I. Allgemeines zur Gesamtschuld
Die Gesamtschuld ist eine Form der Schuldnermehrheit. Die §§ 421 ff. BGB treffen dabei sowohl Regelungen zum Innenverhältnis zwischen den Schuldnern sowie zum Außenverhältnis gegenüber dem Gläubiger. Der Vorteil für den Gläubiger ist dabei, dass er gem. § 421 BGB die Leistung von jedem der Schuldner fordern kann. Leistet dieser Schuldner, werden gem. § 422 Abs. 1 BGB alle Schuldner von ihrer Leistungsverpflichtung frei. Der leistende Schuldner hat dann gem. § 426 Abs. 1, 2 BGB einen Ausgleichsanspruch gegenüber den anderen Schuldnern.
II. Die Voraussetzungen für eine Gesamtschuld
Die Anwendbarkeit der §§ 421 ff. BGB setzt das Vorliegen einer Gesamtschuldnerschaft voraus. Diese wird in der Klausur leider häufig einfach vorausgesetzt, ohne zumindest in 1-2 Sätzen zu prüfen, ob die Voraussetzungen überhaupt gegeben sind.
1. Schuldnermehrheit
Zunächst muss eine Mehrheit von Schuldnern bestehen, es müssen also mehrere Schuldner gegenüber einem Gläubiger zu einer Leistung verpflichtet sein.
2. Leistungspflicht eines jeden Schuldners gegenüber dem Gläubiger
Jeden dieser Schuldner muss eine eigene Leistungspflicht gegenüber dem Gläubiger treffen. Die Leistungspflichten können sich aus Vertrag, aus Gesetz, aus Schuldbeitritt etc. ergeben. Die Leistungspflichten der Schuldner müssen auch nicht identisch sein. An einer Leistungspflicht fehlt es beispielsweise dann, wenn bei einem der Schuldner eine gesetzliche oder vertragliche Haftungsbeschränkung greift.
3. Einmaliges Forderungsrecht des Gläubigers
Der Gläubiger kann die Leistung einmalig nach Belieben von jedem Schuldner ganz oder teilweise fordern. Dabei muss auch jeder Schuldner zur Bewirkung der ganzen Leistung gegenüber dem Gläubiger verpflichtet sein. Nicht der Fall ist dies zum Beispiel bei der Teilschuld, wenn der Gläubiger nur einen Anteil von jedem Schuldner fordern kann.
4. Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal: Stufenverhältnis
Nach ganz herrschender Meinung ist neben den gesetzlich vorgeschriebenen Tatbestandsmerkmalen zur Einschränkung ein weiteres Kriterium erforderlich. Zwischen den Schuldnern und dem Gläubiger müsse ein Stufenverhältnis bestehen, d.h. sie müssen gegenüber dem Gläubiger auf derselben Stufe stehen. Dies bedeutet, dass die Leistungspflichten der Schuldner „nebeneinander“ bestehen und nicht „hintereinander“. Daran fehlt es beispielsweise im Verhältnis Hauptschuldner-Bürge, weil der Bürge nur subsidiär haftet, vgl. § 771 BGB. Ebenso haften die Gesellschafter subsidiär hinter der Gesellschaft. Dem hat sich auch die Rechtsprechung mittlerweile angeschlossen.
Tipp: Das Kriterium vom Stufenverhältnis ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Das kann in der +Klausur auch so geschrieben werden, um dem Korrektor damit klar zu machen, dass dieses nicht aus der Luft gegriffen wird.
III. Häufige Konstellationen in der Klausur
Schuldnermehrheiten sind eine gern geprüfte Konstellation, weil mehr Schuldner auch mehr Probleme und Schwierigkeiten in der Fallbearbeitung bedeuten.
Ein Klassiker ist dabei die Konstellation des Schuldbeitritts in der Kombination mit dem Problem des „Wettlauf der Sicherungsgeber“.
Tipp: Schau dir zu diesem Thema unseren Artikel zum Wettlauf der Sicherungsgeber an!
Ein weiteres Standardproblem ist die sog. „gestörte Gesamtschuld“, bei der einer der Schuldner durch eine vertragliche oder gesetzliche Haftungserleichterung von seiner Schuld befreit ist, also nicht haftet. Typische Beispiele für eine gestörte Gesamtschuld durch gesetzliche Haftungsprivilegien sind § 708 BGB (Haftung der Gesellschafter im Innenverhältnis), § 1359 BGB (Haftung der Ehegatten untereinander), § 1664 Abs. 1 BGB (Haftung im Eltern-Kind-Verhältnis).
Für die gestörte Gesamtschuld gibt es verschiedene Lösungsansätze, die jeweils entweder einen der Schuldner oder den Geschädigten stärker belasten.
Zu erwähnen sind außerdem die gesetzlich angeordneten Formen der Gesamtschuld:
- Haftung der Arbeitgeber bei Betriebsübergang, § 613a Abs. 2 BGB
- Gesamtschuld bei Bürgen, § 769 BGB
- deliktische Gesamtschuldner, § 840 Abs. 1 BGB
- Gesamtschuld bei Ehegatten, § 1357 Abs. 1 BGB
Daneben gibt es noch einige gesetzliche Anordnungen der Gesamtschuld im Handels- und Gesellschaftsrecht, wie etwa beim Erwerb eines Handelsgeschäftes, § 25 Abs. 1 HGB.
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