1. Rechtliche Grundlagen
Die Durchführung der Leichenschau ist juristisch im Bestattungsgesetz der Länder (BestattG) geregelt. Demnach ist bei jedem Verstorbenen und jeder Totgeburt über 500g eine Leichenschau durch einen klinisch tätigen oder niedergelassenen Arzt vorzunehmen. Im Falle der Benachrichtigung eines niedergelassenen Arztes hat dieser „die Leichenschau unverzüglich durchzuführen.“
Eine Ausnahmeregelung besteht für Notärzte, denen aufgrund fehlender Todeszeichen (s.u.) und möglicher Kollisionen mit dienstlichen Verpflichtungen nur die Feststellung des Todes obliegt. Zudem kann ein Arzt die Leichenschau verweigern, wenn er den Tod des Patienten durch einen ärztlichen Fehler selbst verschuldet hat und sich durch seine Angaben selbst belasten würde (Zeugnisverweigerungsrecht).
2. Umfang der Leichenschau
Der Umfang der ärztlichen Leichenschau ergibt sich aus der amtlichen Todesbescheinigung, die zu diesem Zwecke auszufüllen ist. Sie beinhaltet neben der Feststellung des Todes Angaben über:
- die Identität des Toten
- den Sterbezeitpunkt
- die Todesursache und
- die Todesart
Der Tote ist während der Durchführung der ärztlichen Leichenschau vollständig zu entkleiden, um etwaige Anzeichen eines nicht-natürlichen Todes (s.u.) nicht zu übersehen. Neben der Inaugenscheinnahme der Haut sind seitens des Untersuchers auch die Körperöffnungen zu inspizieren.
3. Feststellung des Todes
Die Feststellung des Todes erfordert das Vorhandensein mindestens eines sicheren Todeszeichen (s.u.) oder einer Verletzungen, die nicht mit dem Leben vereinbar ist. Sichere Todeszeichen sind:
- Totenflecke (Livores)
- Totenstarre (Rigor mortis) und
- Fäulnis
Beachte: Da Todeszeichen im Kontext der notärztlichen Versorgung meist noch fehlen, ist für Notärzte die Ableitung und Dokumentation eines Nulllinien-EKGs nach mindestens 30-minütigem frustranem Reanimationsversuch als ausreichend zu betrachten. Die weitere Leichenschau erfolgt durch einen hinzugerufenen ärztlichen Kollegen (behandelnder Hausarzt), der mit der Krankengeschichte des Patienten vertraut ist.
4. Sichere Todeszeichen
Totenflecke (Livores): Totenflecke sind bläulich-livide Verfärbungen der Haut, die durch das Versacken des Blutes in die Gefäße der abhängigen Körperpartien (Hypostase) mit anschließendem Austritt von Blutbestandteilen in die Haut entstehen. Sie entwickeln sich innerhalb der ersten Stunde (20-30 Minuten post mortem) und sind nach 6- 12 Stunden vollständig ausgeprägt.
Dinge, auf die der Untersucher beim Vorhandensein von Totenflecke achten sollte sind:
- Färbung der Totenflecke: Eine atypische Färbung der Totenflecke kann Hinweis auf eine nicht-natürliche Todesursache sein. Typisches Besispiel sind hellrote Totenflecke, die ein Indiz für Intoxikation (Kohlenmonoxid, Zyanidvergiftung) sein können, aber auch bei niedrigen Umgebungstenmperaturen auftreten können.
- Lokalisation der Totenflecke: Das Versacken des Blutes folgt der Schwerkraft folgend in die abhängigen Körperpartien (bei einer auf dem Rücken liegenden Leiche im Bereich des Rückens, wobei Bereiche erhöhter Druckbelastung ausgespart sind). Ungewöhnliche Lokalisationen sind Zeichen einer stattgefundenen Umlagerung und sollten stets hinterfragt werden. Merke: Eine vollständige Umlagerbarkeit ist innerhalb der ersten 6h post mortem möglich, eine partielle Umlagerbarkeit bis zu 12h nach Eintreten des Todes.
- Wegdrückbarkeit: Die Wegdrückbarkeit der Totenflecken gibt einen Hinweis auf den Todeszeitpunkt. Merke: Totenflecke sind bis zu 36h post mortem vollständig und bis zu 48h partiell wegdrückbar.
Totenstarre (Rigor mortis): Die Totenstarre ist die Folge fehlenden ATP´s, das zur Lösung der Myofilamente (Aktin-Myosin-Bindung) benötigt wird. Sie beginnt wenige Stunden nach dem Tod und ist nach 6-12h vollständig ausgeprägt. Innerhalb dieser Zeit bildet sie sich nach mechanischem „Brechen“ erneut aus. Die klinische Überprüfung der Totenstarre erfolgt durch passives Durchbewegen der einzelnen Gelenke.
Fäulnis: Fäulnis ist eine Folge bakterieller Fermentationsprozesse. Erste Anzeichen finden sich im Bereich des rechten Unterbauches (grünliche Verfärbung), durch die geringe Distanz zwischen Darm und Haut (Verwesungsprozesse durch Darmbakterien).
5. Identitätsfeststellung
Die Feststellung der Identität kann mit Hilfe des Personalausweises oder anhand besonderer Personenmerkmale (z.B. Tätowierungen) erfolgen. Bei Unmöglichkeit der Identifizierung, die sich durch die Auffindesituation (im Freien) oder den Verwesungszustand der Leiche ergibt, ist die Polizei hinzuzuziehen.
6. Todeszeitpunkt
Der konkrete Sterbezeitpunkt ist nur in den wenigsten Fällen (z.B. frustraner Reanimationsversuch) eruierbar. In diesem Falle ist stattdessen der Auffindezeitpunkt im entsprechenden Feld zu dokumentieren.
7. Todesursache
Als Todesursache ist im Totenschein die unmittelbar zum Tode führende Erkrankung einzutragen, sowie evtl. Grunderkrankungen, durch die sich die zum Tode führende Folgekomplikation ergeben hat (Kausalkette). Endzustände wie Kreislauf- oder Atemstillstand sollten hingegen nicht dokumentiert werden.
Im Falle einer anderen zu Grunde liegenden Ursache (z.B. Unfall, Vergiftung) ist dies unter dem entsprechenden Vermerk im Totenschein zu dokumentieren
Beispiel: Eine 45jährige Radfahrerin wird mit einer pertrochantären Femurfraktur aufgrund eines Verkehrsunfalls (Anprallunfall durch PkW) in die Klinik eingeliefert. Der Unfall ereignete sich auf dem Weg zur Arbeit. Die Fraktur wird operativ versorgt und die Patientin im Anschluss intensivmedizinisch üerwacht. Im Zuge der Immobilisation erleidet die Patientin eine tiefe Beinvenenthrombose (kompressionssonographisch gesichert) mit nachfolgender fulminanter Lungenembolie, woran sie schließlich verstirbt.
Der Eintrag in den Totenschein wäre wie folgt vorzunehmen:
Todesfallursache/Klinischer Befund
I. Unvermeidbar zum Tode führende Erkrankung | a) unmittelbare Todesursache: Fulminante Lungenembolie |
Vorangegangene Ursachen:… | b) als Folge vonTiefe Beinvenenthrombose |
c) als Folge von Pertrochantäre Femurfraktur | |
Andere wesentliche Krankheiten: Krankheiten, die zum Tode beigetragen haben… |
Ferner wäre unter dem Punkt „Weitere Angaben zur Klassifikation der Todesursache“ der Unfallhergang und die Art des Unfalls (Wegeunfall) zu vermerken.
8. Todesart
Zur Klassifizierung der Todesart gibt es 3 Kategorien:
Natürlicher Tod: Als natürlicher Tod gilt jeder Tod als Folge einer vorausgegangenen Erkrankung.
Nicht natürlicher Tod: Ist ein äußerer Umstand (z.B. Unfall, Vergiftung, Suizid, Fremdeinwirkung) für das Eintreten des Todes verantwortlich oder wahrscheinlich, ist ein nicht- natürlicher Tod zu bescheinigen.
Zeichen eines durch Fremdbeibringung verursachten Todes können sein:
- untypische Lokalisation oder Färbung von Totenflecken
- untypische Auffindesituation
- Hämatome
- Strang- oder Drosselmarken
- Stauungsblutungen (u.a. petechiale Blutungen im Bereich der Bindehäute)
- Schnitt- und Stichverletzungen
- Abwehrverletzungen
- Schusswunden u.a.
Beachte: Auch im Falle einer zum Tode führenden Folgekomplikation nach stattgehabtem Unfall oder einem anderen äußeren Ereignis ist ein nicht-natürlicher Tod zu bescheinigen! So auch im oben genannten Beispiel, in dem sich die Kausalkette der Lungenembolie auf ein Unfallereignis (Anprallunfall durch PkW) zurückführen lässt.
Ungeklärte Todesart: Gibt es weder Anzeichen für einen natürlichen Tod (z.B. Versterben eines Säuglings oder Kleinkindes ohne vorbestehende schwere Grunderkrankung) noch für einen nicht natürlichen Tod, ist im Totenschein die Todesart als ungeklärt zu vermerken.
Beachte: Finden sich Hinweise auf einen nicht-natürlichen Tod, so ist zur Sicherung der Spurenlage die Leichenschau umgehend zu unterbrechen und die Polizei hinzuzurufen. Desweiteren ist die Polizei immer dann zu benachrichtigen, wenn die Todesart nicht zu klären oder die Leiche nicht zu identifizieren ist.