I. unmittelbarer Besitz, § 854 Abs. 1 BGB
In § 854 Abs. 1 BGB heißt es:
Der Besitz einer Sache wird durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben.
Er kann sowohl an beweglichen als auch an unbeweglichen Sachen bestehen. Gemäß § 90 BGB handelt es sich bei Sachen um körperliche Gegenstände. Zu beachten ist jedoch, dass es keinen Besitz an einer Sachgesamtheit geben kann. Stattdessen muss im Hinblick auf ihre einzelnen Bestandteile separat geprüft werden, ob ein Besitz vorliegt.
Definition: Objektiv erfordert der Besitz die tatsächliche Sachherrschaft, subjektiv muss außerdem ein Besitzwille vorliegen.
Ob überhaupt ein Recht zum Besitz besteht, ist dagegen erst einmal unerheblich.
II. Der Erwerb des unmittelbaren Besitzes
Der unmittelbare Besitz kann auf zwei verschiedene Arten erworben werden:
- Durch die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft (§ 854 Abs. 1 BGB) durch den Erwerber bzw. seinen Besitzdiener gemäß § 855 BGB;
- Durch eine Einigung gemäß § 854 Abs. 2 BGB.
Beim Erwerb des unmittelbaren Besitzes kann man darüber hinaus danach unterscheiden, ob dieser einseitig stattfindet (originärer Besitzerwerb) oder ob der bisherige Besitzer hieran beteiligt ist (derivativer Besitzerwerb).
Beispiel eines originären Besitzerwerbs: A stiehlt der B in einem Café die Handtasche.
Beispiel eines derivativen Besitzerwerbs: A will B sein Auto verkaufen. Sie einigen sich hinsichtlich der Übereignung und A übergibt B das Auto.
1. Der Besitzerwerb gemäß § 854 Abs. 1 BGB
Der Besitzerwerb gemäß § 854 Abs. 1 BGB hat drei Voraussetzungen:
- die Erlangung der tatsächlichen Sachherrschaft durch den neuen Besitzer;
- die Aufgabe der tatsächlichen Gewalt durch den Vorbesitzer;
- ein objektiv erkennbarer Wille zum Besitzerwerb durch den neuen Besitzer.
Definition: Die tatsächliche Sachherrschaft erfordert, dass eine räumliche Beziehung zu der Sache dergestalt besteht, dass eine Einwirkung auf sie jederzeit möglich ist.
Ist in der konkreten Situation nicht eindeutig klar, wem die Sachherrschaft zugeordnet werden kann, muss nach der Verkehrsanschauung entschieden werden. Daneben muss die Sachherrschaft auch von einer gewissen Dauer sein. Einige Sekunden genügen nicht.
Beispiel: A und B laufen im Regen auf der Straße. B trägt einen Schirm. Als er sich den Schuh zubinden will, gibt er ihn kurz dem A. Anschließend nimmt er ihn wieder an sich. Hier hat A keinen Besitz an dem Schirm erlangt.
Für den Erwerb des unmittelbaren Besitzes genügt es außerdem, wenn der Besitzdiener die tatsächliche Sachherrschaft über die Sache erlangt.
Definition: Nach § 855 BGB ist derjenige Besitzdiener, der die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen Anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft bzw. in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, infolge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat. Er ist dabei selbst kein Besitzer.
Das Erfordernis eines Besitzbegründungswillens geht zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetz hervor, wird jedoch von der herrschenden Meinung verlangt, da ohne einen solchen auch nicht die Ausübung der Herrschaft über eine Sache möglich sei.
Für den Besitzbegründungswillen ist keine Geschäftsfähigkeit erforderlich. Stattdessen ist ein natürlicher Wille ausreichend, den auch ein Geschäftsunfähiger haben kann.
Hinzukommend muss der Besitzbegründungswille objektiv erkennbar sein.
Definition: Dies ist etwa der Fall, wenn die Sache in Gebrauch genommen wird. Wichtig ist aber, dass auch ein genereller Besitzwille ausreicht, wenn es um Gegenstände geht, die sich in einem Raum des Betroffenen befinden.
Beispiel: Hobby-Bastler H hat den Besitz an allen Dingen, die sich in seiner Garage befinden, auch wenn er etwa seinen Schraubenschlüssel gerade verlegt hat.
2. Der Besitzerwerb gemäß § 854 Abs. 2 BGB
Gemäß § 854 Abs. 2 BGB genügt die Einigung des bisherigen Besitzers und des Erwerbers zum Erwerb, wenn der Erwerber in der Lage ist, die Gewalt über die Sache auszuüben.
Beispiel: A verbringt einige Tage bei ihrer Schwester B. Als sie nach Hause fährt, lässt sie ihr Lieblingskleid bei ihr liegen. B schreibt A eine SMS und fragt, ob sie es sich für eine Feier am nächsten Samstag ausleihen kann. A bejaht dies. Weil sich das Kleid in ihrer Wohnung befand, konnte B bereits vor dem Telefonat mit A die Gewalt über es ausüben. Somit war die Einigung mit A für den Besitzübergang ausreichend.
Dabei muss beachtet werden, dass die Einigung gemäß § 854 Abs. 2 BGB nach herrschender Meinung ein Rechtsgeschäft darstellt. Sie erfordert demnach Geschäftsfähigkeit.
3. Der Besitzerwerb gemäß § 857 BGB
Als dritte Möglichkeit kann der Erbe den unmittelbaren Besitz gemäß § 857 BGB erwerben. Dieser geht bei Eintritt des Erbfalls einfach auf ihn über.
III. Der Verlust des unmittelbaren Besitzes, § 856 BGB
Die Beendigung des unmittelbaren Besitzes ergibt sich aus § 856 BGB. Nach § 856 Abs. 1 BGB wird der Besitz dadurch beendigt, dass der Besitzer die tatsächliche Gewalt über die Sache aufgibt oder in anderer Weise verliert.
Zu beachten ist dabei § 856 Abs. 2 BGB. Hiernach wird der Besitz nicht durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Verhinderung in der Ausübung der Gewalt beendigt.
Vertiefungsvideo von RA Mario Kraatz: Übersicht Besitz & Besitzformen (§§ 854 ff. BGB)
Quellen
- Brehm, Wolfgang/Berger, Christian, Sachenrecht, 3. Aufl., Tübingen 2014.
- Vieweg, Klaus/Werner, Almuth: Sachenrecht, 6. Aufl., München 2013.
- Wolf/Wellenhofer, Sachenrecht, 28. Aufl., München 2013.