I. Was kennzeichnet den Versuch?
Der Versuch ist geregelt in § 22 StGB. Dort heißt es:
Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.
Für den Versuch eines Delikts ist also ein Tatentschluss und ein unmittelbares Ansetzen nötig.
II. Schema
Prüfungsschema zum Versuch, § 22 StGB
I. Vorprüfung
1. Strafbarkeit des Versuchs, § 23 Abs. 1 StGB oder spezialgesetzlich. Norm
2. keine Vollendung
II. Tatbestand, § 22 StGB
1. Tatentschluss hinsichtlich aller obj. Tatbestandsmerkmale
2. Unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung
III. Rechtswidrigkeit
IV. Schuld
V. Ggf. Rücktritt vom Versuch, § 24 StGB
1. Vorprüfung:
a. Strafbarkeit des Versuchs, § 23 Abs. 1 StGB
Es muss zunächst festgestellt werden, ob der Versuch des einschlägigen Deliktes überhaupt möglich ist. Dies ergibt sich grds. aus § 23 Abs. 1 StGB:
Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.
Was unter Vergehen und Verbrechen zu verstehen ist, ergibt sich aus § 12 StGB.
Bei Vergehen muss immer eine ausdrückliche gesetzliche Anordnung vorliegen, die den Versuch unter Strafe stellt. Ein Beispiel für die ausdrückliche Anordnung der Versuchsstrafbarkeit eines Vergehens ist § 223 Abs. 2 StGB.
b. keine Vollendung
Das Delikt darf noch nicht vollendet sein. Diese Voraussetzung beschränkt sich jedoch nicht auf das Merkmal des tatbestandlichen Erfolges. Vielmehr kann eine Nichtvollendnung aufgrund des Fehlens jedes beliebigen Merkmals des Tatbestands vorliegen. Eine Deliktsbegehung lässt sich in zeitlicher Hinsicht in mehrere Stadien aufteilen. Die folgende Übersicht zeigt die Unterschiedene zwischen den einzelnen Stadien auf.
Beispiel: A lädt seinen Nachbarn N zum Essen ein. A weiß, dass N von O bedroht und schikaniert wird. A selbst hat Schulden bei O. Er will deshalb den N durch gezielt fallen gelassene Kommentare zur Tötung des O bewegen. Deshalb legt er vor der Ankunft des N seine Pistole auf die Kommode neben der Haustür. A schafft es während des Essens tatsächlich den N zur Tötung des O zu motivieren. Beim Verlassen des Hauses nimmt N die Pistole an sich, denkt jedoch, dass dies gegen den Willen des A geschieht.
In diesem Fall scheitert die Vollendung des §§ 242, 243 StGB an dem Merkmal des Gewahrsamsbruchs. Der Taterfolg der Begründung (in diesem Fall) tätereigenen Gewahrsams liegt hingegen vor.
2. Tatbestand
a. Tatentschluss
Definition: Tatentschluss ist der Vorsatz in Bezug auf die Verwirklichung aller objektiven und subjektiven Merkmale der Tat.
Praktisch ist der Tatentschluss somit gleichzusetzen mit dem Vorsatz bei Vollendungsdelikten und etwaiger zusätzlicher subjektiver Anforderungen. Zu den sonstigen subjektiven Erfordernissen gehört etwa die Bereicherungsabsicht in § 263 StGB.
Dieser Tatentschluss muss allerdings unbedingt sein. Dabei ist es unerheblich, ob die Entscheidung zur Tat auf unsicheren Tatsachengrundlagen getroffen ist. Sollte also der Täter das Opfer nur töten wollen, wenn dieses eine bestimmte Handlung vornimmt, ist dennoch ein unbedingter Tatentschluss gegeben.
Für den Tatentschluss genügt dolus eventualis, sofern dieser für das Vollendungsdelikt ausreicht.
b.Unmittelbares Ansetzen
Das unmittelbare Ansetzen ergibt sich aus einem Zusammenspiel von objektiven und subjektiven Komponenten. Dafür ist zunächst die Tatsituation aus Sicht des Täters zu bestimmen. In einem zweiten Schritt ist objektiv zu bestimmen, ob nach dieser subjektiven Sicht ein unmittelbares Ansetzen gegeben ist.
Sämtliche Handlungen, welche später die Tat ermöglichen oder erleichtern sollen, fallen in das Vorbereitungs- und nicht das Versuchsstadium, da der Täter nach seiner Vorstellung noch nicht unmittelbar angesetzt hat.
Allerdings kommt es häufig zu Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Vorbereitungs- und Versuchshandlungen. Verschiedene Lehren versuchen diese Abgrenzung auf verschiedene Art und Weise aufzuklären.
Nach der sog. Sphärentheorie liegt unmittelbares Ansetzen vor, wenn der Täter in die Schutzsphäre des Opfers eingedrungen ist und zwischen Tathandlung und angestrebtem Erfolgseintritt ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Diese Theorie eignet sich allerdings kaum für Taten an neutralen Orten und Delikte gegen die Allgemeinheit.
Die Theorie der Feuerprobe besagt, dass unmittelbares Ansetzen vorliegt, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten hat. Diese Theorie stellt allerdings zu stark auf die subjektive Komponente ab.
Andere vertreten die Auffassung, dass auf den äußeren Sinn des Täterverhaltens abzustellen sei. Danach liegt unmittelbares Ansetzen vor, wenn äußere Umstände den Beginn der Tatbestandsverwirklichung indizieren. Dieser Ansatz verkennt jedoch den subjektiven Einschlag des Versuchsbeginns.
Die materielle Gefährdungstheorie besagt, dass ein Versuch erst vorliegen kann, wenn eine konkrete Gefährdung des Rechtsgutes gegeben ist. Auch diese Theorie passt nicht zu jeder Konstellation und ist zudem sehr vage.
Nach der sog. Zwischenaktstheorie liegt der Versuch vor, wenn nach dem Tatplan des Täters zwischen seinem Verhalten und der Tatbestandsverwirklichung keine weiteren wesentlichen Zwischenakte liegen, so dass sich das Verhalten für einen Beobachter als Einheit darstellt.
>Rspr. und h.L. vertreten einen Kombinationsansatz (auch gemischt objektiv-subjektive Theorie). Danach gilt:
Definition: muss der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten haben und objektiv zur tatbestandsmäßigen Handlung angesetzt haben. Diese Handlung muss bei ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung führen oder in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen.
Wenn keine Probleme beim unmittelbaren Ansetzen bestehen, genügt es i.d.R. nur die letzte Theorie anzusprechen und unter diese zu subsumieren. Eine Ausbreitung aller Theorien würde hier zu falscher Schwerpunktsetzung und ggf. Punktabzug führen.
II. Besondere Formen des Versuchs
Es existieren zudem einige Besonderheiten, welche bei der Prüfung des Versuchs zu beachten sind.
1. Tauglicher und untauglicher Versuch
Beim tauglichen Versuch erscheint die Tathandlung aus Perspektive eines Beobachters als zur Tatbestandsverwirklichung geeignet. Ein Beispiel ist das versehentliche Vorbeischießen am Ziel.
Untauglich ist der Versuch, wenn die Handlung aus Sicht eines Beobachters nicht geeignet erscheint, den Erfolg herbeizuführen.
An der Prüfung des Versuchs ändert diese Unterscheidung nichts. Allerdings kann gem. § 23 Abs. 3 StGB die Strafe gemindert oder von dieser abgesehen werden. Dabei ist jedoch ein hoher Maßstab anzusetzen.
Zu unterscheiden vom untauglichen Versuch ist der abergläubische Versuch. Wenn jemand einen anderen mit Zaubern töten will, ist dies nicht strafbar, auch nicht als Versuch.
2. Versuch beim erfolgsqualifizierten Delikt
Zu unterscheiden ist hierbei zwischen dem Versuch der Erfolgsqualifikation und dem erfolgsqualifizierten Versuch.
Der Versuch der Erfolgsqualifikation liegt vor, wenn der Täter auch hinsichtlich der schweren Folge vorsätzlich handelt (vgl. § 11 Abs. 2 StGB), die schwere Folge allerdings nicht eintritt. Der Täter wird wegen Versuchs der Erfolgsqualifikation bestraft.
Beim erfolgsqualifizierten Versuch führt der Täter die schwere Folge nur fahrlässig herbei (vgl. § 18 StGB). Auch hier wird er wegen des Versuchs der Erfolgsqualifikation bestraft. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn die schwere Folge gerade aus dem Erfolg des Grunddelikts resultiert – wie etwa bei § 227 StGB.
3. Fahrlässiger Versuch
Eine Versuchsstrafbarkeit bei Fahrlässigkeitsdelikten ist nicht möglich (!)
4. Wahndelikt
Vom Versuch abzugrenzen ist das sog. straflose Wahndelikt. Beim Versuch geht der Täter davon aus, dass er strafbares Verhalten zeigt, wenn es realisiert wäre. Beim Wahndelikt hingegen glaubt der Täter, dass sein tatsächlich erlaubtes Verhalten strafbar sei, obwohl es einen solchen Straftatbestand nicht gibt oder die Grenzen eines bestehenden Straftatbestandes verkannt werden.
Es handelt sich in diesen Fällen um einen Irrtum des „Täters“. Das typische Beispiel ist die Vorstellung, dass Ehebruch strafbar sei.
Die Abgrenzung zwischen Versuch und Wahndelikt ist nicht immer leicht. Die restriktive Lehre nimmt ein Wahndelikt an, wenn der Täter aufgrund falscher rechtlicher Schlüsse den Anwendungsbereich der Norm ausweitet. Die h.M. folgt dem sog. Umkehrprinzip, wonach jeder Irrtum des Täters, welcher ihn nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB entlastet, im umgekehrten Fall belastet.
Tipp: Schau dir hier am besten den ersten Teil unserer Videoreihe zum Versuch gem. § 22 StGB an!
Quellen
- Frister, Helmut: Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Auflage 2013.
- Kindhäuser, Urs: Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Auflage 2013.
- Wessels, Johannes / Beulke, Werner / Satzger, Helmut: Strafrecht Allgemeiner Teil, 44. Auflage 2014.