I. Der Beschuldigtenbegriff
Der Begriff des Beschuldigten ist zum einen der Oberbegriff des Strafprozesssubjekts (Beschuldigter im weiteren Sinne), meint zum anderen aber auch den Verfolgten im Rahmen des Ermittlungsverfahren (Beschuldigter im engeren Sinne).
Tipp: Keine Lust zu Lesen? Dann empfehlen wir dieses Video zum Beschuldigten.
Problematisch (und klausurrelevant) ist die Definition des Beschuldigten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens. Die Voraussetzungen dieser Beschuldigtenstellung sind in Literatur und Rechtsprechung noch immer nicht gänzlich geklärt.
Nach einer sehr weiten Ansicht, die einen materiellen Beschuldigtenbegriff vertritt, ist allein maßgeblich, ob faktisch ein Tatverdacht besteht. Die Beschuldigtenstellung ist danach rein objektiv zu bestimmen.
Die dazu konträre Ansicht beurteilt die Frage nach der Beschuldigtenstellung rein subjektiv nach dem staatlichen Strafverfolgungswillen gegen eine bestimmte Person.
Der BGH (herrschenden Meinung) geht den „goldenen Mittelweg“ und bestimmt den Beschuldigtenbegriff anhand objektiver und subjektiver Kriterien, dieser Definition ist auch in der Klausur ausschließlich zu folgen:
Die Beschuldigteneigenschaft ist zu bejahen, wenn objektiv ein Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO besteht und die Ermittlungsbehörden diesen zum Anlass nehmen, das Strafverfahren förmlich gegen die betroffene Person zu führen, mit anderen Worten also subjektiv ein Verfolgungswille besteht.
Streitentscheid:
Gesetzlich ist in § 152 Abs. 2 StPO zwingend das Vorliegen eines Tatverdachts vorgesehen. Dies spricht für die erstgenannte Ansicht. Die StPO hingegen setzt voraus, dass Tatverdächtige existieren, die keine Beschuldigten sind. Ein Tatverdacht im Sinne der erstgenannten Theorie ist daher notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung. Zudem ergeben sich bei der erst genannten Auffassung Probleme hinsichtlich der Zeugenstellung von Beschuldigten in anderen Verfahren. Ein Beschuldigter könnte im Rahmen eines gegen einen Dritten gerichteten Strafverfahrens nicht mehr die Rechtsposition eines Zeugen einnehmen, wenn er objektiv verdächtig ist, an der Straftat beteiligt zu sein, die dort den Verfahrensgegenstand bildet.
Erforderlich ist mithin eine Zuschreibung durch den Akt der Beschuldigung. Dies setzt im Sinne der zweiten Ansicht einen Willen hierzu voraus. Dieser rein subjektive Akt kann alleine jedoch wiederum nicht ausreichen, denn er bringt die Gefahr der Rechtsunsicherheit. Zudem würde das Bestehen einer Beschuldigtenstellung ohne objektiven Tatverdacht zu einer deutlichen Einschränkung der Rechte des Betroffenen führen.
Erforderlich ist daher eine objektive Beurteilung der Lage, auf der der Wille zur Verfolgung fußt (BGH).
Zeitlich beginnt der Status als Beschuldigter daher, sobald ein Tatverdacht gegen eine konkrete Person vorliegt sowie eine Strafverfolgung iSd. § 152 Abs. 2 StPO geboten ist. Der Status als Beschuldigter endet mit einer rechtskräftigen Entscheidung oder dem Tod des Beschuldigten.
Definition: Ein Tatverdächtigter wird zum Beschuldigten, wenn die Strafverfolgungsbehörde ein Ermittlungsverfahren gegen diese Person eingeleitet hat oder einleiten will und der Tatverdacht objektiv begründet ist.
II. Rechte des Beschuldigten
An die Beschuldigtenstellung werden kraft Gesetzes zahlreiche Rechte geknüpft:
- Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG (§§ 136 Abs. 1, 163a Abs. 1 StPO)
- das Recht in der Vernehmung, jede Aussage zur Sache zu verweigern, §§ 136 Abs. 1 S. 2 i.V.m. 163a Abs. 3 S. 2 (für die Staatsanwaltschaft), Abs. 4 S. 2 (für die Polizei) StPO
- das Recht auf Verteidigung, § 137 StPO (der Verteidiger hat bei richterlicher und bei staatsanwaltlicher Vernehmung des Beschuldigten und eines Zeugen ein Anwesenheitsrecht (§ 168c evtl. iVm § 163a Abs. 3 S. 2 StPO)).
- das Recht, Beweisanträge zu stellen, §§ 219, 244 ff. StPO
- eigenes Anwesenheitsrecht bei Zeugenvernehmungen, § 168c Abs. 2 StPO
III. Klassiker: Das Vorenthalten der Beschuldigtenstellung
Diese Rechte sind für den Beschuldigten von großer Bedeutung. Daher ist es auch wichtig, den Beschuldigten seine Beschuldigtenstellung offenzulegen. Er kann diese Rechte aber nur geltend machen, wenn er die Voraussetzungen der Beschuldigtenstellung erfüllt, wenn also gegen ihn ein Tatverdacht besteht und die Ermittlungsbehörden dies zum Anlass nehmen, gegen ihn ein Strafverfahren förmlich zu führen.
Letztere Voraussetzung gibt den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, bewusst kein Strafverfahren gegen einen Verdächtigen einzuleiten und ihn somit um seine Beschuldigtenrechte zu bringen.
Dieses Vorenthalten der Beschuldigtenstellung ist unzulässig (!)
Zwar ist es grundsätzlich der Staatsanwaltschaft als Herrin des Vorverfahrens überlassen, ob sie jemanden als Zeugen oder Beschuldigten vernimmt. Sie kann insbesondere auch am Ort des Tatgeschehens erst einmal alle Anwesenden formlos befragen.
Sie darf jedoch nicht den einer Straftat Verdächtigen aus sachfremden Gründen willkürlich in die Rolle eines Zeugen drängen, obgleich gute Gründe vorliegen, ihn als Beschuldigten der Straftat zu verfolgen.
Insbesondere darf sie den Beschuldigten nicht in die Rolle des Zeugen drängen um ihn so einem Aussage- oder Eideszwang auszusetzen. Dies widerspricht dem nemo-tenetur-Grundsatz („niemand muss sich selbst belasten“).
IV: Pflichten des Beschuldigten
Weiterhin gehen mit der Offenlegung der Beschuldigtenstellung einige Pflichten einher. Diese sind:
- die Erscheinungspflicht, § 163a III StPO (bei Ladung der StA, nicht bei Ladung der Polizei außer die beruht auf einer StA verantwortlichen Ladungspflicht).
- die Duldungpflicht (von Zwangs- und Ermittlungsmaßnahmen, eine aktive Mitwirkungspflicht gibt es hingegen aufgrund des „Memo tenetur- Grundsatzes“nicht!)
- das Erscheinen in der Hauptverhandlung, §§ 230, 231 StPO.
Tipp: Mehr zum Thema? Dann empfehlen wir dieses Video zum Beschuldigten.
Quellen
- Hanack in JR 1977, S. 434ff.
- BGH, Urt. v. 03.07.2007 – 1 StR 3/07