I. Grundlagen zum Vorsatz
Eine im Gesetz normierte Definition des Vorsatzes findet sich nicht. Es kann allerdings auf die Wertungen der §§ 15 f. StGB abgestellt werden. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB lautet:
Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich.
Der Vorsatz bezieht sich somit auf die Umstände der Tatbestandsverwirklichung.
Definition: Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Tatbstandsverwirklichung bei Kenntnis aller objektiven Tatumstände.
Geprüft wird der Vorsatz im subjektiven Tatbestand. Er muss sich auf sämtliche objektive Tatbestandsmerkmale beziehen und stellt somit ein subjektives Spiegelbild zum objektiven Tatbestand dar.
Sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale, welche bei Delikten mit überschießender Innentendenz (bspw. der Zueignungsabsicht bei § 242 StGB) vorliegen, sind unabhängig vom Vorsatz und gesondert zu prüfen.
Gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB hat der Vorsatz bei Begehung der Tat (§ 8 StGB) vorzuliegen, also im Zeitpunkt der Tatausführung (Koinzidenzprinzip). Daher ist ein vorausgehender Vorsatz (dolus antecedens) und ein nachträglicher Vorsatz (dolus subsequens) unmaßgeblich.
Der Vorsatz beinhaltet ein kognitives und ein voluntatives (str.) Element.
- Bei dem kognitives Element handelt es sich um die Kenntnis der Tatumstände. Es genügt bereits ein sachgedankliches Mitbewusstsein, der Täter muss also nicht permanent aktiv an die Tat denken.
- Ob überhaupt ein voluntatives Element notwendig ist, ist hingegen umstritten. Hierbei handelt es sich um das Willenselement des Täters, welches nach herrschender Meinung für die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit entscheidend ist.
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II. Arten des Vorsatzes
Es wird zwischen drei Arten des Vorsatzes unterschieden:
Grundsätzlich stehen alle Vorsatzformen gleichberechtigt nebeneinander. Lediglich wenn der Tatbestand eine bestimmte Vorsatzform explizit fordert, ist nur eine Begehung mit dem entsprechenden Vorsatz möglich.
1. Dolus directus 1. Grades – Absicht
Definition: Absicht liegt vor, wenn es dem Täter im Sinne eines zielgerichteten Willens darauf ankommt, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen.
Es genügt dabei, wenn die Herbeiführung des Tatbestandsmerkmals lediglich ein Zwischenziel darstellt.
2. Dolus directus 2. Grades – Direkter Vorsatz
Definition: Mit direktem Vorsatz handelt der Täter, wenn er die Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals für eine sichere Folge seines gewollten Handelns hält.
Hier steht die kognitive Komponente im Vordergrund, d.h. es ist unerheblich, ob der Täter den Erfolg überhaupt will, sofern er sich mit dem Erfolg abfindet.
3. Dolus eventualis – Bedingter Vorsatz
Definition: Mit dolus eventualis handelt der Täter, wenn er die Tatbestandverwirklichung für möglich hält und diese trotz Erkennens billigend in Kauf nimmt.
Die genauen Voraussetzungen des dolus eventualis sind umstritten. Besondere Relevanz erfährt der Streit, da eine Abgrenzung des dolus eventualis zur bewussten Fahrlässigkeit, welche im Regelfall straffrei ist, notwendig ist.
a. Kognitive Theorien
Die kognitiven Abgrenzungstheorien stellen lediglich auf die kognitive Vorsatzkomponente ab und halten eine voluntative Komponente für entbehrlich.
- Möglichkeitstheorie: Nach der Möglichkeitstheorie muss der Täter den Erfolgseintritt zumindest für konkret möglich halten.
KRITIK: Die Theorie verzichtet auf das voluntative Element des Vorsatzes und ist abzulehnen. - Wahrscheinlichkeitstheorie: Im Gegensatz dazu fordert die Wahrscheinlichkeitstheorie, dass der Täter den Erfolg für wahrscheinlich hält. Wahrscheinlich bedeutet dabei mehr als möglich, aber weniger als überwiegend wahrscheinlich.
KRITIK: Die Wahrscheinlichkeit ist ein ungeeignetes Kriterium zur Abgrenzung.
b. Voluntative Theorien
Andere Theorien verlangen allerdings zusätzlich zu einem kognitiven ein voluntatives Element.
- Gleichgültigkeitstheorie: Nach der Gleichgültigkeitstheorie liegt dolus eventualis vor, wenn der Täter die von ihm für möglich gehaltene Tatbestandsverwirklichung aus Gleichgültigkeit gegenüber dem geschützten Rechtsgut in Kauf nimmt. Ist der Erfolg als Nebenfolge unerwünscht, soll kein Vorsatz vorliegen.
KRITIK: Die Anforderungen an das Wollenselement sind zu gering. - Billigungstheorie: Die von der Rechtsprechung vertretene Einwilligungs- oder Billigungstheorie verlangt, dass der Täter den Erfolg billigend in Kauf nimmt (dolus eventualis). Vertraut er auf das Ausbleiben des Erfolges, kann somit kein dolus eventualis angenommen werden. Es ist danach zu fragen, ob der Täter auch gehandelt hätte, wenn er wüsste, dass der Erfolg eintreten würde.
c. Ergebnis
Letztlich ist es unabdingbar, auf den Einzelfall abzustellen und jeweils zu berücksichtigen, inwieweit das Wissen des Täters und dessen Wille reichen. Allerdings lässt sich gut mit der Rechtsprechung auf die Einwilligungs- und Billigungstheorie abstellen.
III. Sonderformen des Vorsatzes
1. Dolus cumulativus
Geht der Täter davon aus, dass sein Handeln mehrere Tatbestände nebeneinander verwirklicht, ist ihm jede Tatbestandsverwirklichung zum Vorsatz zurechenbar.
2. Dolus alternativus
Hier geht der Täter davon aus, einen von sich gegenseitig ausschließenden Tatbeständen zu verwirklichen. Wie etwa, wenn er bei der Verfolgung hinter sich schießt und entweder den Polizist oder dessen Hund trifft.
Nach der herrschenden Meinung soll bei Erfolgseintritt Vorsatz bezüglich des verwirklichten Delikts gegeben sein, in Tateinheit mit Versuch am anderen Delikt. Fehlt es am Erfolg, soll lediglich der Versuch am schwerer wiegenden Delikt bestraft werden.
3. Dolus generalis
Mit der veralteten Auffassung eines dolus generalis und der Behandlung solcher Konstellationen unter dem Aspekt der unwesentlichen Abweichung vom Kausalverlauf beschäftigt sich der Artikel Jauchegrubenfall. Im Ergebnis ist der dolus generalis aber abzulehnen.
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Quellen
- Joecks, Wolfgang: Strafgesetzbuch Studienkommentar, 10. Auflage.
- Kindhäuser, Urs: Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Auflage.