I. Allgemeines zur Garantenstellung
In Abgrenzung zu den Begehungsdelikten, die grundsätzlich jedermann begehen kann, macht die Garantenstellung bei Unterlassungsdelikten eine bestimmte Person – und nur sie – zum Täter.
Grundsätzlich muss beachtet werden, dass es auf eine Garantenstellung nur bei unechten Unterlassungsdelikten (§ 13 StGB) ankommt.
Bei echten Unterlassungsdelikten regelt der Tatbestand selbst die Strafbarkeit des Unterlassens, d.h. hier auf § 13 StGB einzugehen, wäre ein grober Fehler
Beispiele: § 323c StGB Unterlassene Hilfeleistung, § 123 Abs. 1 Alt. 2 StGB Hausfriedensbruch
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II. Prüfungsaufbau der Garantenstellung
Zur Wiederholung und Veranschaulichung zunächst eine Übersicht zum Tatbestand eines unechten Unterlassungsdeliktes:
I. Objektiver Tatbestand
1. Taterfolg
2. Unterlassen = jede Nichtvornahme einer geeigneten und erforderlichen Rettungs- bzw. Verhinderungshandlung trotz gleichzeitiger physisch-realer, individueller Handlungsmöglichkeit
3. Garantenstellung
a) Garantenposition
b) Garantenpflicht
4. hypothetische (Quasi-) Kausalität = die geeignete und erforderliche Rettungshandlung kann nicht hinzu gedacht werden, ohne dass der Taterfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele
5. objektive Zurechnung
6. Entsprechungsklausel § 13 Abs. 1 HS 2 StGB
II. Subjektiver Tatbestand
Unterlassungsvorsatz bzgl. aller obj. Tatbestandsmerkmale (insb. muss der Täter seine Garantenstellung kennen!)
III. Definition der Garantenstellung
Aus § 13 Abs. 1 StGB ergibt sich, was unter einer Garantenstellung zu verstehen ist:
Wer es unterlässt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
Der Täter muss also eine besondere Pflichtenstellung gegenüber dem geschützten Rechtsgut oder der geschützten Person aufweisen.
Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen der Obhuts- oder Beschützergarantenstellung und der Überwachungsgarantenstellung.
IV. Obhutsgarantenstellung / Beschützergarantenstellung
Bei der Obhuts- oder Beschützergarantenstellung hat der Täter die Pflicht, ein Rechtsgut von allen oder auch bestimmten äußeren Gefahren abzuschirmen und es zu beschützen.
Ihn treffen also Obhutspflichten, er ist für das Rechtsgut verantwortlich und fungiert quasi als „menschliches Schutzschild“. Beschützte Rechtsgüter können dabei sowohl Personen als auch Sachen sein.
Die Beschützergarantenstellung kann sich aus verschiedenen Gründen ergeben:
1. Aus Gesetz
Eine Garantenstellung kann sich aus einer gesetzlichen Verpflichtung ergeben. Diese Verpflichtungen finden sich vor allem in familienrechtlichen Vorschriften.
Beispiele:
- Verwandte gerader Linie, § 1589 Abs. 1 S. 1 BGB, also in jedem Falle: minderjährige Kinder – Eltern (insb. §§ 1626, 1631 BGB, § 1618a BGB), auch Großeltern, Adoptiveltern, Pflegeeltern
- Ehegatten, § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB; nach h.M. erlischt die Garantenstellung hier schon dann, wenn die Ehe als gescheitert bezeichnet werden kann
- Vormund für das Kind, §§ 1793, 1800 BGB
2. Enge Lebensgemeinschaften/Enge persönliche Lebensbeziehungen
Hier muss ein der familiären Verbundenheit vergleichbares Näheverhältnis bzw. eine eheähnliche, auf Dauer angelegte Lebens- und Hausgemeinschaft bestehen.
3. Gefahrengemeinschaften
Verschiedene Personen haben sich bewusst zusammengefunden und sich gegenseitig – auch konkludent – versprochen, aufeinander aufzupassen und Gefahren voneinander abzuwenden. Aus dem Verhalten der Beteiligten muss hervorgehen, dass sie sich gegenseitig zum Beistand verpflichtet fühlen.
Beispiele: Bergführer für Gruppe, Bergsteigergemeinschaft, Expeditionen, Segeltouren
Nicht erfasst sind zufällige Schicksals- bzw. Unglücksgemeinschaften (z.B. Flugzeugabsturz, Schiffbruch, sonstige Katastrophen).
4. Vertragliche und tatsächliche Garantenübernahme
Man kann sich sowohl vertraglich als auch faktisch als Beschützergarant verpflichten. Diese Verpflichtung muss freiwillig erfolgen.
Beispiele: Babysitter, Kindergärtner, Arzt, Bademeister, Taxifahrer,Wohnungsinhaber, Gastwirt
5. Amtsträger
Ein Amtsträger kann dazu verpflichtet sein, kraft seiner Legitimation bestimmte Schutzpflichten gegenüber dem Bürger oder dem Staat wahrzunehmen. Diese Pflichten bestehen jedoch i.d.R. nur während der Dienstausübung.
Beispiele: Polizisten, Staatsanwälte, staatliches Aufsichtspersonal wie Lehrer oder Justizvollzugsbeamte
V. Überwachungsgarantenstellung
Bei der Überwachungsgarantenstellung hat der Täter die Pflicht, eine Gefahrenquelle von Rechtsgütern anderer abzuschirmen, er muss die Gefahrenquelle also überwachen.
So muss er aufpassen, dass sich die Gefahrenquelle nicht ausbreitet und Rechtsgüter schädigt. Ihn treffen also Sicherungspflichten, er ist für die Gefahrenquelle verantwortlich. I.d.R. hat er die Gefahrenquelle eröffnet oder unterhält sie.
Die Garantenstellung wird eben nicht durch eine bestimmte rechtliche Beziehung begründet, sondern aufgrund der Verantwortlichkeit gegenüber der Allgemeinheit aus der Gefahrenquelle.
Zu überwachende Gefahrenquellen können auch hier sowohl Personen als auch Sachen sein.
1. Verantwortlichkeit für Sachen als Gefahrenquellen/ Verkehrssicherungspflichten
Jeder Eigentümer/ Besitzer muss die in seinem Herrschaftsbereich stehenden beweglichen und unbeweglichen Sachen überwachen und dafür sorgen, dass von ihnen keine Gefahr für andere Rechtsgüter ausgeht.
Beispiele: Tierhalter, Hausbesitzer (beliebter Klausurfall: herunterfallende Dachziegel), KfZ-Halter (betriebssicheres Fahrzeug), Veranstalter, Freizeitparkbetreiber, Betriebsinhaber, Produkthaftung usw.
2. Verantwortlichkeit für Personen als Gefahrenquellen / Aufsichtspflichten
Voraussetzung ist das Bestehen eines Aufsichtsverhältnisses. Dies liegt vor bei:
- nicht voll verantwortlichen Personen;
Beispiele: minderjährige Kinder, Menschen mit einer sog. geistigen Behinderung - voll verantwortlichen Personen und vergleichbarem Aufsichtsverhältnis,
Beispiele: militärischer Vorgesetzter-Soldaten, Justizvollzugsbeamter-Gefängnisinsassen, Fahrlehrer-Fahrschüler, nach h.M. auch Betriebsinhaber-Betriebsmitarbeiter
3. Ingerenz (vorangegangenes gefährdendes Tun)
Besonders klausurträchtig ist die Garantenstellung aus Ingerenz. Diese ergibt sich, wenn der Täter durch ein objektiv pflichtwidriges Vorverhalten die Gefahr selbst geschaffen oder erhöht hat. Pflichtwidrig ist ein Verhalten nach h.M., wenn es im Widerspruch zur Rechtsordnung steht, also strafbar ist.
Die folgende Grafik erläutert die Meinungen hinsichtlich der Anforderungen an das Vorverhalten noch einmal näher:
Beispiele für Igerenz: alkoholisierter Autofahrer fährt Fußgänger an und lässt ihn liegen, Gastwirt schenkt deutlich erkennbar Betrunkenem weiter Alkohol nach
VI. Garantenpflicht
Die obige Darstellung bezieht sich streng genommen nur auf die „Garantenposition“. I.d.R. ergibt sich aus dem Vorliegen einer Garantenposition auch eine Garantenpflicht, also eine Pflicht, in diesem konkreten Fall zu handeln.
In Einzelfällen ist das Vorliegen einer Garantenpflicht jedoch gesondert zu prüfen.
Am examensrelevantesten dürfte hier der Fall eines freiverantwortlichen Suizids sein. So kann es beispielsweise sein, dass der Ehegatte trotz seiner Beschützergarantenstellung nicht verpflichtet ist, seinen Partner vom Suizid abzuhalten.
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