Um ein Verständnis für Prozesse rund um Gesundheit und Krankheit zur erhalten, kann es hilfreich sein, sich mit verschiedenen Modellen zu beschäftigen. Die Modelle helfen dabei, Gesundheit und Krankheit aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und eine Struktur zu erschaffen. Für die Untersuchung von Gesundheit und Krankheit existieren 5 wichtige Gruppen von Modellen: Verhaltensmodelle, biopsychologische Modelle, das psychodynamische Modell, sozialpsychologische Modelle und soziologische Modelle.
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Lernleitfaden
Medizin ➜
Die gemeinschaftliche akzeptierte Sichtweise von Krankheit charakterisiert ein Krankheitsmodell und schafft ein Gefühl von Gruppenzugehörigkeit (verschiedene Facharztbereiche). Durch Krankheitsmodelle werden die Wahrnehmung und die Organisation des Handelns im medizinischen Alltag strukturiert. Je nachdem, welches Modell in den Fokus rückt, werden Fakten aus unterschiedlichen Richtungen beleuchtet.
Cave: Denkmodelle sind Strukturierungsentwürfe, kein Tatsachenwissen!
Das menschliche Verhalten hängt v. a. von Lern- und Denkprozessen sowie dem Wohlbefinden ab. In der Verhaltensanalyse werden fünf Bedingungsgrößen, die viele menschliche Verhaltensweisen erklären können, betrachtet.
Das SORKC-Modell enthält fünf wichtige Bedingungsgrößen, wodurch eine Vielzahl menschlicher Verhaltensweisen/Störungen erklärt werden kann.
Besonders wichtig sind die Verstärker, die ein Symptom aufrechterhalten und zur Chronifizierung dessen beitragen können. Diese Lernarten wirken zusammen:
In der Verhaltensmedizin werden interdisziplinär die Beziehungen zwischen Störungen, Verhalten und Umwelt untersucht. Das ärztliche Handlungsziel wird durch Mittel, die das Verhalten modifizieren, erreicht, z. B. durch Patient*innenschulungen oder Biofeedback.
Praxis-Tipp: Die psychologisch-pädagogischen Inhalte und das Training, wie man Patient*innen berät, schult und zu Verhaltensänderungen anleitet, kommen im Medizinstudium leider viel zu kurz. In der Vorklinik der klassisch aufgebauten Studiengänge wird nur Toten gearbeitet, die Leiche im Anatomiesaal. Pflegepraktika sind also nicht ein Übel in der vorlesungsfreien Zeit, sondern ermöglichen echten Patient*innenkontakt, bei dem ohne Zeitdruck und Verantwortung so viel beobachtet, gelernt und kommuniziert wird wie sonst nicht mehr.
Definition von Krankheit im biologischen Modell: Störung der Homöostase durch Veränderung von Organismen. Jede Erkrankung entsteht jedoch nicht alleine durch biologische Faktoren. Aufgrund der drei Haupteinflüsse geht man aktuell von einem bio-psycho-sozialen Krankheitsmodell aus. Berücksichtigt werden müssen auch subliminale Reize für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheit. Subliminale Wahrnehmungsprozesse liegen unter der Schwelle bewusster Wahrnehmung.
Ein „gutes“ Maß an Stress kann positive Auswirkungen haben, z. B. neue berufliche Herausforderungen können Eustress auslösen. Vom negativen Disstress wird gesprochen, wenn jemand durch konstant hohe Stresspegel belastet und zermürbt wird (als Folge z. B. Burnout). Die inneren und äußeren Reize (individuell sehr unterschiedlich erlebbar!) heißen Stressoren und die körperliche Antwort auf Stressoren ist die Stressreaktion mit verstärkter Sympathikusaktivierung.
Das allgemeine Adaptationssyndrom liefert ein Erklärungsmodell für die menschliche Reaktion auf fortlaufenden Stress. Es erfolgt eine Einteilung in 3 Phasen:
In der Psychodynamik ist von folgender Grundannahme auszugehen: Der Mensch wird zum Großteil von Trieben, Antrieben und Motiven geleitet, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind. Das psychodynamische Modell sieht diese unbewussten Konflikte für die Entstehung von Krankheit als Ursache an. Dieses Modell basiert auf der Theorie der Psychoanalyse von Sigmund Freud.
Es, Ich und Über-Ich stehen in fast ständigem Konflikt miteinander und schaffen so unvermeidbar Angst. Oft werden z. B. Impulse des Es von der Ich-Instanz als fremd oder bedrohlich empfunden und möchten vom Ich zurückgedrängt werden. Das Ich kreiert unbewusst Abwehrmechanismen als Schutz gegen diese Angst.
Tipp: Die Begriffe der Angstabwehrmechanismen sind sehr wichtig für Prüfungen und Physikum. Die Beispiele helfen, um das Verständnis zu erleichtern und die Gedächtnisleistung zu erhöhen.
Abwehrmechanismus | Definition | Beispiel |
---|---|---|
Identifikation | Gegenstück zur Projektion. Objekte oder Anteile von Objekten werden introjiziert. Durch die Identifikation mit dem Aggressor wird die Furcht vor Angst auslösenden Vorbildern abgewehrt. | Identifikation mit Gegner*innen, die man wegen einer eigenen, nicht eingestandenen Schwäche, ablehnt. |
Introjektion | Einverleibung äußerer Werte in die Ich-Struktur, sodass diese nicht mehr als Bedrohung erlebt werden | Motive, Anschauungen und Verhaltensweisen werden kopiert, um besser „anzukommen“ bzw. nicht abgelehnt zu werden. |
Kompensation | Ein erwünschter Charakterzug wird vermehrt betont, um Schwächen zu verhüllen. | Geringe Körpergröße wird kompensiert durch extremen Fleiß. |
Konversion | Umwandlung eines psychischen Konflikts in ein körperliches Symptom | Herzklopfen, Zittern, Erröten aufgrund von Scham |
Projektion | Unbewusste Eigenschaften werden auf andere Personen übertragen. | Die eigene Wut wird nicht wahrgenommen und das Gegenüber mit der Frage konfrontiert „Warum regst du dich so auf?“ |
Rationalisierung | Rechtfertigung des eigenen Verhaltens vor sich und anderen durch das Heranziehen von Vernunftgründen. | Man möchte im Mittelpunkt stehen und v.a . wahrgenommen werden mittels eines extravaganten Stils und rechtfertigt dies mit „Alle achten ja sowieso nur auf äußerlichkeiten“. |
Reaktionsbildung | Bedrohliche Triebe werden nicht akzeptiert, sondern das Verhalten kehrt sich ins andere Extrem. | Leben im Zölibat statt Ausleben sexueller Wünsche. |
Reversion | Verkehrung des Gegenteils | Angst auslösend Großvater wird als Ameise in der Kinderzeichnung dargestellt. |
Spaltung | Emotionale Komponenten werden von Verhalten, Gedanken und Erinnerungen isoliert und scheinbar teilnahmslos hingenommen. | Objekte oder Personen werden abgekoppelt, entweder dämonisiert oder verherrlicht. |
Sublimierung | Befriedigung und Ausdruck nicht akzeptabler Wünsche durch gesellschaftlich akzeptierte oder sogar besonders hoch bewertete Bedürfnisse | Sexuelle Triebkraft/Energie wird vollständig in ein Kunstprojekt „investiert“. |
Ungeschehenmachen | Sühne für belastende Handlungen und Wünsche, um diese so aufzuheben | Oft Zwangshandlungen, z. B. Waschzwang nach Masturbation |
Repression (Verdrängung) | Verhinderung des Eindringens unerwünschter Impulse, Gedanken und Erinnerungen ins Bewusstsein | Hass gegen die Mutter* wird nicht zugelassen („die Eltern muss man lieben“), möglicherweise gegensätzliche Handlungen in Träumen. |
Übertragung | Verdrängte Emotionen, Erwartungen und Wünsche (meist aus der Kindheit) werden auf neue soziale Beziehungen übertragen. | Erwartungen der Patient*innen an Mutter* werden nun an ärzt*innen gestellt. |
Verleugnung | Schutz vor Bedrohlichem, in dem die Kenntnisnahme verweigert wird | Nach einem Trauma so tun, als ob nichts gewesen wäre. |
Substitution (Verschiebung) | Bedürfnisbefriedigung wird vom nicht erreichbaren/konfrontablen Objekt auf ein anderes verschoben (meist feindselige Gefühle gegenüber dem Objekt). | Kind wird vom älteren Bruder* unterdrückt und misshandelt. Es unterdrückt und misshandelt nun selbst Schwächere. |
Wendung gegen das Selbst | Aggressive Triebe werden gegen das Selbst gerichtet. | Kind empfindet Zorn gegenüber jemandem, kann diesen der Zielperson gegenüber nicht zeigen und schlägt sich selbst. |
Die psychosozialen Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit sind soziale Normen, Rollen und Einstellungen. Einstellungen prägen die Haltung einer jeden Person und beeinflussen deren Verhalten zusammen mit Emotionen und konkreten situativen Triggern. Sie sind nicht starr, sondern unterliegen ständigen Veränderungen durch Erfahrungen.
Einstellungen werden durch Sozialisation und Erfahrung erworben und können eine sehr selektive Wahrnehmung herausbilden. Dadurch können Stereotype entstehen mit vorgefassten, generalisierten Einstellungen innerhalb einer Gruppe (Heterostereotype) oder einer eigenen Gruppe (Autostereotype).
Die Einstellungen bzgl. desselben Gegenstandes können sehr widersprüchlich sein: Diesen spannungsreichen Zustand bezeichnet Festinger als kognitive Dissonanz und vertritt die Meinung, dass Erfahrungen ausgewählt und Einstellungen so angepasst bzw. gefiltert werden, dass dieser Spannungszustand möglichst minimiert oder sogar aufgehoben ist.
Beispiel: Ein Diabetiker, der an seinen Opa mit Diabetes Diabetes Diabetes Mellitus denkt, der 85 Jahre alt geworden ist, statt an polyneuropathische Folgeerscheinungen wie Zehennekrosen und Retinopathie.
Kontrollattributionen: Ich oder das Schicksal
Kontrollattributionen sind Ursachenzuschreibungen wer die Kontrolle über das eigene Leben bzw. die Verantwortung darüber hat.
Wirkungen von Kontrollattributionen auf das Gesundheitsverhalten
Insgesamt wird eine internale Attribution als günstiger angesehen als eine externale, um z. B. die eigene Gesundheit zu beeinflussen und/oder Krankheit zu verhindern, statt an das Schicksal zu glauben, wenn Krankheit auftritt. Sich selbst also etwas zuzutrauen, wird als gesundheitserhaltend angesehen und Selbstwirksamkeitserwartung genannt.
Ein weiterer psychischer Schutzfaktor ist der Optimismus. Optimist*innen attribuieren bei Misserfolgen external („Die Prüfung war einfach so schwer, da konnte ich ja nur durchfallen.“) und bei Erfolgen internal („Dank meiner optimalen Vorbereitung habe ich die Prüfung so gut gemeistert.“) und sehen Probleme als Herausforderungen an.
Soziale Risikofaktoren
Soziale Isolierung kann für Betroffene einen Circulus vitiosus bedeuten (gleichzeitige Ursache oder Folge einer Krankheit, z. B. Depression). Ein weiterer bedeutender Faktor sind Rollenverluste, z. B. Beziehungsabbruch oder Arbeitslosigkeit. Dieser Verlust der stabilitätsgebenden Rollen kann in Substanzmissbrauch und Depression münden.
Soziale Schutzfaktoren
Sozialer Rückhalt ist nicht nur einer der wichtigsten Schutzfaktoren für die positive Beeinflussung von Krankheitsverläufen, sondern schon präventiv hochwirksam! Menschen, die sozial gut eingebunden sind in einem Umfeld, das sozialen Rückhalt, Unterstützung und Wertschätzung bietet, haben einen „Puffer“ gegen Stress und damit assoziierte Erkrankungen.
Soziologische Modelle beschreiben Faktoren und Strukturen, die das Verhalten in vielen Bereichen bestimmen, auch im Umgang mit Gesundheit und Krankheit. Zu diesen Verhaltens-bestimmenden Strukturen zählen: