Milzbrand (Anthrax)

Überblick

Definition

Milzbrand, auch Anthrax genannt, ist eine Infektionskrankheit, die durch Bacillus Bacillus Bacillus anthracis ( B. anthracis ) verursacht wird und kutane, respiratorische und gastrointestinale Erkrankungen verursachen kann.

Epidemiologie

• Weltweit verbreitete Zoonose
• Sehr selten in den meisten Industrieländern
• Häufige Wirte: Wild- oder Haustiere wie Schafe, Rinder, Pferde und Ziegen
• Personen mit vermehrtem Kontakt zu Tieren oder Tierprodukten (Veterinärmediziner, Tiermaterial verarbeitende Personen, Beschäftigte in Land- und Jagdwirtschaft) haben ein erhöhtes Infektionsrisiko.
• In Europa nur vereinzeltes Auftreten von Fällen
• In Deutschland gab es den letzten Hautmilzbrand-Fall im Jahr 1994.
• Fälle von Injektionsmilzbrand in Europa durch Injektion kontaminierten Heroins

Ätiologie

• Ursache ist eine Infektion mit B. anthracis:
  • Grampositive Stäbchen
  • Bildet Sporen, die im Boden im Ruhezustand lange überdauern können
• Tiere infizieren sich durch Einatmen oder Verschlucken von Sporen → Bakterien vermehren sich in ihrem Körper und scheiden mehr Sporen aus
• Sporen können auf vier Arten von Menschen aufgenommen werden:
  • Inhalation (Lungenmilzbrand)
  • Ingestition (Magen-Darm-Milzbrand)
  • Direkter Hautkontakt (Hautmilzbrand)
  • Intravenös (Injektionsmilzbrand)
• Menschen infizieren sich in der Regel durch den Kontakt mit Tieren oder deren Produkten.
• Es wurden Laborunfälle mit dokumentierten Infektionsfällen gemeldet.
• Die biologische Kriegsführung verwendet eine spezielle Veredelung von Milzbrandsporen, um die Sporen besonders fein und leicht zu vernebeln, sodass die Sporen leicht eingeatmet werden können.

Reservoir von B. anthracis

• Umweltkeime im Erdboden (besonders in Gegenden, in denen viel Viehzucht betrieben wird)

Pathophysiologie und Klinik

Pathogenese

• B. anthracis produziert zwei potente Exotoxine, welche auf zwei Plasmiden kodiert sind:
  • Ödemtoxin:
    • Kombination aus Protektivem Antigen (PA) und Ödemfaktor (englisches Akronym: EF)
    • Erhöht den Spiegel von zyklischem Adenosinmonophosphat (cAMP)
    • Verursacht Ödeme und schwarzen Schorf
    • Induziert Multiorganblutungen
  • Letaltoxin:
    • Kombination aus PA und Letalfaktor (LF)
    • Protease (spaltet mitogenaktivierte Proteinkinase (MAP))
    • Verursacht Gewebsnekrosen
• Protektives Antigen (PA) bindet an beide Toxine und ermöglicht es ET und LT in die Zellen einzudringen.
• Die Kapsel ermöglicht es dem Bakterium eine Phagozytose zu vermeiden.
• Toxine hemmen Neutrophile Neutrophile Zellen des angeborenen Immunsystems, dendritische Zellen und die Rekrutierung von Makrophagen Makrophagen Zellen des angeborenen Immunsystems.
• Auch Endothelzellen können betroffen sein (Gefäßleckage).

Klinik

Hautmilzbrand:

• Inkubationszeit: Stunden bis 6 Tage
• Häufigste Form
• Prädilektionsstellen sind Arme, Hals, Gesicht und Hände
• Aufnahme über Schnitte oder Wunden der Haut Haut Haut: Aufbau und Funktion
• Mildeste Form von Milzbrand: Bei entsprechender Behandlung selten letal
• Symptome:
  • Entstehung einer schnell fortschreitenden Entzündung Entzündung Entzündung in Form einer schmerzlosen Papel (Pustula maligna)
  • Daraus entstehende, flüssigkeitsgefüllte Blasen, die sich dann zu einem mit schwarzem Schorf bedeckten, schmerzlosen Geschwür weiterentwickeln (Milzbrandkarbunkel)
  • Entzündung Entzündung Entzündung kann sich lymphogen ausbreiten und in einer Sepsis Sepsis Sepsis und septischer Schock resultieren
  • Ödem der betroffenen Körperregion
  • Systemische Reaktion in Form von hohem Fieber Fieber Fieber, Benommenheit und Herz-Kreislauf-Beschwerden möglich
  • Letaler Verlauf in 10-40% der Fälle
  • Gut therapierbar durch unverzügliche Antibiotikagabe
  • Komplikation: Milzbrandmeningitis

Magen-Darm-Milzbrand:

• Durch den Verzehr von ungekochtem Fleisch von einem infizierten Tier oder das Trinken von kontaminiertem Wasser
• Inkubationszeit: 1–3 Tage
• Infektion des oberen oder unteren Gastrointestinaltraktes
• Unspezifische Symptome
  • Abdominelle Schmerzen
  • Übelkeit und Erbrechen Erbrechen Erbrechen im Kindesalter
  • Appetitlosigkeit
  • Fieber Fieber Fieber
  • Pharyngitis Pharyngitis Pharyngitis
  • Zervikale Lymphadenopathie Lymphadenopathie Lymphadenopathie
• Hämorrhagische Entzündung Entzündung Entzündung mit blutigen Diarrhöen und Peritonitis Peritonitis Penetrierendes Abdominaltrauma durch Exotoxine
• Fortgeschrittene Stadien der Erkrankung sind auch mit Antibiosen nur schwer therapierbar.

Lungenmilzbrand:

• Durch Einatmen von Sporen
• Inkubationszeit: 4–6 Tage, in Einzelfällen kürzer oder wesentlich länger (bis 56 Tage)
• Initialstadium mit grippeähnliche Symptomen
  • Fieber Fieber Fieber
  • Kopfschmerzen
  • Gliederschmerzen
• Innerhalb von 1–3 Tagen Verschlimmerung der Symptomatik
  • Hohes Fieber Fieber Fieber
  • Thorakale Schmerzen
  • Teilweise Sepsis Sepsis Sepsis und septischer Schock
  • Lungenversagen
  • Herz-Kreislauf-Versagen
• Typische, radiologisch erkennbare Verbreiterung des Mediastinums
• Frühzeitiger Therapiebeginn wichtig

Injektionsmilzbrand:

• Durch Injektion einer mit Sporen kontaminierten Substanz
• Inkubationszeit 1-3 Tage
• Haut-Weichteilinfektion mit Beteiligung des subkutanen Fettgewebes
• Erythem
• Ödembildung
• Kompartmentsyndrom Kompartmentsyndrom Kompartmentsyndrom
• Nekrotisierende Fasziitis Nekrotisierende Fasziitis Nekrotisierende Fasziitis
• Systemische Symptome möglich

Diagnostik

Anamnese

• Exposition gegenüber tierischen Produkten
• Potenzielle Gefährdung durch Bioterrorismus
• Verwendung von Injektionsmedikamenten oder -Drogen
• Typische Haut-, Magen-Darm- oder Atemwegssymptome

Körperliche Untersuchung

• Hautläsionen mit signifikanten Ödemen und schwarzen Schorf
• Fieber Fieber Fieber

Laboruntersuchung

• Möglichst vor Beginn einer antibiotischen Therapie Proben für mikrobiologische Diagnostik entnehmen
• Hinzuziehen eines Spezial- oder Referenzlabors
• Entnahme von zwei Blutkulturpaaren
• Proben:
  • Hautmilzbrand:
    • Wundabstrich
    • Gewebeprobe
    • Drainagesekret
    • Blut (EDTA)
    • Serum
  • Lungenmilzbrand:
    • Sputum
    • Bronchiallavage (BAL)
    • Blut (EDTA)
    • Serum
  • Magen-Darm-Milzbrand:
    • Stuhl
    • Blut (EDTA)
    • Serum
• Unterstützende Tests:
  • Vollständiges Blutbild: Anämie Anämie Anämie: Überblick und Formen, Leukozytose
  • Elektrolyte Elektrolyte Elektrolyte
  • Blutharnstoff/Kreatinin
  • Leberenzyme
  • Gerinnungsdiagnostik Gerinnungsdiagnostik Gerinnungsdiagnostik
• Mikroskopischer Nachweis von Bacillussporen oder grampositiven Stäbchen
• Kulturelle Erregerisolierung
• PCR-Nachweis der Virulenzplasmide
• Antikörper-basierter Antigennachweis
• Nachweis spezifischer Antikörper im Serum (z. B. mittels ELISA, Western-Blot)
  • Deutlicher Titeranstieg in aufeinanderfolgenden Proben bei akuter Infektion

Bildgebende Verfahren

• Röntgen Röntgen Röntgen oder Computertomographie Computertomographie Computertomografie (CT) (CT) des Thorax bei Lungenmilzbrand:
  • Mediastinale Erweiterung
  • Perihiläre interstitielle Pneumonie Pneumonie Pneumonie (Lungenentzündung)
  • Pleuraerguss Pleuraerguss Pleuraerguss
• CT des Abdomens bei Magen-Darm-Milzbrand:
  • Aszites Aszites Aszites
  • Mesenteriale Entzündung Entzündung Entzündung und Ödeme
  • Darmwandödem

Therapie

• Vor der Behandlung sollten Blut und andere geeignete Kulturen entnommen werden.
• Alle Fälle von systemischem Milzbrand sollten im Krankenhaus behandelt werden (kutan mit systemischen Symptomen und allen anderen Formen).
• Therapie sollte intravenös erfolgen
• Aufgrund des Risikos einer schnellen Verschlechterung sollte eine engmaschige hämodynamische Überwachung durchgeführt werden.
• Unterstützende Therapie bei Sepsis Sepsis Sepsis und septischer Schock (Flüssigkeitssubstitution, Bluttransfusion Bluttransfusion Transfusionsprodukte, Vasopressoren, ggf. Beatmung)

Antibiotika

• Dringend erforderlich
• Meningitis Meningitis Meningitis: Ciprofloxacin + Meropenem + Linezolid
• Systemischer Milzbrand ohne Meningitis Meningitis Meningitis:
  • Ciprofloxacin + Clindamycin
  • Ciprofloxacin + Linezolid
• Kutaner Milzbrand ohne systemische Symptome und Kopf- oder Halsbeteiligung: Einzeltherapie mit Fluorchinolonen, Doxycyclin oder Clindamycin

Antitoxine

• Sollte bei systemischem Milzbrand dringend begonnen werden
• Monoklonale Antikörper
• Anthrax-Immunglobulin

Sonstige Maßnahmen

• Glukokortikoide Glukokortikoide Glukokortikoide
• Drainage von Pleura- und Perikardergüssen bei Inhalationsmilzbrand
• Drainage von Aszites Aszites Aszites bei Magen-Darm-Milzbrand

Prognose

• Die Sterblichkeit durch Meningitis Meningitis Meningitis beträgt fast 100 %.
• Die Sterblichkeitsrate bei Hautmilzbrand beträgt < 2 % bei entsprechender Antibiotikatherapie.
• Die Mortalität durch Inhalation oder Magen-Darm-Milzbrand bleibt auch bei entsprechender Therapie relativ hoch.

Prophylaxe

• Ordnungsgemäße Entsorgung infizierter Tiere
• Leichen sind weiterhin als infektiös zu betrachten.
• In Deutschland ist seit 2013 der amerikanische Impfstoff “BioThrax” zugelassen.
• USA und UK impfen bestimmte Risikogruppen, wie z. B. Soldaten, oder andere Personen, die mit B. anthracis in Kontakt kommen.

Differentialdiagnosen

Hautmilzbrand:

• Insekten- oder Spinnenbiss Spinnenbiss Spinnenbisse: kann sich als Bereich mit lokalisiertem Erythem und Schwellung zeigen, oft mit Schorf. Manchmal verbunden mit Fieber Fieber Fieber/Schüttelfrost. Die Diagnose wird oft anhand von Anamnese und Untersuchung gestellt. Die Behandlung ist häufig unterstützend und umfasst manchmal Antibiotika und ein chirurgisches Debridement.
• Cellulitis oder Abszess bei Konsumenten von Injektionsdrogen: Infektionen der tiefen Dermis Dermis Haut: Aufbau und Funktion und des Weichgewebes mit Erythem, Ödem, eitrigem Sekret (Abszess) und manchmal systemischen Symptomen. Häufig bei Injektionsdrogenkonsumenten. Erreger werden durch Kultur bestätigt.

Lungenmilzbrand:

• Pneumonie Pneumonie Pneumonie (Lungenentzündung) : Infektion des Lungenparenchyms, die am häufigsten durch Bakterien oder Viren verursacht wird. In 80 % der Fälle wird eine Lungenentzündung Lungenentzündung Pneumonie (Lungenentzündung) ambulant erworben. Die Diagnose basiert auf einem klinischen Bild von Fieber Fieber Fieber, produktivem Husten, Dyspnoe Dyspnoe Dyspnoe (Atemnot/Luftnot), Rasselgeräuschen und Konsolidierung im Röntgenthorax. Eine atypische Pneumonie Pneumonie Pneumonie (Lungenentzündung) kann mit milderen Symptomen und weniger auffälliger Bildgebung auftreten. Die Behandlung erfolgt mit empirischer Antibiotikabehandlung.
• Tuberkulose Tuberkulose Tuberkulose (TB): eine Krankheit, die durch Bakterien des Mycobacterium Mycobacterium Mykobakterien tuberculosis -Komplexes verursacht wird. Die Bakterien greifen normalerweise die Lunge Lunge Lunge: Anatomie an, können aber auch andere Körperteile betreffen. Tuberkulose Tuberkulose Tuberkulose wird aerogen übertragen und kann über Jahrzehnte eine latente Infektion sein, die eine Herausforderung für Diagnose, Therapie und Prävention darstellt. Die Behandlung erfolgt mit mehreren Antibiotika über einen langen Zeitraum.
• Pleuraerguss Pleuraerguss Pleuraerguss: Ansammlung von Flüssigkeit in der Lunge Lunge Lunge: Anatomie zwischen den Schichten der parietalen und viszeralen Pleuramembranen. Ein Pleuraerguss Pleuraerguss Pleuraerguss kann durch eine Infektion aufgrund eines Virus, einer Pneumonie Pneumonie Pneumonie (Lungenentzündung) oder einer Herzinsuffizienz verursacht werden. Klinische Manifestationen sind Brustschmerzen Brustschmerzen Brustschmerzen, trockener und unproduktiver Husten, Dyspnoe Dyspnoe Dyspnoe (Atemnot/Luftnot) und Orthopnoe Orthopnoe Atemwegsobstruktion. Die Behandlung hängt von der zugrunde liegenden Erkrankung und der Schwere der Symptome ab.

Magen-Darm-Milzbrand:

• Darmischämie Darmischämie Darmischämie: Gefäßschädigung des Dünndarms, die am häufigsten durch arterielle oder venöse thromboembolische Ereignisse verursacht wird. Präsentiert sich mit starken Bauchschmerzen, manchmal Übelkeit/ Erbrechen Erbrechen Erbrechen im Kindesalter und blutigem Durchfall Durchfall Durchfall (Diarrhö) im Spätstadium. Die Diagnose wird mit einem CT-Angiogramm gestellt. Die Therapie umfasst Antikoagulation und Operation.
• Gastroenteritis Gastroenteritis Gastroenteritis: akute Entzündung Entzündung Entzündung der Magen-Darm-Schleimhaut, die in der Regel durch eine Virusinfektion verursacht wird. Präsentiert sich mit Bauchschmerzen, Übelkeit/ Erbrechen Erbrechen Erbrechen im Kindesalter und Durchfall Durchfall Durchfall (Diarrhö). Die Diagnose wird klinisch gestellt und die Therapie erfolgt weitestgehend symptomatisch.