I. Gewahrsam des Schuldners
Betreibt ein Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung in bewegliche Sachen des Schuldners, wäre er überfordert, wenn er zunächst feststellen müsste, ob die Sachen dem Vermögen des Schuldners zuzurechnen sind. Daher muss der Gerichtsvollzieher lediglich prüfen, ob der Gewahrsam des Schuldners vorliegt (§§ 808 Abs. 1, 809 ZPO)!
Liegt der Gewahrsam des Schuldners vor, erfolgt die Pfändung. Dabei können auch Sachen Dritter gepfändet werden. Eine derartige Pfändung ist wirksam und Grundlage für eine anschließende Versteigerung.
Es gibt jedoch eine Möglichkeit für die betroffenen Dritten, sich gegen die Beeinträchtigung ihres Rechts zu wehren: Die sogenannte Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO.
II. Die Voraussetzungen des § 771 ZPO
Ziel der Drittwiderspruchsklage ist, die Zwangsvollstreckung für unzulässig zu erklären und die Vollstreckbarkeit des Titels zu beseitigen. Der Dritte macht also geltend, dass eine gepfändete Sache nicht zum Schuldnervermögen gehört.
Die Klage hat dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
1. Zulässigkeit
a) Statthaftigkeit
Die Klage ist statthaft, wenn der Dritte materielle Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung erhebt. Der Dritte muss geltend machen, dass ihm ein der Zwangsvollstreckung entgegen stehendes Recht zusteht.
Dabei ist zu beachten, dass die Zwangsvollstreckung in den betreffenden Gegenstand bereits begonnen haben muss. Wurde die angegriffene Vollstreckungsmaßnahme bereits vollständig durchgeführt, ist die Klage nicht mehr statthaft.
Tipp: Ein Überblick über die Rechtsbehelfe befindet sich in diesem Artikel.
b) Zuständigkeit
Örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk die ZVS erfolgt, §§ 771, 802 ZPO.
Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus dem Streitwert, §§ 23, 71 GVG, (beachte: § 6 ZPO).
c) allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen
Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen sind die Postulationsfähigkeit (§ 78 ZPO), sowie die Partei- und Prozessfähigkeit (§§ 50, 51 ZPO). Zudem muss ordnungsgemäß Klage erhoben worden sein (§ 253 ZPO).
d) Rechtsschutzbedürfnis
Der Kläger muss ein Rechtsschutzinteresse haben. Das Rechtsschutzinteresse entfällt, sobald die Zwangsvollstreckung durch Auskehr des Erlöses, Zahlung des Drittschuldners oder Freigabe des gepfändeten Gegenstandes beendet ist.
2. Begründetheit
Die Klage ist begründet, wenn der Gläubiger mit der Vollstreckung widerrechtlich in den Rechtskreis des Dritten eingreift.
a) Veräußerung hinderndes Recht
Gemäß § 771 Abs. 1 ZPO muss dem Dritten ein “die Veräußerung hinderndes Recht” zustehen. Gemeint ist ein Recht, welches eine Veräußerung der Sache durch den Schuldner dem Dritten gegenüber rechtswidrig machen würde.
Als Drittrechte in Betracht kommen Rechte wie das Eigentum, Vorbehaltseigentum, Sicherungseigentum, Inhaberschaft an Rechten, uneigennützige Treuhand, beschränkte dingliche Rechte, berechtigter Besitz an beweglichen Sachen oder schuldrechtliche Herausgabeansprüche.
Besonders umstritten ist, ob dem Dritten der Weg über § 771 ZPO zusteht, wenn er Sicherungseigentümer ist. Dies ist problematisch, da hier die völlige Abwehr anderer Gläubiger durch die Klage aus § 771 ZPO nicht als zweifelsfrei gerechtfertigt erscheint.
- Laut einer Ansicht soll das Sicherungseigentum nur das Pfandrecht ersetzen und daher muss über § 805 ZPO vorgegangen werden. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise müsse ein Sicherungseigentum so behandelt werden, wie ein besitzloses Pfandrecht. Eine Klage nach § 771 ZPO wäre damit nicht möglich.
- Die herrschende Meinung bejaht hingegen ein Vorgehen nach § 771 ZPO. Das Sicherungseigentum sei ein vollwertiges Eigentum und materiell-rechtlich anerkannt. Würde dem Sicherungseigentümer aufgedrängt, die Sache über die Zwangsversteigerung zu verwerten, nähme man ihm die Möglichkeit, die Sache selbst zu verwerten [BGHZ, 12, 234].
b) Einwendungen des Beklagten
Der Beklagte kann Einwendungen gegen das die Veräußerung hindernde Recht vorbringen, zum anderen Verstöße gegen Treu und Glauben rügen.
In Frage kommt das Hervorbringen folgender Einwände:
- das die Veräußerung hindernde Recht wurde durch Scheingeschäft (§ 117 BGB) erworben
- die Übereignung ist nichtig wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB)
- das die Veräußerung hindernde Recht ist durch anfechtbares Rechtsgeschäft entstanden (dann Einrede nach § 9 AnfG)
- Einwand der unzulässigen Rechtsausübung, wenn der Kläger materiell-rechtlich für die titulierte Forderung haftet (bsp.: Bürge, § 765 Abs. 1 BGB)
- Einrede aus § 242 BGB, Kläger handelt rechtsmissbräuchlich (bsp.: Dritter würde für Titelforderung mithaften, § 1357 BGB)
3. Ergebnis
Wird der Klage stattgegeben, erklärt das stattgebende Urteil die Zwangsvollstreckung in diesen Gegenstand für unzulässig (§ 775 Nr. 1 ZPO). Es handelt sich um ein Gestaltungsurteil, § 771 ZPO ist eine prozessuale Gestaltungsklage.
Quellen
- Wolfgang Lüke, Zivilprozessrecht, 10. Auflage, München 2011.
- Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 69. Auflage, München 2011.