Einleitung
Die Rechtsbehelfe des Vollstreckungsschuldners im Vollstreckungsverfahren müssen von den Rechtsbehelfen des Gläubigers zur Erlangung des Titels unterschieden werden. Der Schuldner oder auch ein Dritter, der weder Zwangsvollstreckungsgläubiger noch Schuldner ist, kann sich gegen eine Vollstreckung mit folgenden Rechtsbehelfen wehren:
- Erinnerung, § 766 ZPO: Art und Weise der Vollstreckungsmaßnahme
- sofortige Beschwerde, § 793 ZPO: Art und Weise der Entscheidung
- Drittwiderspruchsklage, § 771 ZPO: Ein die Veräußerung hinderndes Recht
- Klage auf vorzugsweise Befriedigung, § 805 ZPO: Pfand- oder Vorzugsrecht
- Vollstreckungsabwehrklage, § 767 ZPO: Einwendungen und Einreden gegen den titulierten Anspruch
Die Erinnerung gemäß § 766 ZPO und die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO betreffen formale Fehler des Zwangsvollstreckungsverfahrens. Den Grund oder Gegenstand der Vollstreckung kann der Schuldner mit der Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO, der Klage auf vorzugsweise Befriedigung gemäß § 805 ZPO oder der Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO rügen.
1. Die Erinnerung, § 766 Abs. 1 ZPO
Die Erinnerung ist in § 766 ZPO normiert:
(1) Über Anträge, Einwendungen und Erinnerungen, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder das vom Gerichtsvollzieher bei ihr zu beobachtende Verfahren betreffen, entscheidet das Vollstreckungsgericht […]
Rechtsschutz gegen die Art und Weise der Maßnahmen in der Zwangsvollstreckung und die Handlungen aller Vollstreckungsorgane kann nicht nur der Schuldner, sondern auch der Gläubiger durch eine Erinnerung gemäß § 766 ZPO vor dem Vollstreckungsgericht erlangen. Die Art und Weise des Vollstreckungsverfahrens iSd. § 766 ZPO betreffen beispielsweise:
- die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen, z.B. fehlender Antrag über die Einleitung der Zwangsvollstreckung oder keine Zustellung des Vollstreckungstitels
- die Zeit z.B. Vollstreckung an Weihnachten
- den Ort z.B. Pfändung einer Sache im Mitgewahrsam eines Dritten
- den Umfang der Vollstreckung z.B. Pfändung von Arbeitsmitteln
Auch die Zuständigkeit des Vollstreckungsorgans und die Rechtmäßigkeit der gewählten Vollstreckungsart lassen sich mit dem Rechtsbehelf der Erinnerung (§ 766 ZPO) rügen.
Merke: Die Vollstreckungserinnerung ist nur gegen Vollstreckungsmaßnahmen, nicht gegen Vollstreckungsentscheidungen statthaft! Hier wäre dann die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO statthaft.
Prüfungsschema: Erinnerung, § 766 Abs. 1 ZPO
- I. ZULÄSSIGKEIT
- 1. Statthaftigkeit: Die Vollstreckungserinnerung ist statthaft gegen Vollstreckungsmaßnahmen des Vollstreckungsgerichts und die Tätigkeiten des Vollstreckungsorgans (in der Regel: Gerichtsvollzieher).
- 2. Vorliegen einer Beschwerde: Eine Beschwerde liegt für eine Partei immer dann vor, wenn durch die Maßnahme ein Nachteil für sie entstanden ist.
- 3. Richtiger Erinnerungsgegner: Der Erinnerungsgegner ist immer die Gegenpartei im Vollstreckungsverfahren.
- 4. Rechtsschutzbedürfnis: Die Zwangsvollstreckung muss begonnen haben und noch nicht beendet worden sein.
- II. BEGRÜNDETHEIT
- Eine Vollstreckungserinnerung ist dann begründet, wenn bei der Durchführung der Vollstreckung Verfahrensvorschriften verletzt worden sind.
- Die Folge ist ein Beschluss des Gerichts.
2. Die sofortige Beschwerde, § 793 ZPO
Gegen Entscheidungen, die im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen können, findet sofortige Beschwerde statt.
Die sofortige Beschwerde ist der Rechtsbehelf bezüglich der Art und Weise der Zwangsvollstreckung, der gegen Entscheidungen eines Vollstreckungsorgans statthaft ist.
Bei der Abgrenzung dieses Rechtsbehelfs von der Erinnerung kommt es auf den Begriff der Entscheidung an. Nur bei dieser findet eine Abwägung des Vollstreckungsorgans statt. So ist gegen Entscheidungen des Prozessgerichts stets die sofortige Beschwerde statthaft. Dem Gerichtsvollzieher hingegen steht kein Gestaltungsspielraum zu, weshalb gegen seine Maßnahmen die Erinnerung statthaft ist. Für das Vollstreckungsgericht muss je nach Konstellation differenziert werden.
Prüfungsschema: sofortige Beschwerde, § 793 ZPO
- I. ZULÄSSIGKEIT
- 1. Statthaftigkeit, § 567 ZPO: gesetzlich vorgesehen (Nr. 1), Zurückweisung eines Gesuchs (Nr. 2), bei Kostenentscheidungen ab 200 €
- 2. Vorliegen einer Beschwer: Entscheidend ist der Antrag und ob das Gericht hinter dem zurückgeblieben ist, was der Beschwerdeführer seinerzeit beantragt hat.
- 3. Frist und Formgerechte Einlegung, § 569 ZPO
- 4. Begründung des Rechtsmittels, § 571 ZPO
- 5. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen:
a) Partei-, Prozess-, und Postulationsfähigkeit
b) Kein Rechtsmittelverzicht
c) Keine Verwirkung der Rechtsmittel - 6. Rechtsschutzbedürfnis: Die Zwangsvollstreckung muss begonnen haben und noch nicht beendet worden sein.
- II. BEGRÜNDETHEIT
- wenn die Entscheidung des Gerichts in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht rechtswidrig war.
3. Die Drittwiderspruchsklage, § 771 Abs. 1 ZPO
(1) Behauptet ein Dritter, dass ihm an dem Gegenstand der Zwangsvollstreckung ein die Veräußerung hinderndes Recht zustehe, […]
Die Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 Abs. 1 ZPO ist der Rechtsbehelf eines Dritten, der weder Vollstreckungsgläubiger noch Schuldner ist. Er kann die Klage erheben, wenn ihm an der gepfändeten Sache oder dem gepfändetem Recht ein Interventionsrecht zusteht.
Definition: Ein Interventionsrecht ist ein die Veräußerung hinderndes Recht, welches bei einer hypothetischen Veräußerung durch den Vollstreckungsschuldner verletzt wäre.
Mögliche Interventionsrechte sind das Eigentum, der Nießbrauch, die Grundschuld und die Hypothek.
Die Notwendigkeit der Drittwiderspruchsklage ergibt sich aus der Tatsache, dass der Gerichtsvollzieher lediglich den Gewahrsam an Sachen und keine möglichen Interventionsrechte prüft.
Bei der Drittwiderspruchsklage wendet sich ein Dritter nur gegen einzelne Vollstreckungsmaßnahmen und nicht die Vollstreckung als solche.
Tipp: Mehr zur Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) befindet sich in diesem Artikel.
Prüfungsschema: Drittwiderspruchsklage, § 771 Abs. 1 ZPO
- I. ZULÄSSIGKEIT
- 1. Zuständigkeit
a) örtliche Zuständigkeit: Bezirk der Vollstreckungsmaßnahme
b) sachliche Zuständigkeit, §§ 23, 71 GVG
Merke: ausschließlicher Gerichtsstand, § 802 ZPO - 2. Statthaftigkeit: Der Dritte wendet sich gegen die Zulässigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme. Hierbei beruft er sich auf Rechte, die er an der gepfändeten Sache hat.
- 3. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen
- 4. Rechtsschutzbedürfnis: Die Zwangsvollstreckung muss begonnen haben und noch nicht beendet worden sein.
- 1. Zuständigkeit
- II. BEGRÜNDETHEIT
- Zwangsvollstreckung wird gemäß § 775 Nr. 1 ZPO als unzulässig erklärt, wenn der Dritte ein Recht an der gepfändeten Sache hat und der Beklagte keine Einwendungen gegen dieses Recht geltend macht.
- 1. Recht an der gepfändeten Sache: schuldrechtliche oder sachenrechtliche Ansprüche oder Rechte an Forderungen
- 2. Einwendungen des Beklagten: Einwendung gegen das Recht an sich oder Einwendungen die eine Zwangsvollstreckung dennoch rechtfertigen (§ 242 BGB).
4. Die Klage auf vorzugsweise Befriedigung, § 805 ZPO
[…] er kann jedoch seinen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös im Wege der Klage geltend machen. […]
Die Klage eines Dritten auf vorzugsweise Befriedigung gem. § 805 ZPO statthaft, wenn ihm ein besitzloses Pfandrecht oder Vorzugsrecht an der Sache zusteht.
Mit dieser Klage kann der Dritte die Zwangsvollstreckung nicht verhindern. Stattdessen erhält er eine vorzugsweise Befriedigung aus dem Erlös der Zwangsvollstreckung.
Beispiele: gesetzlich besitzlose Pfandrechte wie Vermieterpfandrechte (§§ 562, 583, 704 BGB), gesetzliche Besitzpfandrechte wie das Werkunternehmerpfandrecht, § 647 BGB oder auch rechtsgeschäftlich bestellte Pfandrechte (§ 1204 BGB) sowie Vorzugsrechte, §§ 50, 51 InsO.
Prüfungsschema: Klage auf vorzugsweise Befriedigung, § 805 ZPO
- I. ZULÄSSIGKEIT
- 1. Zuständigkeit
a) örtliche Zuständigkeit, § 805 II, 802 ZPO
b) sachliche Zuständigkeit, §§ 23, 71 GVG - 2. Statthaftigkeit: wenn der Kläger ein vorrangiges Pfand- oder Vorzugsrecht geltend macht.
- 3. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen
- 4. Rechtsschutzbedürfnis: Die Zwangsvollstreckung muss begonnen haben und noch nicht beendet worden sein.
- 1. Zuständigkeit
- II. BEGRÜNDETHEIT
- wenn dem Kläger tatsächlich ein Pfand- oder Vorzugsrecht zusteht.
- 1. Pfand- oder Vorzugsrecht
- 2. Vorrangigkeit: Prioriätspinzip, §§ 804 Abs. 2, Abs. 3 ZPO.
5. Die Vollstreckungsabwehrklage, § 767 ZPO
(1) Einwendungen, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen […] geltend zu machen.
(2) […] die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung […] entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können.
Durch die Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO kann der Vollstreckungsschuldner Einwendungen und Einreden gegen den titulierten Anspruch geltend machen. Hierbei richtet sich die Vollstreckungsabwehrklage immer gegen die Vollstreckung als solche.
Die Gründe, auf denen die Einwendung oder Einrede beruht, dürfen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden sein, § 767 Abs. 2 ZPO. Ansonsten hätte der Kläger die Gründe schon vorher vortragen können. Eine Einwendung könnte beispielsweise die Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB sein.
Sofern der Schuldner Gestaltungsrechte ausübt, ist strittig, ob es auf den Zeitpunkt der objektiven Entstehung des Gestaltungsrechts ankommt oder der Zeitpunkt der Ausübung des Gestaltungsrechts. Die Rechtsprechung stellt auf den ersteren, früheren Zeitpunkt ab.
Durch Urteile titulierte Ansprüche werden wegen der Rechtskraft des Urteils nicht überprüft. Bei Titeln, von denen keine Rechtskraft ausgeht, wie die vollstreckbare notarielle Urkunde gem. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, werden die Einwendungen und Einreden im Rahmen der Klage vollständig überprüft.
Tipp: Mehr zur Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) befindet sich in diesem Artikel.
Prüfungsschema: Vollstreckungsabwehrklage, 767 ZPO
- I. ZULÄSSIGKEIT
- 1. Zuständigkeit: Prozessgericht des ersten Rechtszuges, § 767 Abs. 1, 802 ZPO
- 2. Statthaftigkeit: wenn der Kläger materielle Einwendungen gegen die titulierten Anspruch geltend macht.
- 3. Allgemeine Sachurteilsvoraussetzungen
- 4. Rechtsschutzbedürfnis: Die Zwangsvollstreckung muss begonnen haben und noch nicht beendet worden sein.
- II. BEGRÜNDETHEIT
- wenn der Anspruch nicht mehr oder nur noch zum Teil besteht und er nicht präkludiert ist.
- 1. Materielle Einwendung
- 2. Keine Präklusion, § 767 Abs. 2, Abs. 3 ZPO.
Fazit
Beim Zwangsvollstreckungsrecht sollte in der Examensvorbereitung auf das erste Examen keineswegs auf „Lücke“ gesetzt werden. Mit einem Grundstock an Fachwissen und der Kenntnis der wichtigsten Paragraphen lassen sich nämlich die meisten Zusatzfragen und prozessualen Einkleidungen in Examensklausuren meistern. Der Arbeitsaufwand lohnt sich allemal, denn nur so kann man gut vorbereitet ins Examen gehen und spätestens im Referendariat muss das Zwangsvollstreckungsrecht sitzen.