I. Allgemeines zu § 221 StGB
§ 221 Abs. 1 StGB lautet:
Wer einen Menschen
1. in eine hilflose Lage versetzt oder
2. in einer hilflosen Lage im Stich lässt, obwohl er ihn in seiner Obhut hat oder ihm sonst beizustehen verpflichtet ist,
und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Die Aussetzung (§ 221 StGB) stellt stets ein unechtes Unterlassungsdelikt und ein konkretes Gefährdungsdelikt (Subsidiarität) dar.
Da § 221 Abs. 1 StGB ein Vergehen ist, ist der Versuch nicht strafbar. Der Versuch von § 221 Abs. 2 und 3 ist hingegen mit Strafe bedroht, da diese Absätze Verbrechen darstellen.
II. Schema des § 221 StGB
Das Prüfungsschema der Aussetzung (§ 221 StGB) gliedert sich wie folgt:
- I. Tatbestand
- 1. Objektiver Tatbestand
- a) Versetzen eines Menschen in eine hilflose Lage (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder garantenpflichtwidriges Im-Stich-lassen eines Menschen in einer hilflosen Lage (§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB)
- b) konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung
- c) Risikozusammenhang zwischen a) und b)
- 2. Subjektiver Tatbestand
- II. Rechtswidrigkeit und Schuld
- III. (Erfolgs-)Qualifikationen, §§ 221 Abs. 2 und Abs. 3 StGB
III. Voraussetzungen des § 221 StGB
Das Grunddelikt des § 221 StGB hat zwei Tatbestandsalternativen:
- Nr. 1 (hilflose Lage): Der Täter versetzt einen Menschen in eine hilflose Lage. Hierbei handelt es sich um ein Jedermanndelikt. Nr. 1 kann entsprechend von jedermann begangen werden.
- Nr. 2 (Im-Stich-lassen): Der Täter lässt einen Menschen, den er in seiner Obhut hat oder dem er sonst beizustehen verpflichtet ist, im Stich. Nr. 2 kann somit nur von Personen mit einer Garantenstellung erfüllt werden (Sonderdelikt).
In beiden Konstellationen bleibt der Täter trotz bestehender Handlungspflicht untätig und verursacht dadurch die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung.
Ein Beispiel stellt der Fall des „Kleinkindes im Auto bei Hitze“ dar:
Das Rechtsgut, in diesem Fall das Leben des Kleinkindes, soll geschützt werden. Nach herrschender Meinung ist für das aktive Versetzen in eine hilflose Lage kein Ortswechsel notwendig. Das Kind kann sich nicht selbst wehren. Das Kind als untergeordnete Person wird durch das „Wegschauen“ der Gefahr des Todes ausgesetzt. Das Gesetz bestraft den Täter mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren (Abs. 1). Bei einer Tat gegen das eigene Kind beträgt die Freiheitsstrafe sogar bis zu zehn Jahren (Abs. 2).
1. Hilflose Lage, § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB
Definition: In einer hilflosen Lage befindet sich ein Mensch, wenn er in einer Situation ist, in der er sich nicht aus eigener Kraft vor Gefahren für Leib und Leben schützen kann.
Beispiel: Ein gebrechlicher Mann irrt nachts in eisiger Kälte am Wegesrand umher.
Für § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB muss der Täter weiterhin eine Zustandsveränderung herbeiführen, deren Folge die hilflose Lage ist. Die Zustandsveränderung kann durch Täuschung, Drohung oder Gewalt, auch durch Unterlassen geschehen. Eine Ortsveränderung ist nach herrschender Meinung nicht erforderlich.
Beispiel: T verpasst dem O nach einer Parkplatzstreitigkeit einen Kinnhaken. O geht bewusstlos zu Boden und bleibt auf einer sonst vielbefahrenen Straße an einer unübersichtlichen Stelle liegen. Genau das hatte T vorhergesehen. Einige Autos können dem O nur noch knapp ausweichen.
2. Im-Stich-lassen, § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB
Definition: Im-Stich-lassen ist das Unterlassen der gebotenen Hilfeleistung, obwohl diese möglich und zulässig war.
Beispiel: Die Mutter lässt ihr drei Monate altes Baby im Auto zurück, während sie sich auf eine ausgiebige Einkaufstour begibt.
In-Obhut-haben oder sonst beizustehen verpflichtet sein, ist gekennzeichnet durch das Innehaben einer Garantenstellung. Wenn die dem Garanten anvertraute Person sich in Kenntnis der vorliegenden Situation ahnungslos stellt, so ist der eigene Verstand laut der umstrittenen Literatur ausgeschaltet und das „Opfer“ in einer hilflosen Lage.
Beispiele für eine Garantenstellung nach § 13 StGB:
- Eltern als Garant für ihre Kinder
- Garantenstellung von Ehegatten
- Geschäftsführer/Vorstand einer Gesellschaft
Beispiel: Der von dem Infarktpatienten angeforderte „Ärztliche Bereitschaftsdienst“ kommt nicht, weil der diensthabende Arzt lieber mit einer Freundin ins Kino gehen möchte.
3. Konkrete Gefahr und schwere Gesundheitsschädigung
Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn es in der konkreten Situation nur noch vom Zufall abhängt, ob die Schädigung des Opfers ausbleibt oder eintritt.
Eine schwere Gesundheitsschädigung ist eine Schädigung, die einen mit § 226 StGB vergleichbaren Schweregrad aufweist. Sie kann somit als schwer bezeichnet werden, wenn eine langwierige ernsthafte Erkrankung vorliegt, welche die Arbeitskraft herabsetzt. Eine körperliche Misshandlung ist hierfür nicht notwendig.
IV. (Erfolgs-)Qualifikationen des § 221 StGB
Bei § 221 Abs. 2 und Abs. 3 handelt es sich um (Erfolgs-)Qualifikationstatbestände:
Bei §§ 221 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StGB kann die fahrlässige Herbeiführung der besonderen Folge gemäß § 18 StGB genügen.
Bei § 221 Abs. 1 StGB handelt es sich um ein Vergehen im Sinne des § 12 Abs. 2 StGB. Tritt allerdings die qualifizierende besondere Folge des § 221 Abs. 3 StGB (Tod des Opfers) ein, wandelt das Delikt seinen Charakter und wird zu einem Verbrechen gemäß § 12 Abs. 1 StGB.
V. Minder schwerer Fall, § 221 Abs. 4 StGB
Entscheidend für das Vorliegen eines minder schweren Falls gem. § 221 Abs. 4 StGB ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Dem Tatrichter obliegt es, im Rahmen einer Gesamtwürdigung alle maßgeblichen Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen gegeneinander abzuwägen
Ist die Tat somit durch einen minder schweren Fall begründet, so sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu sechs Jahren vor, § 221 Abs. 4 StGB.
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