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I. Allgemeines zum Gutachtenstil
Bevor man sich mit der Technik des Gutachtenstils befasst, braucht man ein ungefähres Verständnis von der Funktionsweise juristischer Schlussfolgerungen.
Dabei handelt es sich um die Anwendung allgemeiner Sollenssätze (Normen) auf konkrete Situationen (Sachverhalt). Um aus allgemeinen Sätzen für den konkreten Sachverhalt gültige Aussagen zu gewinnen, bedient man sich eines logischen Schlusses, der Syllogismus genannt wird.
1. Syllogismus
Grundsätzlich handelt es sich hierbei um ein Frage-Antwort-Spiel. Antworten sind hierzu in Form von Aussagen zu treffen, was in den juristischen Sprachgebrauch automatisch übergeht. Durch syllogistische Schlüsse lassen sich aus bereits vorhandenen Aussagen neue gewinnen und so Fragen beantworten.
Klassisches Beispiel:
Bin ich sterblich? (Frage)
Alle Menschen sind sterblich. (Allgemeine Aussage) ➜ Ich bin ein Mensch. (Feststellung)
➜ Also bin ich sterblich. (Ergebnis)
Juristisches Beispiel:
Soll der Mörder F bestraft werden?
Alle Mörder sollen bestraft werden, gemäß § 211 StGB ➜ F ist ein Mörder
➜ F soll (als Mörder) bestraft werden.
2. Unterschied zum Urteilsstil
Die mit der skizzierten Methode gefundenen Ergebnisse kann man in der Juristerei auf zwei unterschiedliche Arten präsentieren: den Urteilsstil und den Gutachtenstil.
Beim Urteilsstil wird vom Ergebnis ausgegangen und sodann der Weg dahin erklärt. Er ist durch kausale Nebensätze gekennzeichnet.
Tipp: Für Ausführungen zum Urteilsstil, empfehlen wir diesen Artikel.
Die andere – und für das Studium relevantere Art – ist der Gutachtenstil. Er wird alleine im Konjunktiv verfasst und durch Hypothesen gestützt. Dabei wird von einer Frage/Vermutung ausgegangen und sodann der Weg zum Ergebnis „abgearbeitet“.
II. Der Gutachtenstil
Zuerst müssen die Voraussetzungen herausgefiltert werden. Dann wird nach den richtigen Rechtsnormen im Gesetz gesucht.
Weiterhin müssen die abstrakt beschriebenen Voraussetzungen aus dem Gesetz auf den Sachverhalt angewendet werden. Dafür verwendet man die sogenannte Subsumtion. Jede einzelne Voraussetzung wird benannt, dann definiert und schließlich der Sachverhalt unter die Definitionen subsumiert.
Das bedeutet, dass der Sachverhalt so verglichen wird, dass man entscheiden kann, ob die tatsächlichen Umstände (Sachverhalt) den gesetzlichen Voraussetzungen (Tatbestand) untergeordnet werden können oder nicht.
Als letztes erfolgt die Folgerung. Das Ergebnis kommt im Gutachten immer nach der Subsumtion.
1. Obersatz
Der Obersatz besteht in der Regel aus einer Norm, also einer präskriptiven Aussage des Inhalts, dass bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine bestimmte Rechtsfolge eintreten solle.
Allgemein ausgedrückt wird es so formuliert: Die Rechtsfolge tritt ein, wenn die im Tatbestand beschriebenen Voraussetzungen vorliegen.
Im Zivilrecht gilt zudem die Faustregel: Wer will Was von Wem Woraus?
Der Obersatz wird zumeist im Konjunktiv geschrieben, da man nur davon ausgeht, dass sich der Tatbestand verwirklicht haben könnte.
Beispiel: A könnte sich aufgrund des Faustschlages gegenüber B gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.
2. Definition
Daraufhin folgt eine gut formulierte Definition, wann der Anspruch/die Strafbarkeit vorliegt.
Beispiel: Dazu müsste A den B körperlich misshandelt und/oder an der Gesundheit geschädigt haben. Eine körperliche Misshandlung im Sinne der Norm ist jede üble unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Eine Gesundheitsschädigung besteht in jedem Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustands.
3. Subsumtion
Daraufhin erfolgt die Subsumtion, das heißt die Unterordnung des konkreten Sachverhalts unter die abstrakte Norm oder das abstrakte Merkmal. Es wird festgestellt, ob der vorliegende Sachverhalt unter die ausgesuchte Rechtsnorm (oder mehrere) passt.
Beispiel: Der Faustschlag traf den B mitten ins Gesicht, dadurch erlitt der B Schmerzen, welche sein Wohlbefinden nicht unerheblich beeinträchtigten, und ein Hämatom unterhalb des Auges, welches ein Normabweichenden Zustand darstellt.
4. Ergebnis
Hier wird festgestellt, dass die in einer Norm angeordnete Rechtsfolge auch für den vorliegenden Sachverhalt einschlägig ist – oder eben nicht, wenn nicht alle notwendigen Voraussetzungen vorliegen.
Beispiel: Mithin liegt eine für die Norm des § 223 Abs. 1 StGB notwendige Körperverletzung vor.
III. Tipps zum Gutachtenstil
1. Der Anspruch aus § 194 BGB
Eine Partei will von einer anderen Partei etwas aufgrund einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage. Ohne Anspruch darf niemand etwas von einem anderen Menschen verlangen. Dieser Anspruch wird im Bürgerlichen Gesetzbuch in § 194 definiert.
2. Exakte juristische Definitionen verwenden
Typisch für das Gutachten sind die genauen Definitionen aller Begriffe. Sicherlich liegt es auf der Hand, dass Angebot und Annahme vorliegen. Dennoch wird von einem guten Gutachten erwartet, dass diese beiden Begriffe mit der exakten juristischen Definition benannt werden.
3. Korrekte Einhaltung der Prüfungsreihenfolge
Der Gutachtenstil sollte immer sauber eingehalten werden. Die korrekte Reihenfolge jeder Prüfung eines Tatbestandsmerkmals lautet: Obersatz, Tatbestandsmerkmale, Definitionen, Subsumtion, Ergebnis!
4. Vorsichtiger Gebrauch von der erlaubten Ausnahme
Es gibt nur eine einzige Ausnahme vom Grundsatz des stringenten Einhaltens des Gutachtenstils. Studenten, die den Gutachtenstil nicht perfekt im Detail beherrschen, sollten von dieser Ausnahme eher keinen Gebrauch machen. Alle unproblematischen Fragestellungen dürfen mit einem Satz im Urteilsstil abgehandelt werden.
Die Frage, die sich aber immer für Studierende stellen sollte, lautet: Ist das Tatbestandsmerkmal wirklich unproblematisch oder habe ich das Problem nicht erkannt? Erst wenn ein Fall bis in den letzten Punkt hinterfragt ist, können die Prüflinge sicher sein, kein wichtiges Problem übersehen zu haben.
Rasch ist ein Fall falsch entschieden, weil die Richtung der Fragestellung verkannt wurde. So werden wertvolle Punkte verschenkt. Daher sollte der Urteilsstil erst in den höheren Semestern verwendet werden. Doch kaum ein Prüfer wird die einheitliche Verwendung des Gutachtenstils auch bei unproblematischen Fragen verübeln. Ein guter Gutachtenstil ist besser als ein sprachlich gelungener Satz im Urteilsstil, der zum falschen Ergebnis führt.
3. Alle Gutachten vor Abgabe genau kontrollieren
Rasch kann sich aus Unachtsamkeit der Urteilsstil auch einmal in einem studentischen Gutachten einschleichen. Es gibt aber einen guten Trick, diesen Fehler zu vermeiden. Da der Urteilsstil leicht an den beiden Konjunktionen „denn“ und „weil“ zu erkennen ist, sollte das Gutachten aufmerksam auf diese beiden Worte durchgelesen werden. Sobald ein Studierender diese Signal-Worte in seiner Arbeit sieht, sollte er an diesen Stellen seine Arbeit in den Gutachtenstil umformulieren. Diese Korrekturen können viel Ärger und Enttäuschung vermeiden.
4. Gezieltes Prüfen von Beginn an des
Für Anfänger bieten sich leichte Übungen im Gutachtenstil an, die mit der Zeit zur selbstverständlichen Gewohnheit werden. Der Satz „Wer will was von wem woraus?“ und die Reihenfolge Obersatz, Tatbestandsmerkmale, Definitionen, Subsumtion, Ergebnis sind für jeden Jura-Studierenden das, was das kleine Einmaleins für Grundschüler ist.