möglichkeit warten und zu einem späteren Zeitpunkt erneute Beurteilung
    • Einbeziehung der Angehörigen und die Möglichkeiten einer Entscheidungsassistenz
    • Bei Vorhandensein von Vertreter*innen, müssen diese kontaktiert werden (z. B. rechtliche Betreuer*innen, bevollmächtigte Personen)
    • Weitere Abklärung: Teamgespräch, psychiatrisches Konsil, Ethik-Beratung
    • Information ans Betreuungsgericht

Einwilligungsfähigkeit bei Minderjährigen

  • Volljährigkeit ist spätester Zeitpunkt der Erlangung der Einwilligungsfähigkeit.
  • Minderjährige können bereits Einwilligungsfähig sein.
  • Es existiert keine Altersgrenze.
  • Abhängig von tatsächlichen Umständen des Einzelfalls und von der individuellen Reife
  • Es gilt das Selbstbestimmungsrecht.
  • Notwendige Urteils- und Einsichtsfähigkeit muss gegeben sein und im Einzelfall beurteilt werden.

Quellen

  1. Parzeller, M., Wenk, M., Zedler, B., Rothschild, M. (2009). Aufklärung und Einwilligung des Patienten: Nach Maßgaben aktueller höchstrichterlicher und oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung. In: cme Kompakt 2009 (2). https://www.aerzteblatt.de/archiv/64642/Aufklaerung-und-Einwilligung-des-Patienten-Nach-Massgaben-aktueller-hoechstrichterlicher-und-oberlandesgerichtlicher-Rechtsprechung (Zugriff am 13.03.2023).
  2. Pramann, O. (2017). Einwilligung des Patienten: Rechtliche Details, die Ärzte kennen sollten. In: Deutsches Ärzteblatt 2017. 114 (38). https://www.aerzteblatt.de/archiv/193487/Einwilligung-des-Patienten-Rechtliche-Details-die-Aerzte-kennen-sollten (Zugriff am 13.03.2023).
  3. Bundesärztekammer. (2019). Hinweise und Empfehlungen der Bundesärztekammer zum Umgang mit Zweifeln an der Einwilligungsfähigkeit bei erwachsenen Patienten. In: Deutsches Ärzteblatt 2019. 116 (22). https://www.aerzteblatt.de/archiv/208054/Hinweise-und-Empfehlungen-der-Bundesaerztekammer-zum-Umgang-mit-Zweifeln-an-der-Einwilligungsfaehigkeit-bei-erwachsenen-Patienten (Zugriff am 13.03.2023).
  4. Valerius, B. (2018). Die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger. In: RdjB Recht der Jugend und des Bildungswesens. 66 (3). https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/0034-1312-2018-3/rdjb-recht-der-jugend-und-des-bildungswesens-jahrgang-66-2018-heft-3?page=1 (Zugriff am 13.03.2023).
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