A. Sachverhalt
A begab sich in der Absicht, einen Überfall zu verüben, in eine Drogerie. Als ihr dort die Verkäuferin B den Rücken zuwandte, holte A aus ihrer Handtasche einen Labello, trat hinter die Verkäuferin und drückte ihr den Stift in den Rücken. Dadurch wollte sie bei B die Vorstellung erwecken, dass sie diese mit einer Waffe bedrohen würde. B hielt den Labello tatsächlich für eine solche und händigte deshalb der A auf deren Forderung hin Bargeld i.H.v. rund 140 Euro aus. Die Vorinstanz verurteilte die A wegen schwerer räuberischer Erpressung. Hiergegen wendete sich die A mit einer Revision zum BGH.
B. Lösung anhand der BGH-Rechtsprechung
I. Strafbarkeit wegen schwerer räuberischer Erpressung, §§ 253, 255 i.V.m. § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB
Prüfungsschema §§ 253, 255 i.V.m. § 250 StGB
- Objektiver Tatbestand
- Tatbestand des Grunddelikts
- Nötigung: Gewalt gegen eine Person oder Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben
- Nötigungserfolg: Handeln, Dulden oder Unterlassen
- Vermögensverfügung (str.)
- Vermögensnachteil
- Tatbestand der Qualifikation
- Tatbestand des Grunddelikts
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz hins. Grunddelikt und Qualifikation
- Bereicherungsabsicht
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
Tipp: Wenn die Tatbestandsmerkmale der Erpressung(§ 253 StGB) oder der räuberischen Erpressung (§§ 253, 255 StGB) nicht mehr sitzen, lies hier!
II. Strafbarkeit im Detail
1. Objektiver Tatbestand des §§ 253, 255 StGB
a. Gewalt gegen eine Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr
Das Bedrohen mit einer Waffe kann prinzipiell unter beide Tatbestandsmerkmale subsumiert werden, also sowohl Gewaltanwendung gegen das Opfer als auch eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr darstellen. Der Unterschied zwischen den beiden Merkmalen liegt in einer zeitlichen Komponente.
Während Gewalt etwas Gegenwärtiges darstellt, ist die Drohung auf ein zukünftiges Übel gerichtet.
Definition: Gewalt ist jede – nicht notwendig erhebliche – Kraftentfaltung, durch die physischer oder psychischer Zwang auf das Opfer ausgeübt wird, der sich zumindest körperlich auswirkt.
Definition: Eine Drohung mit einem empfindlichen Übel meint, dass der Täter ein empfindliches Übel in Aussicht stellt, auf das er Einfluss zu haben vorgibt.
In diesem besonderen Fall wird man aufgrund der Ungefährlichkeit des Labellos für das Opfer aber wohl das Vorliegen von Gewalt verneinen müssen. Es bleibt aber bei einer Drohung mit einem empfindlichen Übel.
b. Nötigungserfolg
A müsste die B zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen genötigt haben. Umstritten ist, ob der Nötigungserfolg eine Vermögensverfügung darstellen muss. Dieser Streit wurzelt im Wesentlichen in der Uneinigkeit über das Verhältnis von § 249 StGB zu §§ 253, 255 StGB.
- Die Rspr. sieht die räuberische Erpressung als lex generalis zum Raub und verneint damit das Erfordernis einer Vermögensverfügung.
- Während ein Großteil in der Literatur eine Vermögensverfügung fordert, was sich daraus ergibt, dass eine Parallele zum Betrug, der ebenfalls ein Selbstschädigungsdelikt darstellt, besteht. Dies gilt auch für die räuberische Erpressung, weshalb zwischen ihr und dem Raub ein Exklusivverhältnis angenommen wird.
Hier lag eine Vermögensverfügung seitens der B (und zulasten des Geschäftsinhabers) vor, sodass der Streit dahin stehen kann. So sollte auch im Klausurfall vorgegangen werden, wenn es offensichtlich nicht relevant ist, welcher Meinung man folgt.
c. Vermögensnachteil
Der Vermögensnachteil entspricht der Bestimmung des Vermögensschadens im Rahmen des Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB. Ein Vermögensnachteil liegt im hiesigen Falle ebenfalls vor.
Tipp: Wenn die Tatbestandsmerkmale des Betrugs (§ 263 StGB) nicht mehr sitzen, lies hier!
2. Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr.1 lit. b StGB
Nun kommt das eigentliche Hauptproblem des Falls und auch der Schwerpunkt der Entscheidung des BGH. Die Vorinstanz hatte den Labello unter den § 250 Abs. 1 Nr.1 lit. b StGB subsumiert und damit eine schwere räuberische Erpressung angenommen.
Labello als sonstiges Werkzeug oder Mittel?
Fraglich ist, ob es sich bei dem Labello um ein „sonstiges Werkzeug oder Mittel“ handelt. Wie der Wortlaut schon klarmacht, fallen unter § 250 Abs. 1 Nr.1 lit. b. StGB nur solche Werkzeuge oder Mittel, die nicht bereits unter § 250 Abs. 1 Nr.1 lit. a StGB fallen (Auffangtatbestand). Im Gegensatz zu § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a StGB muss ein Werkzeug i.S.d. § 250 Abs. 1 Nr.1 lit. b StGB nicht abstrakt gefährlich sein. Vielmehr legt die Variante den Schwerpunkt auf die subjektive Komponente, denn sie fordert – im Gegensatz zu § 250 Abs. 1 Nr.1 lit. a StGB – dass der Täter das Werkzeug oder Mittel bei sich führt, „um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden“.
Würde man allein bei diesem Ergebnis bleiben, so wäre der Labello als sonstiges Werkzeug oder Mittel anzusehen. Angesichts des hohen Strafmaßes des §§ 253, 255, 250 StGB (nicht unter 3 Jahre!) scheint eine derartig weite Auslegung des § 250 Abs. 1 Nr.1 lit.b StGB jedoch fragwürdig.
Nach Ansicht des BGH dürfen deshalb objektive Umstände nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. Ein sonstiges Werkzeug oder Mittel liegt nicht bei jedem beliebigen Gegenstand vor. Insbesondere wenn der Gegenstand nach seinem äußeren Erscheinungsbild offensichtlich ungefährlich ist, und deshalb objektiv ungeeignet um auf den Körper des Opfers erheblich einzuwirken, liegt kein sonstiges Werkzeug oder Mittel i.S.d. § 250 Abs. 1 Nr.1 lit.b StGB vor. Denn bei einem objektiv ungeeigneten Werkzeug liegt der Schwerpunkt der Handlung in der Täuschung über die Gefährlichkeit des Werkzeugs, und nicht in der erhöhten Gefahr durch das eigentliche Beisichführen des Werkzeugs. [BGH, Urt. v. 20.06.1996 – 4 StR 147/96].
Im Ergebnis ist nach Ansicht des BGH die Qualifikation des § 250 Abs. 1 Nr.1 lit.b StGB nicht erfüllt gewesen. Da es für die Qualifikation eben gerade nicht ausreicht, dass der Gegenstand zur Drohung lediglich eingesetzt wird – es kommet vielmehr auch darauf an, ob er objektiv gefährlich ist. Wenn der Gegenstand hingegen evident und schlechthin ungeeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen, scheidet laut BGH die Qualifikation gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. b StGB aus.
3. Subjektiver Tatbestand
In subjektiver Hinsicht muss A vorsätzlich und mit Bereicherungsabsicht gehandelt haben.
Definition: Bereicherungsabsicht ist die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu Verschaffen
Es muss insbesondere eine Stoffgleichheit zwischen dem Vermögensnachteil des Opfers und dem Vermögensvorteil des Täters bestehen.
Die Rechtswidrigkeit der angestrebten Bereicherung ist nicht gegeben, sofern dem Täter ein fälliger sowie einredefreier Anspruch auf die Sache zusteht.
Dies ist vorliegend unproblematisch gegeben, da sie die Drogerie um die Einnahmen bringen wollte, um sie sich einzuverleiben. Dies stand auch ohne weiteres im Widerspruch zur Vermögensordnung.
4. Rechtswidrigkeit und Schuld
Schließlich muss A auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Hier sind keine Problematik zu erkennen, in der Klausur kann hier allerdings alles zusätzlich abgebrüht werden.
Tipp: Mehr zur Rechtswidrigkeit im Strafrecht findest du hier!
III. Zusammenfassung
Die restriktive Auslegung des § 250 Abs. 1 Nr.1 lit.b StGB bei objektiv ungeeigneten Gegenständen durch den BGH ist absolut nachvollziehbar und dogmatisch zuzustimmen. Zusammenfassend müssen also für ein Vorliegen eines sonstigen Werkzeugs oder Mittels folgende Voraussetzungen kumulativ gegeben sein:
- Ein Gegenstand, der
- zwar nicht zwingend abstrakt gefährlich ist,
- der jedoch aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes zumindest nicht gänzlich ungeeignet scheint, das Opfer zu verletzen.