Die Prozesse der Gesundheitserhaltung, Gesundheitsförderung und Prävention beruhen auf dem Prinzip der Salutogenese. Sie beschäftigen sich also nicht wie sonst sehr häufig in der Medizin mit der Pathogenese und Behandlung von Krankheit, sondern mit der Entstehung und Erhaltung von Gesundheit. Die Förderung der Gesundheit ist Aufgabe jedes Einzelnen, des Umfelds, der Ärzt*innen und auch staatlicher Institutionen. Ziel ist es, Risikofaktoren für Erkrankungen zu kennen und zu erkennen sowie Verhaltensänderungen vorzunehmen, die der Gesundheitserhaltung dienen und Krankheit vermeiden.
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Lernleitfaden
Medizin ➜
Der Begriff Salutogenese (salus: Gesundheit, genesis: Entstehung) wurde in den 1980er Jahren vom Medizinsoziologen Aaron Antonovsky als Komplementärbegriff zur Pathogenese (pathos: Schmerzen, Leid) wesentlich geprägt. Antonovsky verglich die Anpassungsfähigkeit verschiedener ethnischer Gruppen von Frauen* an die Menopause Menopause Menopause und stellte fest, dass KZ-Überlebende ebenfalls zum Großteil als „gesund“ eingestuft werden konnten, trotz der unmenschlichsten Qualen, die diese durchlitten hatten.
Sein Fokus lag auf der Frage, warum manche Menschen trotz ungünstiger persönlicher Faktoren und Umweltfaktoren gesund bleiben. Gesundheit ist also nicht nur die Reduzierung von Krankheit, sondern muss aktiv gefördert werden.
Gesundheit ist kein Zustand, sondern ein Prozess.
Das Konzept der Salutogenese betont zwei Hauptpfeiler zur Erhaltung von Gesundheit:
Der Begriff Resilienz bezeichnet psychische und physische Faktoren, die das Individuum unbeeinträchtigter durch Lebenskrisen und Krankheitsereignisse tragen. Hohe Resilienz zeichnet sich durch Akzeptanz, Lösungswegsuche und Glaube an Verbesserung aus statt durch Selbstmitleid und Aufgabe. Hohe internale Kontrollüberzeugung („ICH kann etwas ändern.“) und entsprechende Attribuierungsstile sind Kennzeichen einer hohen Resilienz.
Der Begriff Prävention leitet sich aus dem Lateinischen praevenire (zuvorkommen, vorbeugen) ab. Die Definition der Prävention des Bundesgesundheitsministeriums lautet:
„Der Begriff der Prävention ist ein Oberbegriff für zeitlich unterschiedliche Interventionen zur gesundheitlichen Vorsorge. Mit der primären Prävention soll die Entstehung von Krankheiten verhindert werden. Die sekundäre Prävention oder Früherkennung will Krankheiten frühzeitig erkennen, damit eine möglichst frühzeitige Therapie eingeleitet werden kann. Mit der tertiären Prävention sollen Krankheitsfolgen gemildert, ein Rückfall bei schon entstandenen Krankheiten vermieden und ihre Verschlimmerung verhindert werden.“
Primärprävention möchte Krankheit bereits vor dem Auftreten verhindern und spricht sowohl Risikogruppen als auch Gesunde an. Wichtige Beispiele für Primärprävention sind:
Sekundärprävention beschreibt bestimmte Maßnahmen, die eine Früherkennung von Krankheiten ermöglichen. Krankheiten, für die Risikofaktoren bekannt sind, können mit spezifischen Vorsorgeuntersuchungen und Screenings untersucht und so vorher oder im Initialstadium abgefangen werden. Wichtige Beispiele für Sekundärprävention sind:
Tertiärprävention wird angewendet, wenn Krankheit sich bereits manifestiert hat. Die Zielgruppe sind meist Patient*innen mit chronischen Erkrankungen. Die Tertiärprävention soll Folgeschäden minimieren oder verhindern und Rückfällen vorbeugen. Es gibt eine unscharfe Trennung der Begriffe Tertiärprävention und Rehabilitation. Rehabilitation ist in erster Linie zuständig für eine Wiedereingliederung in das berufliche und soziale Leben. Wichtige Beispiele für die Tertiärprävention sind:
Die Kernaussage des Präventionsparadoxons: Eine präventive Maßnahme, die für die Gesellschaft einen hohen Nutzen bringt, bringt dem Individuum oft nur wenig – und umgekehrt. Beispiele dafür sind Impfungen, Pflegehygiene in Kliniken und invasive Vorsorgescreenings.
Der Gesundheitswert in der westlichen Gesellschaft steigt stetig, oft wird bereits von einer neuen „Gesundheitsreligion“ gesprochen. Die positive Wertschätzung von Gesundheit und damit verbundenem Lebensstil ist eine wichtige Voraussetzung für die Partizipation an primärer Prävention.
Neben individuellen Faktoren beeinflussen Umweltfaktoren das Gesundheitsverhalten: Soziales Umfeld wie Freund*innen, Familie und Arbeitskolleg*innen können meinungsbildend wirken. Das gesundheitsbezogene Verhalten ist auch stark von der gesellschaftlichen Schicht abhängig, z. B. ist vegetarische/vegane Ernährung in höheren Schichten eher akzeptiert.
Im Mittelpunkt des Health-Belief-Modells stehen die gesundheitsbezogenen Überzeugungen der einzelnen Personen. Personen verhalten sich eher präventiv, wenn Krankheit, Maßnahmen und die Situation wie folgt eingeschätzt werden:
Merke: Frauen* und Angehörige höherer sozialer Schichten sind öfter präventiv tätig.
„Ich finde vegetarische Ernährung gut.“ Diese Einstellung gegenüber einer Handlung kann in die Ausführung gemäß der Einstellung münden (pflanzlich ernähren), muss aber nicht (trotzdem Fleisch essen). Dieser Zusammenhang zwischen den Einflussgrößen Einstellung, subjektiver Norm und Verhaltenskontrolle, der Intentionsbildung und Verhalten bildet, wird im Modell des geplanten Verhaltens zusammengefasst:
Die Neigung sich selbst und die Mitmenschen miteinander zu vergleichen, ist bei jedem Menschen in mehr oder wenig starker Ausprägung vorhanden. Dieses Vergleichen steht im Fokus des Modells der sozialen Vergleichsprozesse. Zwei Beispiele zeigen die positiven oder negativen Auswirkungen von Vergleichsprozessen in Bezug auf individuelles gesundheitliches Verhalten:
Im Optimalfall besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen Risikofaktor und Erkrankung. Meistens sind Krankheiten jedoch nicht Folge einer einzelnen Ursache, sondern entstehen multikausal. Um die Interpretation des Risikofaktor-Krankheit-Zusammenhangs objektiver zu gestalten, lassen sich das absolute Risiko und das relative Risiko berechnen.
Die Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957)
Festinger ging in seiner Theorie von Folgendem aus: Menschen streben nach Konsonanz bezüglich ihrer Einstellung und ihres Verhaltens. Falls dies misslingt, entsteht eine unangenehme Spannung, die sogenannte kognitve Dissonanz. Beispiel: Kaum ein*e Alkoholiker*in würde den eignenen Konsum als gesund einschätzen, trinkt aber trotzdem. Zwei Lösungswege führen zur Auslösung dieser kognitiven Dissonanz:
Transtheoretisches Modell (Prochaska, Di Clement, 1994)
Das transtheoretische Modell beschreibt in 6 Stufen den gelungenen Prozess der Verhaltensänderung. Für Ärzt*innen ist es wichtig, auf welcher Stufe ihre Patient*innen sich aktuell befindet, um richtig intervenieren und therapieren zu können.
1 | Absichtslosigkeit/Sorglosigkeit | Precontemplation |
---|---|---|
2 | Absichtsbildung/Bewusstwerdung | Contemplation |
3 | Vorbereitung | Preparation |
4 | Handlung | Action |
5 | Aufrechterhaltung | Maintenance |
6 | Abschluss/Daueraufrechterhaltung | Termination |
Die größte Rolle bei der Gesundheitserziehung spielt die Familie. Die Art der Ernährung, Körperpflege und das Ausmaß sportlicher Aktivitäten sind zu großen Teilen abhängig von den Bezugspersonen im Kinder- und Jugendalter. Auch inwieweit präventive Maßnahmen wahrgenommen werden und das Verhalten bei Krankheit (z. B. bei jeder Erkältung Arztbesuch oder naturheilkundliche Ansätze) ist von den Eltern abhängig.
Schädliche Einstellungen werden von Bezugspersonen genauso übernommen wie gesundheitsfördernde.
Wichtige staatliche Träger für Gesundheitserziehung: Gesundheitskampagnen
Die personale Gesundheitsförderung versucht das Verhalten des Einzelnen zu modifizieren. Langjährig bestehende Beispiele sind Kampagnen für die Verwendung von Kondomen, Drogenpräventionsprogramme und die massive Einschränkung der Zigarettenwerbung.
Die strukturelle Gesundheitsförderung verändert grundlegende Strukturen, um positive Einflüsse auf die Gesundheit zu fördern und negative einzuschränken. Beispiele sind Tabaksteuer, Anschnallpflicht und Rauchverbot.
Die Wirkung von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung ist schwer zu messen (z. B. Wie viele Personen der Zielgruppe werden tatsächlich von Kampagnen erreicht?). Um die Effizienz von Screenings zu messen, werden die Sensitivität und Spezifität gemessen.
Mit der Vier-Felder-Tafel der Entscheidungsmöglichkeiten lassen sich die Kennwerte leicht berechnen:
Krank (positiv) | Gesund (negativ) | Statistiche Maße | |
---|---|---|---|
Positives Testergebnis | Ergebnis richtig positiv (A) | Ergebnis falsch positiv (B) | Positiv prädiktiver Wert = A/(A+B) |
Negatives Testergebnis | Ergebnis falsch negativ (C) | Ergebnis richtig negativ (D) | Negativ prädiktiver Wert = D/(C+D) |
Statistische Maße | Sensitivität = A/(A+C) | Spezifität = D/(B+D) |
Verhältnisprävention
Das Arbeitsschutzgesetz regelt Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit. Der Fokus liegt vor allem auf der Verhältnisprävention. § 4 „Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen.“ Vorrangig werden demnach die Arbeitsbedingungen optimiert, erst dann folgt der Schutz des Individuums. Verhältnisprävention schafft die Bedingungen, bei denen der psychische und physische Schutz der Arbeitnehmer*innen gegeben ist.
Beispiele
Verhaltensprävention
Ebenfalls nach § 4 ist die Verhaltensprävention umzusetzen: „Den Beschäftigten sind geeignete Anweisungen zu erteilen.“ Verhaltens präventive Maßnahmen sollen Mitarbeiter*innen schulen, sich gesundheitserhaltend zu verhalten. Betriebsärzt*innen sind hierbei verbindlich zuständig für Aufklärung und Beratung.
Beispiele:
Bei der Umsetzung von Prävention spielen Ansätze aus der Verhaltenstherapie eine zentrale Rolle. Besonders wichtig hierbei ist die Kooperation zwischen den verschiedenen Gesundheitsberufen: Ärzt*innen alleine können oftmals keine Verhaltensänderung erwirken!
Die Patient*innenaufklärung und Patient*innenedukation trägt maßgeblich dazu bei, welches Bild Patient*innen zu Krankheitsbildern entwickeln und präventiv tätig werden möchten (z. B. Stress beeinträchtigt das Immunsystem mit spezifischen Beispielen). Die edukative Tätigkeit von Ärzt*innen alleine reicht nicht aus: Konkrete Lösungsvorschläge mit Maßnahmen müssen den Patient*innen an die Hand Hand Hand gegeben werden (z. B. Autogenes Training).