I. Der Grundgedanke hinter dem gutgläubigen Erwerb
Grundsätzlich kann das Eigentum an einer Sache nur vom Eigentümer selbst erworben werden. Der Erwerber kann aber oft nicht so leicht nachvollziehen, ob sie tatsächlich dem Veräußerer gehört. Die Vorschriften des gutgläubigen Erwerbs dienen daher dem Verkehrsschutz und ermöglichen auch einen Erwerb vom Nichtberechtigten.
Liegt ein auf dem Besitz beruhender Rechtsschein vor, kann der Erwerber sich hierauf verlassen. So wird gemäß § 1006 I 1 BGB bezüglich des Besitzers einer beweglichen Sache grundsätzlich vermutet, dass er ihr Eigentümer ist.
Nach dem sogenannten Veranlassungsprinzip soll dies jedoch nur gelten, wenn der Nichtberechtigte die Sache auch von dem Eigentümer erhalten hat. Dieser Gedanke findet in § 935 BGB Ausdruck: Gemäß § 935 I 1 BGB tritt der Erwerb des Eigentums auf Grund der §§ 932 bis 934 BGB nicht ein, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen war.
Beachte aber: Nach § 935 II BGB steht ein Abhandenkommen der Sache dem gutgläubigen Erwerb von Geld, Inhaberpapieren sowie Sachen, die im Wege öffentlicher Versteigerung oder in einer Versteigerung nach § 979 I a BGB veräußert werden, nicht entgegen.
II. Rechtsgeschäfte im Sinne eines Verkehrsgeschäfts
Die Gutglaubensvorschriften finden außerdem nur auf einen rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb Anwendung. Er muss also auf einer Einigung der Parteien beruhen. Der gutgläubige Erwerb ist demnach nicht bei einem gesetzlichen Eigentumserwerb bzw. während der Zwangsvollstreckung möglich.
Außerdem muss ein Verkehrsgeschäft vorliegen. Das bedeutet, dass sich auf der Seite des Erwerbers mindestens eine Person befinden muss, die selbst bei einer wirtschaftlichen Betrachtung nicht gleichzeitig auf der Seite des Veräußerers steht.
III. Die Gutgläubigkeit des Erwerbers
Die Gutgläubigkeit des Erwerbers ist die wichtigste Voraussetzung für die Erlangung des Eigentums von einem Nichtberechtigten. Gemäß § 932 II BGB ist der Erwerber nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört. Hieraus geht hervor, dass der Erwerber in gutem Glauben hinsichtlich des Eigentums des Veräußerers sein muss. Der gute Glaube an die Verfügungsberechtigung ist hingegen nicht ausreichend. Eine wichtige Ausnahme hierzu befindet sich in § 366 HGB.
Grob fahrlässige Unkenntnis liegt indessen vor, wenn der Erwerber die erforderliche Sorgfalt in einem ungewöhnlich hohen Maß missachtet. Zu beachten ist ferner, dass der gute Glaube grundsätzlich vermutet wird. Dies wird an der Formulierung „es sei denn, dass er nicht in gutem Glauben ist“ im Rahmen der §§ 932 bis 934 BGB deutlich.
IV. Die verschiedenen Arten des gutgläubigen Erwerbs
Die Vorschriften, die einen gutgläubigen Erwerb ermöglichen, sind in den §§ 932 bis 934 BGB geregelt. Sie korrespondieren mit den verschiedenen Übereignungstatbeständen in den §§ 929 bis 931 BGB.
Im Einzelnen gibt es die folgenden vier Möglichkeiten eines gutgläubigen Erwerbs:
1. Gutgläubiger Erwerb gemäß §§ 929 S. 1, 932 I 1, II BGB
Der gutgläubige Erwerb gemäß §§ 929 S.1, 932 I 1, II BGB bezieht sich auf die herkömmliche Eigentumsübertragung durch Einigung und Übergabe gemäß § 929 S. 1 BGB.#
Prüfungsschema
- Einigung und Übergabe, § 929 S. 1 BGB
- Einigsein zum Zeitpunkt der Übergabe
- Fehlende Berechtigung des Veräußerers
- Gutgläubigkeit des Erwerbers gemäß § 932 II BGB zum Zeitpunkt der Übergabe
- Kein Abhandenkommen der Sache, § 935 BGB
2. Gutgläubiger Erwerb gemäß §§ 929 S.2, 932 I 2, II BGB
Dieser Erwerbstatbestand findet in der Situation Anwendung, dass sich die Sache bereits im Besitz des Erwerbers befindet. Hierbei wird verlangt, dass der Erwerber den Besitz auch von dem Veräußerer erhalten hat.
Prüfungsschema
- Einigung
- Besitz des Erwerbers (unmittelbar oder mittelbar)
- Fehlende Berechtigung des Veräußerers
- Besitzerwerb vom Veräußerer, § 932 I 2 BGB
- Gutgläubigkeit des Erwerbers, § 932 II BGB
- Kein Abhandenkommen der Sache, § 935 BGB
3. Gutgläubiger Erwerb gemäß §§ 929 S. 1, 930, 933 BGB
Ein gutgläubiger Erwerb bei einem Besitzkonstitut ist erst vollendet, wenn die Sache dem Erwerber durch den Veräußerer übergeben worden ist und seine Gutgläubigkeit zu diesem Zeitpunkt noch besteht.
Prüfungsschema
- Einigung
- Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses
- Einigsein
- Fehlende Berechtigung des Veräußerers
- Übergabe der Sache vom Veräußerer an den Erwerber, § 933 BGB
- Gutgläubigkeit des Erwerbers zum Zeitpunkt der Übergabe, § 932 II BGB
- Kein Abhandenkommen der Sache, § 935 BGB
4. Gutgläubiger Erwerb gemäß §§ 929 S.1, 931, 934 BGB
Der gutgläubige Erwerb bei Abtretung des Herausgabeanspruchs ist in zwei Varianten denkbar: Sofern der Veräußerer mittelbarer Besitzer ist, vollzieht sich der Erwerb bereits durch die Abtretung seines Herausgabeanspruchs an den Erwerber. Hat er dagegen keinen mittelbaren Besitz, liegt ein gutgläubiger Eigentumserwerb erst vor, wenn der Erwerber den Besitz von dem Dritten erlangt.
Prüfungsschema
- Einigung
- Abtretung des Herausgabeanspruchs
- Einigsein
- Fehlende Berechtigung des Veräußerers
- Erlangung des mittelbaren Besitzes vom Veräußerer (§ 934 Alt. 1 BGB) oder Erlangung des Besitzes vom Besitzmittler (§ 934 Alt. 2 BGB)
- Gutgläubigkeit des Erwerbers zum Zeitpunkt der Besitzerlangung, § 932 II BGB
- Kein Abhandenkommen der Sache, § 935 BGB
V. Ausgleichsansprüche
Hat der Eigentümer sein Eigentum aufgrund eines gutgläubigen Erwerbs verloren, steht ihm gegen den Nichtberechtigten der Anspruch aus § 816 I 1 BGB zu. Demnach ist der Nichtberechtigte zur Herausgabe des durch die Verfügung Erlangten verpflichtet. Darüber hinaus kann der Eigentümer die Ansprüche aus § 823 I BGB, §§ 989, 990 BGB und § 687 i.V.m. §§ 681 S. 2, 667, 678 BGB gegen ihn geltend machen. An den Erwerber kann sich der Eigentümer gemäß § 816 I 2 BGB lediglich wenden, wenn die Verfügung unentgeltlich erfolgt ist.
VI. Sonderproblem: Rückerwerb des Nichtberechtigten
Problematisch ist die Konstellation, wenn die Sache gutgläubig erworben wurde und aufgrund eines Rücktritts nun an den nichtberechtigten Veräußerer zurückfällt. Normalerweise wäre der Nichtberechtigte nun der Eigentümer der Sache.
Nach anderer Ansicht soll das Eigentum in dieser Situation jedoch automatisch an den früheren Eigentümer zurückfallen, wenn die Übereignung sich lediglich aufgrund der Rückabwicklung des Vertrages ergibt bzw. der bösgläubige Nichtberechtigte die Sache weiterverkauft, um sie schließlich von dem gutgläubigen Käufer zurückzuerlangen.
Quellen
- Brehm, Wolfgang/Berger, Christian: Sachenrecht, 3. Aufl., Tübingen 2014
- Kropholler, Jan/Jacoby, Florian, von Hinden, Michael: Studienkommentar BGB, 13. Aufl., München 2011
- Wolf, Manfred/Wellenhofer, Marina: Sachenrecht, 27. Aufl., München 2012