Sachverhalt: Ein Unglück kommt selten allein
T wird nach langer Jobsuche zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Hauptsitz der Firma ist 400 km entfernt von ihrem Wohnort. Ihr entstehen dadurch Kosten in Höhe von 250€. Der Aufwand lohnt sich, denn der Arbeitgeber A stellt T ein.
Im Anschluss passiert das erste Unglück. Im Büro fängt plötzlich ein Papierkorb an zu brennen. Ohne nachzudenken schnappt sich T ihre teure Handtasche und schmeißt sie auf den Papierkorb, um das Feuer zu löschen. T ist damit erfolgreich, doch ihre wertvolle Handtasche ist hinüber. Sie fragt ihren Chef nach der Erstattung des Schadens, doch dieser verneint ihre Bitte nur.
T ist sauer und will nicht mehr bei Arbeitgeber A arbeiten. Sie sucht daher wieder nach einem anderen Job und wird erneut zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Mann, der das Gespräch mit ihr führt, ist begeistert und sichert ihr mit einem Handschlag eine Anstellung zu. Leider war er dazu nicht berechtigt, da er keine Abschlussvollmacht für Arbeitsverträge besitzt. T weiß davon nichts und kündigt ihre Stelle bei Arbeitgeber A.
Zwei Tage später bekommt T ihre Bewerbungsunterlagen von Arbeitgeber B mit einem Anschreiben, in dem steht, dass sie sich für einen anderen Bewerber entschieden haben. Arbeitgeber A will T nicht weiter beschäftigen. Wie ist die Rechtslage ?
Frage 1: Was für Ansprüche kann T ihrem ersten Arbeitgeber gegenüber geltend machen?
Frage 2: Kann T der zweiten Firma gegenüber, bei der sie sich vorgestellt hat, Ansprüche geltend machen, wenn man bedenkt, dass sie ihre Anstellung bei Arbeitgeber A nach monatelanger Suche erst gefunden hat?
Problemaufriss
Es kann immer passieren, dass der Arbeitnehmer während seiner Arbeitstätigkeit Schäden erleidet. In den meisten Fällen handelt es sich um Körperschäden, bei denen die gesetzliche Unfallversicherung eintritt. Die Schuld des Arbeitgebers spielt da keine wirkliche Rolle. Bei Sachschäden sieht das anders aus. Hier unterscheidet man zwischen:
- Schäden, die vom Arbeitgeber verschuldet sind (§§ 280 I, 241 II, 611 BGB) und
- Sachschäden, die nicht vom Arbeitgeber verschuldet sind.
Erstere sind unproblematisch, letztere bedürfen einer genauen Prüfung. Hierfür wird der § 670 BGB in doppelt analoger Anwendung herangezogen. Auch Pflichtverletzungen im vorvertraglichen Bereich unterliegen den allgemeinen Schadensersatzvorschriften.
I. Ansprüche gegen den Arbeitgeber A
Durch die Arbeit bei Arbeitgeber A sind T einige Kosten entstanden. Zunächst einmal hatte sie hohe Kosten, um das Vorstellungsgespräch wahrnehmen zu können. Zudem ist ihre teure Handtasche kaputt, da sie damit das Feuer im Büro gelöscht hat.
1. Die Bewerbungskosten
Hier gilt die Frage zu klären, welche Anspruchsgrundlage für den Ersatz der Bewerbungskosten in Frage kommt.
Hinweis: Dieser Anspruch wird in Klausuren gerne übersehen, hat jedoch eine große praktische Bedeutung!
a) Schadensersatzansprüche für die Bewerbungskosten
Schadensersatzansprüche spielen hier keine Rolle, da es keinen Hinweis auf eine schuldhafte Pflicht- oder Rechtsgutsverletzung gibt.
b) Aufwendungsersatzansprüche für die Bewerbungskosten
Möglich ist ein Ersatz der Kosten durch einen der Aufwendungsersatzansprüche nach §§ 670, 662 BGB. Hierfür muss ein Auftrag des Arbeitgebers an den Bewerber vorliegen. Der BAG bewertet die Aufforderung des Arbeitgebers, sich persönlich vorzustellen, als Auftrag.
Die Aufwendungen, die T durch das Bewerbungsgespräch entstanden sind (Fahrtkosten, Unterkunft, Verpflegung) sind damit durch den Arbeitgeber zu ersetzen, sofern sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind.
2. Die kaputte Handtasche
Auch hier ist zunächst fraglich, aus welcher Anspruchsgrundlage ein Anspruch entstehen kann.
a) Schadensersatzansprüche für die kaputte Handtasche
Wie bereits zu Anfang erwähnt, sind die Fälle nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 823 BGB leicht zu prüfen, doch hier liegt keine Pflichtverletzung oder Rechtsgutsverletzung durch den Arbeitgeber vor.
b) Anspruch aus § 670 BGB (doppelt) analog
Ein Anspruch könnte sich aus der doppelten analogen Anwendung des § 670 BGB auf den Arbeitsvertrag ergeben. Die einzige Hürde ist hier, dass der § 670 BGB lediglich den Ersatz von Aufwendungen regelt.
Für den Bereich des Auftrags und der GoA ist anerkannt, dass Zufallsschäden des Auftragnehmers in analoger Anwendung des § 670 BGB zu ersetzen sind. Gerechtfertigt wird dies durch die freiwillige Übernahme des Schadensrisikos.
Auch im Arbeitsrecht gilt, dass der Arbeitnehmer durch die Aufnahme seiner Tätigkeit das Risiko übernimmt, dass Zufallsschäden entstehen. Dieses Risiko hätte bei sachgerechter Risikoverteilung eigentlich der Arbeitgeber zu tragen, da der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber seine Tätigkeit im wirtschaftlichen Interesse des Arbeitgebers verrichtet hat.
Die Voraussetzungen zur Anwendung des § 670 BGB analog sind jedoch eng und orientieren sich an dem Rechtsgedanken des § 110 HGB:
- Der Schaden des Arbeitnehmers muss ein Vermögensopfer darstellen;
- im Rahmen einer betrieblich veranlassten Tätigkeit;
- der Schaden darf nicht voraussehbar gewesen sein.
Eine Risikozulage, die dem Arbeitnehmer im Voraus gezahlt wird, entschädigt ihn für solche eventuellen Schäden, daher kommt dadurch kein weiterer Schadensersatz in Frage. In o.g. Fall gilt folgendes:
- Für T war der Schaden der Tasche ein Vermögensopfer.
- Der Schaden entstand fraglos im Rahmen einer vertraglich veranlassten Tätigkeit.
- Das Vermögensopfer war keineswegs vorhersehbar, da es untypisch ist für die Arbeit. Unter normalen Umständen kann man nicht mit einem Feuer eines Papierkorbs im Büro rechnen.
- T erhielt keine Risikozulage, sodass der Schaden nicht im Voraus abgegolten wurde.
Grundsätzlich wäre dementsprechend der Aufwandsersatzanspruch gegeben, jedoch stellt sich hier die Frage, ob der Schaden in voller Höhe ersatzfähig ist (§ 254 BGB analog). T hat eine sehr teure Tasche mit zur Arbeit genommen, was für die Arbeit nicht nötig war. Das kann weder als verkehrsüblich, noch als sinnvoll bewertet werden.
Ein Feuer war jedoch nicht zu erwarten und schon gar nicht die Tatsache, dass sie dieses Löschen muss. Daher ist ihr Verhalten (Mitnahme ihrer teuren Tasche) eher als leicht fahrlässig zu bewerten. Eine Quotelung des Schadens wird jedoch erst ab mittlerer Fahrlässigkeit vorgenommen. Dementsprechend kann T den Schaden ihrer Tasche in voller Höhe geltend machen.
Ergebnis Frage 1: T kann von ihrem alten Arbeitgeber den Ersatz der Bewerbungskosten und den Ersatz des Schadens ihrer Tasche in voller Höhe verlangen.
II. Ansprüche gegen den zweiten Arbeitgeber
Verträge entstehen nicht erst mit der Unterschrift. Vorvertragliche Pflichten gilt es ebenso einzuhalten und aus eben diesen könnte sich ein Anspruch für T gegenüber dem zweiten Arbeitgeber ergeben. Dafür bedarf es neben einem Schuldverhältnis auch einer Pflichtverletzung.
1. Schuldverhältnis
Ein Schuldverhältnis i.S.d. § 280 Abs. 1, S.1 BGB ist hier gegeben. Die Vertragsverhandlungen zwischen Tanja und dem Mann, der das Vorstellungsgespräch für den Arbeitgeber B führt, bilden dieses nach § 311 Abs. 2, Nr. 1 BGB.
2. Pflichtverletzungen
Nun müsste die Firma durch ihren Mitarbeiter eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt haben. § 241 Abs. 2 BGB weist ausdrücklich auf die Rücksichtnahme der Interessen der jeweiligen Vertragspartner hin. Dementsprechend hätte der Herr, der das Gespräch mit Tanja geführt hat, sie darauf hinweisen müssen, dass er lediglich zur Verhandlung nicht jedoch zum Vertragsabschluss berechtigt ist.
Auf diese Art hätte T das Risiko besser abschätzen können und wäre sich bezüglich des Vertragsabschlusses nicht so sicher gewesen. Eine Pflichtverletzung liegt also vor.
3. Vertretenmüssen
Da der Herr der T vorsätzlich und damit schuldhaft den Mangel an einem Abschlussbefugnis verschwiegen hat, muss er diesen auch vertreten.
4. Zurechenbarkeit
Das Fehlverhalten ihres Mitarbeiters müsste der Firma zurechenbar sein. Nach § 278 S.1 BGB muss die Firma das Verschulden eines Erfüllungsgehilfen wie ein eigenes Verschulden vertreten.
Der Herr, der das Gespräch mit T geführt hat, ist zweifelsohne ein Angestellter der Firma und ausdrücklich mit der Führung der Bewerbungsgespräche vertraut. Dadurch gilt er als Erfüllungsgehilfe und ein durch ihn angerichteter Schaden wird der Firma bzw. dem Geschäftsführer zugerechnet.
5. Schaden
Grundsätzlich hat T also einen Schadensersatzanspruch, fraglich ist, in welcher Höhe. Zu erstatten ist das negative Interesse – auch als Vertrauensschaden bekannt. Das bedeutet, dass T so zu stellen ist, als hätte das Gespräch und der dadurch entstandene Schaden nie stattgefunden.
Für T bedeutet das, dass sie ihre Stelle bei Arbeitgeber A nicht gekündigt hätte. Die Kosten, die ihr nun durch die Arbeitslosigkeit entstehen, müssen von Arbeitgeber B nach § 249 Abs. 1, 251 BGB getragen werden. Eine Kürzung käme nur in Betracht, wenn T ein Mitverschulden vorzuwerfen wäre, doch das ist hier nicht der Fall. Da T sich auf die Zusage des Angestellten des Arbeitgebers B verlassen hat, verstieß sie gegen kein ihm wohlverstandenes Interesse.
Ergebnis Frage 2: T hat gegen Arbeitgeber B einen Anspruch auf den Ersatz des Lohns, der ihr nun durch die Kündigung entgangen ist. Die Länge (Anzahl der Monatsgehälter) kann dabei davon abhängen, wie lange T gebraucht hat, um diesen Job zu finden.