I. Allgemeines
Die Kausalität weist nur eine sehr geringe Filterwirkung auf und benötigt weiterer Einschränkung. Denn das Kriterium der Kausalität – nach der Conditio eine qua non Formel – führt bspw. zu dem fragwürdigen Ergebnis, dass auch die Mutter, die ein Kind gebärt, welches später einmal eine Tat begeht, für die Tat verantwortlich wäre.
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Daher muss der Taterfolg dem Täter auch objektiv zurechenbar sein um eine Strafbarkeit begründen zu können. Es geht darum, festzustellen, ob die Tat dem Täter als sein Werk zugerechnet werden kann.
Definition: Ein Erfolg ist dem Täter danach objektiv zurechenbar, wenn durch das Verhalten des Täters eine rechtliche missbilligte Gefahr geschaffen worden ist und sich genau diese Gefahr im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat.
Die objektive Zurechnung ist gesetzlich nicht geregelt, von der Lehre aber schon seit langem anerkannt. Die Rechtsprechung erkennt die objektive Zurechnung in dieser Art und Weise nicht an, zieht aber häufig ähnliche Wertungen heran. In Klausuren im Jurastudium und auch in der ersten Staatsprüfung sollte die objektive Zurechnung bei Erfolgsdelikten benannt und problematisiert werden. Darüber hinaus sollten hingegen eher die allgemeinen Wertungsaspekte herangezogen werden.
II. Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr
Bei der Prüfung der Frage, ob der Täter überhaupt eine rechtlich relevante Gefahr begründet hat, sind insbesondere die folgenden Fallgruppen zu beachten.
1. Schutzzweck der Norm
Nur wenn die verletzte Verhaltensnorm gerade dem Schutz des betreffenden Rechtsguts dient, wird eine rechtliche relevante Gefahr geschaffen.
Beispiel: T fährt im Ort A zu schnell. Er kommt daher früher in Ort B an als erwartet und fährt dort mit der erlaubten Geschwindigkeit. Das Kind O läuft ihm vors Auto und stirbt durch den Aufprall.
Hier hat T keine rechtlich relevante Gefahr geschaffen, da er zur Zeit des Unfalls mit der erlaubten Geschwindigkeit fuhr. Dass er vorher schneller fuhr und der Erfolg nicht eingetreten wäre, wenn er in Ort A langsamer gefahren wäre ist irrelevant, da der Schutzzweck der Geschwindigkeitsbegrenzung in A auch nur die Menschen in A und nicht die in B schützen soll.
2. Allgemeines Lebensrisiko und erlaubtes Risiko
Ebenso wird keine rechtlich relevante Gefahr geschaffen, wenn der Gefährdungsgrad das allgemeine Lebensrisiko nicht übersteigt. Hierzu gehören ganz entfernte Bedingungen und unbeherrschbare Kausalverläufe.
Beispiel: Daher ist T nicht strafbar, wenn er O nach draußen lockt, in der Hoffnung, dass dieser von einem Blitz erschlagen wird. Auch die Eltern eines Mörders können nicht wegen dessen Zeugung belangt werden.
Sollte der Täter zwar ein relevantes Risiko hervorgerufen haben, führt dies dennoch nicht zu dessen Begründung, wenn es vom erlaubten Risiko abgedeckt ist. Nach der Lehre von der Sozialadäquanz gilt dies für Handlungen, die aufgrund ihres sozialen Nutzens erlaubt sein sollen, wie etwa die Teilnahme am Straßenverkehr.
III. Gefahrrealisierung
Die Gefahr muss sich auch im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert haben. Dies ist insbesondere bei diesen Fallgruppen problematisch:
1. Atypischer Kausalverlauf
Ein atypischer Kausalverlauf liegt vor, wenn der eingetretene Erfolg völlig außerhalb dessen liegt, was nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu erwarten ist. Dies ist etwa der Fall, wenn das Opfer durch Genickbruch stirbt, als es von der Trage fällt, weil der Rettungssanitäter einen Herzschlag erleidet.
In diesen Fällen wird zwar eine rechtlich relevante Gefahr begründet, diese realisiert sich aber nicht im Erfolg. Es handelt es sich vielmehr um Unglücksfälle. Problematisch sind die Fälle der abnormalen Konstitution des Opfers und der psychisch vermittelten Kausalität.
2. Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Besonders bei Fahrlässigkeitsdelikten ist der Pflichtwidrigkeitszusammenhang oft problematisch. Dieser fehlt, wenn der tatbestandliche Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch bei pflichtgemäßen Alternativverhalten eingetreten wäre.
So wäre dies etwa der Fall, wenn der Täter zu schnell fährt und auf einmal das Opfer auf die Straße rennt. Hätte er das Opfer auch überrfahren, wenn er nicht zu schnell gefahren wäre, fehlt es am Pflichtwidrigkeitszusammenhang.
Die herrschende Vermeidbarkeitstheorie stellt darauf ab, ob der Erfolg vermeidbar gewesen wäre. Eine solche Auffassung folgt aus dem Grundsatz „in dubio pro reo„.
Hingegen stellt die Risikoerhöhungslehre darauf ab, ob das pflichtwidrige Verhalten bereits die Gefahr des Erfolgseintritts erhöht hat.
3. Freiverantwortliche Selbstschädigung und -gefährdung
Grundsätzlich ist jeder nur für sein Verhalten verantwortlich. Dies muss auch bei der objektiven Zurechnung berücksichtigt werden.
Selbst wenn sich ein Dritter beteiligt hat, kann eine eigenverantwortliche Selbstschädigung oder -gefährdung nur dem Opfer selbst zugerechnet werden. Dies folgt aus dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit.
Da die Selbstverletzung oder -tötung straflos ist, muss auch eine etwaige Teilnahme daran straflos sein. Daraus folgt, dass der Täter bei freiverantwortlicher Selbstschädigung oder -gefährdung bereits keine rechtlich relevante Gefahr begründet.
Zu beachten ist aber, dass das Opfer auch tatsächlich eigenverantwortlich gehandelt haben muss. Dies wird allerdings nur ausnahmsweise verneint, etwa bei §§ 19, 2o oder § 35 StGB.
Das Opfer muss sich auch tatsächlich selbst gefährdet haben. Abzugrenzen ist diese Selbstgefährdung von der einverständlichen Fremdgefährdung. Entscheidender Faktor ist hierbei die Tatherrschaft. Wenn die Tatherrschaft beim Opfer liegt, handelt es sich um Selbstgefährdung, ansonsten um Fremdgefährdung.
Bei überlegenem Wissen des Täters kann sich auch bei voller Freiverantwortlichkeit des Opfers eine Tatherrschaft des Täters ergeben, wie etwa wenn er dem Opfer verunreinigtes Heroin überreicht, wobei das Opfer von der Verunreinigung nichts weiß. So liegt die Tatherrschaft ebenso beim Täter, wenn das Opfer einem erheblichen Irrtum unterlag und der Täter das Risiko voll erfassen konnte und dies dem Opfer hätte verdeutlichen können.
Wie die einverständliche Fremdgefährung tatsächlich zu behandeln ist, ist im Ergebnis umstritten.
4. Eigenverantwortliches Dazwischentreten des Opfers
Der Zurechnungszusammenhang wird auch unterbrochen bei einem ungewöhnlichen Verhalten des Verletzten nach der Tat, welches dieser zu verantworten hat. Dies wäre etwa der Fall, wenn sich das Opfer nach dem Angriff der rettenden Bluttransfusion im Krankenhaus widersetzt.
5. Eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten
Häufig kommt es vor, dass erst das vorsätzliche oder fahrlässige Verhalten eines Dritten den tatbestandlichen Erfolg herbeiführt, nachdem der Täter bereits sein Verhalten beendet hat. Dieser Erfolg kann dem Täter dann nicht zugerechnet werden, wenn der Dritte vollverantwortlich eine neue selbstständige Gefahr begründet hat, die sich dann im Erfolg niedergeschlagen hat.
Dies gilt ausnahmsweise nicht, wenn das Täterverhalten gerade das Eingreifen eines Dritten voraussetzt oder das Verhalten des Dritten typischerweise in der Ausgangsgefahr begründet ist.
Problematisch sind insbesondere die Retterfälle, in denen ein Dritter in den vom Ersttäter eröffneten Kausalverlauf eingreift und sich dabei selbst gefährdet, wie etwa wenn jemand in ein brennendes Haus eindringt, welches vom Täter in Brand gesteckt wurde.
Handelt der Retter nicht wirklich freiwillig (z.B. weil er als Feuerwehrmann zum Eingreifen verpflichtet ist), unterbricht dies nach h.M. nicht den Zurechnungszusammenhang, da der Täter mit einem Eingreifen zu Rechnen hat. Anders ist dies bei freiwillig handelnden Rettern, da der Täter hiermit regelmäßig nicht zu rechnen braucht. Ausnahmen werden jedoch teilweise in den Fällen der Rettung von Angehörigen/nahestehenden Personen zugelassen. Dabei wird sich an den Grundsätzen des § 35 StGB orientiert. Dafür spricht, dass in bestimmten Fällen eine psychische Zwangslage von solcher Intensität geschaffen wird (bspw. wenn der Ehepartner im brennenden Haus eingeschlossen ist), dass eine Freiwilligkeit der Rettung verneint werden muss.
6. Risikoverringerung
Wenn der Täter lediglich den drohenden Erfolg abschwächt, begründet er keine eigene Gefahr, weshalb auch hier der Zurechnungszusammenhang entfällt. Problematisch ist hier insbesondere die Abgrenzung zu Rechtfertigungsgründen wie der Notwehr gem. § 32 StGB.
Keine Risikoverringerung liegt hingegen vor, wenn der Täter zwar durch sein Handeln einen anderen Erfolg verhindert, aber dennoch eine eigene Gefahr begründet (etwa wenn T den O bewusstlos schlägt, um ihn vor einem Angriff durch seinen Erzfeind zu schützen).
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Quellen
- Joecks, Wolfgang: Strafgesetzbuch – Studienkommentar- , 10. Auflage 2012.
- Wessels, Johannes / Beulke, Werner / Satzger, Helmut: Strafrecht Allgemeiner Teil, 44. Auflage 2014.