Fahrlässiges Handeln ist im StGB nur mit Strafe bedroht, wenn dies ausdrücklich bestimmt wird (§ 15 StGB). Der Täter eines Fahrlässigkeitsdelikts verwirklicht dieses nicht mit Wissen und Wollen, sondern durch sorgfaltswidriges Verhalten meist unbewusst.
- Beispiele für Fahrlässigkeitsdelikte sind
- Fahrlässige Tötung, § 222 StGB
- Fahrlässige Körperverletzung, § 229 StGB
- Fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, § 315c Abs. 3 StGB
A. Das fahrlässige Begehungsdelikt
Das Fahrlässigkeitsdelikt folgt einem Aufbau, der sich von dem des Begehungsdelikts unterscheidet.
Prüfungsschema: Fahrlässiges Begehungsdelikt
- I. Tatbestand
- 1. Handlung-Erfolg-Kausalität
- 2. Objektive Fahrlässigkeit
- a) Sorgfaltspflicht
- b) Sorgfaltswidrigkeit
- c) Objektive Vorhersehbarkeit des Erfolgs
- d) Objektive Zurechnung
- (1) Pflichtwidrigkeitszusammenhang
- (2) Schutzzweckzusammenhang
- II. Rechtswidrigkeit
- III. Schuld
- 1. Allgemeine Schuldfähigkeit
- 2. Individuelle Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Erfolgseintritts
- 3. Zumutbarkeit pflichtgemäßen Verhaltens
- 4. Entschuldigungsgründe
1. Objektive Fahrlässigkeit
Unter dem Prüfungspunkt der objektiven Fahrlässigkeit muss der objektive Maßstab für ein Fehlverhalten festgelegt werden. Allein die Schaffung eines erlaubten Risikos kann, wie bei der objektiven Zurechnung auch, keine Sorgfaltspflichtverletzung darstellen. Ein alltagstaugliches Beispiel hierfür ist die risikobehaftete, aber erlaubte Teilnahme am Straßenverkehr.
Tipp: Keine Lust zu lesen? Sieh dir hier den passenden Kurs zur Fahrlässigkeit an!
Stattdessen wird sich einer Definition der objektiven Fahrlässigkeit bedient, die folgendermaßen aufgebaut ist.
Definition: Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den konkreten Umständen und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist.
Der Maßstab für eine Sorgfaltspflichtverletzung bestimmt sich danach, was ein besonnener und gewissenhafter Mensch in der konkreten Lage aus einer ex-ante-Betrachtung getan hätte.
Gibt es besondere Normen, die den Sorgfaltsmaßstab festlegen (z.B. die Normen der StVO), werden diese herangezogen. Man spricht von sog. Sondernormen. Fehlen Sondernormen , treten ungeschriebene Sorgfaltsregeln und Verkehrsgepflogenheiten an deren Stelle.
Besonders relevant und in Klausuren beliebt ist die Abgrenzung von dolus eventualis zu bewusster Fahrlässigkeit.
Hierfür gibt es eine Vielzahl an Theorien, die in die zwei Gruppen der voluntativen und kognitiven Theorien unterteilt werden können.
Nach der Möglichkeitstheorie handelt der Täter mit Eventualvorsatz, wenn er den Erfolgseintritt für möglichhält. Maßgeblich sei, dass sich der Täter wissentlich über die Verbotsvorschriften hinwegsetzt. Diese Auffassung ist abzulehnen, da sie den Vorsatz zu weit in den Bereich der bewussten Fahrlässigkeit ausdehnt. Zudem verleiht sie der Fiktion, dass im Festhalten am Tatentschluss zwangsläufig eine Entscheidung für die mögliche Rechtsgutverletzung liegen muss, zu viel Gewicht.
Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie muss der Täter den Erfolg auch für wahrscheinlich halte, da derjenige, der einen Erfolg für möglich hält noch auf einen guten Ausgang hoffen und daher bewusst fahrlässig handeln könne. Auch diese Theorie ist nicht hilfreich, da sie zu keiner klaren Grenzziehung zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz imstande ist. Es ist nicht festzulegen was die Kriterien „möglich“ und „überwiegend wahrscheinlich“ bestimmen soll.
Diesen kognitiven Theorien ist gemein, dass sie auf ein Willenselement verzichten. Eben dies macht es aber schwierig, den bedingten Vorsatz von der Fahrlässigkeit abzugrenzen. Daher stehen die Vertreter der voluntativen Theorien auf dem Standpunkt, dass ein Willenselement unabdingbar sei. Innerhalb dieser Theorien ist aber wiederum umstritten, welche Voraussetzungen an das Willenselement zu stellen sind.
Nahe bei der Billigungstheorie liegt die Ernstnahmetheorie. Nach ihr ist es für das Vorliegen des Vorsatzes erforderlich, dass der Täter die Möglichkeit des Erfolges erkennt, ernst nimmt und sich mit ihr abfindet. Dieser Ernstnahme steht das Handeln aus bloßem Leichtsinn bei der Fahrlässigkeit gegenüber.
Ähnlich ist auch die Gleichgültigkeitstheorie, nach der es ausreichen soll, wenn der Täter den Erfolg für möglich hält und er ihm mindestens gleichgültig oder sogar erwünscht ist. Die Gleichgültigkeitstheorie erweist sich jedoch als zu einseitig, da sie unter dem Aspekt des Gesinnungsunwerts nur einen Teilaspekt des Problemkomplexes erfasst.
Die herrschende Ansicht innerhalb der voluntativen Theorien verlangt für das Vorliegen des Vorsatzes, dass der Täter den Erfolg für möglich hält und ihn zumindest billigend in Kauf nimmt. Für ein Billigen im Rechtssinn ist es ausreichend, wenn der Täter sich mit dem, auch möglicherweise unerwünschten, Erfolg abfindet.
Natürlich kann diesen Theorien vorgeworfen werden, dass das Element des Billigens oder auch der Ernstnahme in der Praxis sehr schwer nachzuweisen seien. Alleine dies reicht aber noch nicht für die Ablehnung der voluntativen Theorien aus. Im Gegensatz zu den kognitiven Theorien ermöglichen sie eine saubere Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit. Allein die Gleichgültigkeitstheorie scheint weniger überzeugend, da das Nicht-Vorliegen von Gleichgültigkeit nicht unbedingt bedeuten muss, dass der Täter ohne Vorsatz handelt. Abzustellen ist deshalb auf das Für-Möglichhalten des Erfolges und die billigende Inkaufnahme des Täters.
Ein Problem bei der Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs ergibt sich, wenn der Täter Sonderwissen oder Sonderkönnen aufweist, bspw. ein Täter, der eine gefährliche Kreuzung besonders gut kennt.
Nach herrschender Meinung muss dieses Sonderwissen oder -können bei der Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs berücksichtigt werden.
2. Objektive Voraussehbarkeit des Kausalverlaufs
Beim Fahrlässigkeitsdelikt treten in Bezug auf die objektive Voraussehbarkeit des Kausalverlaufs keine Besonderheiten auf.
Tipp: Beschäftige dich zur Wiederholung mit den Voraussetzungen der objektiven Zurechnung.
3.Objektive Zurechnung
a) Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Der Gedanke der objektiven Zurechnung kommt im Fahrlässigkeitsdelikt als Pflichtwidrigkeitszusammenhang zur Geltung.
Im Erfolgseintritt muss sich gerade die durch die Pflichtwidrigkeit gesetzte Gefahr auswirken.
Dem Täter soll der Erfolg nur zugerechnet werden, wenn der Eintritt des Erfolgs bei pflichtgemäßem Alternativverhalten zu vermeiden gewesen wäre.
Nach der Risikoerhöhungslehre ist es bereits ausreichend, wenn der Täter das Risiko für den Erfolgseintritt mit seinem Verhalten wesentlich erhöht hat.
Die Risikoerhöhungslehre leidet unter einem inneren Begründungsdefizit, indem sie behauptet, dass die Bestrafung des Täters wegen seiner sorgfaltswidrig gesetzten Risiken zur Durchsetzung der Sorgfaltsnorm geboten sei. Deren Durchsetzung dient jedoch die dort angedrohte Rechtsfolge schon. Ob durch den Sorgfaltsnormverstoß auch eine Strafnorm verletzt ist und deren Sanktion zu verhängen ist, bleibt offen.
Zudem verstößt die Anwendung der Risikoerhöhungslehre gegen den grundgesetzlich verankerten Grundsatz der Unschuldsvermutung (in dubio pro reo), wenn sie den Täter schon dann bestraft, wenn der Erfolg auf der Handlung beruhen kann.
Deshalb haben sich die Rechtsprechung und die herrschende Meinung auf die folgende Formel geeinigt: die Realisierung der Pflichtwidrigkeit im Erfolg muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen.
b) Schutzzweckzusammenhang
Die objektive Zurechnung entfällt, wenn der Eintritt des Erfolgs außerhalb des Schutzbereichs der übertretenen Sorgfaltsnorm liegt.
Es muss also bestimmt werden, ob nach dem Sinn und Zweck der jeweiligen Norm gerade der eingetretene Erfolg vermieden werden soll.
Ein bekanntes Problem im Rahmen des Schutzzweckzusammenhangs sind die Schockschäden: Schockschäden meinen physische und psychische Folgen, die auftreten können, wenn man vom Unglück eines anderen erfährt. So beispielsweise ein Zusammenbruch als Reaktion auf die Todesnachricht eines nahen Angehörigen. Nach herrschender Meinung haftet der Täter nicht für Schockschäden, da es nicht der Zweck der §§ 222, 229 StGB ist, andere Personen als das Tatopfer zu schützen.
Eine weiter problematische Fallgruppe bilden die Spätfolgen. Spätfolgen meinen mögliche Schäden, die nach einer Primärverletzung verbleiben. Stirbt das Tatopfer Jahre später an solchen Spätfolgen, kann der Täter nicht nach den §§ 222, 229 StGB bestraft werden. Nach der herrschenden Meinung ist die Tat bereits mit der ersten Bestrafung mit allen, möglicherweise erst zukünftig auftretenden Folgen, abgegolten.
4. Rechtswidrigkeit
Auch bei Fahrlässigkeitsdelikten kommen Rechtfertigungsgründe, wie die Einwilligung, die Notwehr nach § 32 StGB oder der Notstand nach § 34 StGB in Betracht.
Im Rahmen der Fahrlässigkeit braucht sich die Einwilligung nicht auf die Verletzung selbst zu beziehen. Vielmehr genügt es, wenn der Verletzte in Kenntnis der besonderen Gefahr in die Vornahme der an sich sorgfaltswidrigen Handlung und damit in die Gefährdung einwilligt, weil das hier bestehende gesteigerte Risiko einer Verletzung schon dann eingegangen werden darf, wenn der Einwilligende diese bewusst auf sich nimmt.
Im Rahmen der Notwehr, § 32 StGB ist es umstritten, ob ein subjektive Rechtfertigungselement (Verteidigungswille) vorliegen muss.
Einer Ansicht nach ist ein Verteidigungswille ist notwendig. Auch bei unbewusster Fahrlässigkeit sei ein genereller Verteidigungswille denkbar. Zu klären sei nur, ob der generelle Verteidigungswille zumindest so konkret sein muss, dass er den richtigen Angriff erfasst.
Dagegen spreche, dass sie Strafbarkeit bei unbewusster Fahrlässigkeit nicht voraussetzt, dass der Täter der Beeinträchtigung des Rechtsguts bewusst war. Zu verlangen, dass der generelle Verteidigungswille auch den richtigen Angreifer und das richtige angegriffene Rechtsgut umfasst, würde bedeuten, an die Rechtfertigung höhere Anforderungen zu stellen als an die Begründung der Strafbarkeit. Ein tauglicher genereller Verteidigungswille reiche deshalb aus.
Anderer, herrschender Meinung nach ist das subjektive Rechtfertigungselement des Verteidigungswillens im Rahmen eines Fahrlässigkeitsdelikts entbehrlich.
Das Erfolgsunrecht der Fahrlässigkeitstat wird durch die objektiv gegebene Rechtfertigungslage aufgehoben. Der verbleibende Handlungsunwert entspricht nur noch dem des Versuchs. Da fahrlässiger Versuch nicht strafbar ist, ist kein subjektives Rechtfertigungselement nötig, das den Handlungsunwert kompensieren würde.
5. Schuld
Bei der Prüfung der Schuld beim Fahrlässigkeitsdelikt sind zwei Besonderheiten zu beachten.
Zum einen ist das Vorliegen subjektiver Fahrlässigkeit festzustellen.
Der Täter muss bei Begehung der Tat nach seinen persönlichen und Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage gewesen sein, die Sorgfaltspflicht zu erfüllen und die Verwirklichung des Tatbestands hervorzusehen.
Zum anderen ist die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens zu prüfen. War dem Täter die Erfüllung der entsprechenden Sorgfaltspflicht in solch außergewöhnlichem Maße erschwert, dass die Unterlassung des sorgfaltswidrigen Verhaltens die Aufopferung eigener billigenswerter Interessen bedeutet hätte, handelt er ohne Schuld.
B. Das fahrlässige unechte Unterlassungsdelikt
Auch Fahrlässigkeitsdelikte können durch Unterlassen verwirklicht werden.
Prüfungsschema: Fahrlässiges unechtes Unterlassungsdelikt
- I. Tatbestand
- 1. Erfolg
- 2. Unterlassen der Rettungshandlung
- 3. Hypothetische Kausalität
- 4. Garantenstellung
- 5. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
- 6. Objektive Zurechnung
- a) Objektive Vorhersehbarkeit (des groben Kausalverlaufs und des Erfolgseintritts)
- b) Pflichtwidrigkeitszusammenhang
- c) Schutzzweckzusammenhang
- d) Abgrenzung von Verantwortungsbereichen (Zumutbarkeit)
- II. Rechtswidrigkeit
- III. Schuld
Im Rahmen der objektiven Zurechnung gelten die allgemeinen Fahrlässigkeitsgrundsätze.
C. Erfolgsqualifizierte Delikte
Im StGB gibt es mehrere erfolgsqualifizierte Delikte, die die Strafschärfung über sog. Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen einsetzen. Bei Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen muss der Täter das Grunddelikt vorsätzlich begangen haben, die schwere Folge, aber fahrlässig herbeigeführt haben. Das häufigste Beispiel hierfür ist die Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB.
Prüfungsschema: Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen
- 1. Vorsätzliches Grunddelikt
- a) Objektiver Tatbestand
- b) Subjektiver Tatbestand
- 2. Rechtswidrigkeit
- 3. Schuld
- 4. Qualifizierende Folge
- 5. Spezifischer Gefahrzusammenhang
- 6. Fahrlässigkeit
- a) Objektive Fahrlässigkeitselemente
Einfache oder grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht - b) Subjektive Fahrlässigkeitselement
Vorwerfbarkeit der Sorgfaltspflichtverletzung in Hinblick auf persönliche Kenntnisse und Fähigkeiten, sowie konkret-individuelle Vorhersehbarkeit
- a) Objektive Fahrlässigkeitselemente
D. Täterschaft und Teilnahme beim Fahrlässigkeitsdelikt
Grundsätzlich setzt die Teilnahme gem. §§ 26, 27 StGB ein vorsätzliches Handeln voraus. Dementsprechend ist eine Teilnahme bei Fahrlässigkeitsdelikten nicht möglich.
Dies muss aber nicht zwingend mit Straflosigkeit einhergehen. Eine in Frage kommende Teilnahmehandlung kann eine eigene Sorgfaltspflichtverletzung darstellen, die eine eigene Fahrlässigkeitsstrafbarkeit zur Folge hat. Es würde Nebentäterschaft vorliegen.
Darüber hinaus soll es einer Ansicht nach fahrlässige Mittäterschaft geben. Dies wird damit begründet, dass -anders als in den §§ 26, 27 StGB – in § 25 II StGB kein bewusstes oder gewolltes Zusammenwirken gefordert ist.
Der Streit hat in der Klausurlösung allerdings keine allzu große Bedeutung, da sich ebenfalls mit der Figur der Nebentäterschaft beholfen werden kann.