Wenn eine Gesetzesnorm mehrere mögliche Auslegungen zulässt, ist der Zeitpunkt für die Gesetzesauslegung gekommen. Die üblichen Meinungsstreitigkeiten und Definitionen stellen meist lediglich das Ergebnis ebensolcher Auslegung dar. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gesetzesauslegung jedem selbst überlassen bleibt.
Ein Gesetz besteht regelmäßig aus zwei Teilen. Dem Tatbestand und der Rechtsfolge. Ist der Tatbestand erfüllt, tritt die Rechtsfolge ein.
Zur Auslegung des Gesetzes dienen vier klassische Auslegungsmethoden, welche von Savigny begründet wurden:
- Grammatische Auslegung (Wortlaut)
- Historische Auslegung
- Systematische Auslegung
- Teleologische Auslegung
I. Grammatische Auslegung (Wortlaut)
Bei der grammatikalischen Auslegung wird streng am Wortlaut des Gesetzes gearbeitet.
In § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB findet sich etwa der Begriff des “gefährlichen Werkzeugs”. Hier stellt sich die Frage, ob eine Pistole ein gefährliches Werkzeug ist. Schaut man auf den Wortlaut des Gesetzes, so findet man die Bezeichnung “mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs”. Aus dem Wortlaut lässt sich erkennen, dass es sich bei Waffen nur um einen Unterfall der gefährlichen Werkzeuge handelt.
Wird die Körperverletzung nun mittels eines Autos begangen, stellt sich die Frage, ob es sich bei dem Auto um ein gefährliches Werkzeug handelt. Da bereits klar ist, dass Waffen auch gefährliche Werkzeuge sind, bietet es sich an, das Auto und Waffen zu vergleichen. Hierbei darf aber nicht über den Wortlaut der Norm hinausgegangen werden, denn dieser ist Grundlage der grammatikalischen Auslegung.
Das Augenmerk ist bei der grammatikalischen Auslegung auch auf Verbindungswörter zu legen. Ein Beispiel ist das Wort “durch” in § 306 Abs. 1 Alt. 2 StGB.
Diese Form der Auslegung hat Vorrang vor anderen Formen der Auslegung. Der Wortlaut des Gesetzes darf daher bei der Auslegung nicht überschritten werden. Gerade im Strafrecht ist diese Methode die wichtigste und gleichzeitig die strengste!
II. Historische Auslegung
Zu beachten ist zunächst, dass die historische Auslegung in der Klausur praktisch keine Rolle spielt, es sei denn, der Bearbeiter kennt zufällig die geschichtlichen Hintergründe, die zur Einführung der Norm geführt haben. In der Realität ist dies wohl seltener der Fall, was keineswegs schlimm ist. Daher wird hierzu in der Klausur meist auch keine weitere Ausführung erwartet. In der Hausarbeit kann dies ggf. anders aussehen. Hilfreich zur Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers sind Regierungsentwürfe, Beschlussempfehlungen der Ausschüsse in Bundestag und Bundesrat, Protokolle der Plenarsitzungen und die Berichte der Berichterstatter des Vermittlungsausschusses.
Beachtet werden muss allerdings, dass Gesetze häufig auch durch Reformen geändert werden. Hierdurch wird der geänderte Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck gebracht.
III. Systematische Auslegung
Die systematische Auslegung zielt auf das Verhältnis einzelner Normen zueinander ab. Es muss ein Bedeutungszusammenhang zwischen den entsprechenden Normen bestehen. Bei der systematischen Auslegung hilft vor allem ein Blick auf die Überschrift der Norm, die Überschrift des Abschnitts, in dem die Norm steht und auf nahe gelegene Normen.
Eine systematische Auslegung kann allerdings auch zu unbefriedigenden Ergebnissen führen, wenn auffällt, dass der Gesetzgeber nicht sehr systematisch und logisch vorgegangen ist.
IV. Teleologische Auslegung
Bei der teleologischen Auslegung wird nach Sinn und Zweck der Norm gefragt. Es wird unterschieden zwischen subjektiver und objektiver teleologischer Auslegung.
Die subjektive teleologische Auslegung stellt auf den Zweck ab, den sich der historische Gesetzgeber bei Erlass der Norm vorstellte. Tatsächlich handelt es sich daher bei der subjektiven teleologischen Auslegung um einen Unterfall der historischen Auslegung. Problematisch an dieser Form der Gesetzesinterpretation ist, dass es sich beim Gesetzgeber um eine Vielzahl von Personen handelt, welche verschiedene Zwecke mit Erlass der Norm verfolgt haben können.
Im Gegensatz zur subjektiven stellt die objektive teleologische Auslegung darauf ab, was wohl Sinn und Zweck der Norm unter gegenwärtigen Gesichtspunkten ist. Es wird nach dem Willen des Gesetzes gefragt.
Vielfach wird vertreten, dass die teleologische Auslegung neben der grammatischen Auslegung die vorrangige Form der Auslegung sein soll, welche den anderen Methoden vorgeht. Eine tatsächliche Reihenfolge besteht indes aber nicht.
V. Weitere Formen der Gesetzesauslegung
Neben den vier klassischen gibt es noch weitere Formen der Gesetzesauslegung, welche allesamt Beachtung zu finden haben.
Hierzu zählt insbesondere die richtlinienkonforme Auslegung. Aus § 288 AEUV ergibt sich, dass von der EU erlassene Richtlinien unmittelbar für jeden Mitgliedsstaat Geltung erlangen. Dies führt dazu, dass bereits bestehende Gesetze die Wertungen solcher Richtlinien zu beachten haben und diesen Wertungen zu folgen ist. Diese Auslegung findet jedoch ihre Grenze im Wortlaut der Norm.
Zuletzt folgt noch die verfassungskonforme Auslegung. Hiernach muss einfaches Recht stets grundgesetzkonform ausgelegt werden. So ergibt sich etwa aus Art. 1 Abs. 3 GG, dass auch die Rechtsprechung an die Grundrechte gebunden ist. Hierdurch müssen bei der Gesetzesauslegung stets die Wertungen des Grundgesetzes beachtet werden. Besonders beachtet werden muss dies bei Generalklauseln, wie §§ 138 und 242 BGB.
Tipp: Neben Gesetzen müssen in Klausuren und Hausarbeiten häufig auch Willenserklärungen und Verträge gem. §§ 133, 154 BGB ausgelegt werden!
Quellen
- Puppe, Ingeborg: Kleine Schule des juristischen Denkens, 3. Auflage 2014.
- Walz, Christian: Das Ziel der Auslegung und die Rangfolge der Auslegungskritierien in ZJS 04/2010 S. 482-490
- Zippelius, Reinhold: Juristische Methodenlehre, 11. Auflage 2012.