I. Allgemeines zur Untreue, § 266 StGB
Das Schutzgut der Untreue (§ 266 StGB) ist das Vermögen [BGH NJW 2000, 154]. Die Untreue schützt fremdes Vermögen vor schädigenden Pflichtverletzungen von innen. Eine Bereicherung ist zur Tatbestandsrealisierung nicht erforderlich.
Zu unterteilen ist die Untreue gemäß § 266 StGB in zwei Tatbestände:
Wer die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht oder die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt, wird […] bestraft.
- Missbrauchstatbestand, Alternative 1 des § 266 StGB
- Treuebruchtatbestand, Alternative 2 des § 266 StGB
Beachte: Die Varianten der Untreue (§ 266 StGB) sind streng voneinander zu trennen. Der Wortlaut der Norm trennt die Varianten durch das Wort „oder“.
II. Schema: Untreue, § 266 StGB
Prüfungsschema: Untreue, § 266 StGB:
- Tatbestandsmäßigkeit
- Objektiver Tatbestand
- § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB – Tatbestand des Missbrauchs (lex specialis)
- Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis
- Missbrauch der Befugnis
- Vermögensbetreuungspflicht
- oder § 266 Abs. 1 Alt 2 StGB – Tatbestand des Treuebruchs
- Vermögensbetreuungspflicht
- Pflichtverletzung
- Vermögensnachteil
- Subjektiver Tatbestand: Vorsatz
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Strafzumessung: Besonders schwere Fälle, § 266 Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 StGB
Fange in der Prüfung auf jeden Fall mit § 266 Abs. 1 Var. 1 StGB als speziellerem Delikt an. Wird dieses bejaht, erübrigt sich die Prüfung der Var. 2 StGB!
III. Untreue: Missbrauchstatbestand, § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB
Unter den Missbrauchstatbestand der Untreue (§ 266 StGB) fallen alle Fälle, in denen dem Täter die rechtliche Befugnis eingeräumt wurde, im Außenverhältnis rechtswirksam über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten.
Definition: Unter Verpflichtungs- bzw. Verfügungsbefugnis versteht man die Möglichkeit, nach außen rechtlich bindend über das Vermögen eines anderen zu verfügen oder eine andere Person zu verpflichten.
Ebendiese rechtliche Vertretungsmacht muss vom Täter missbraucht worden sein.
Definition: Ein Missbrauch liegt vor, wenn der Täter im Innenverhältnis gesetzte Grenzen (Können) derart überschreitet, dass der vertretene Treugeber nach außen rechtlich wirksam gebunden ist und dadurch geschädigt wird (Missbrauch des rechtlichen Dürfens).
Der Täter handelt also intern pflichtwidrig, aber extern wirksam. Der Missbrauch muss rechtsgeschäftliches Handeln voraussetzen. Es muss also eine rechtlich wirksame Bindung des Dritten vorliegen. Die Schädigung muss dabei Rechtsfolge der bestehenden und genutzten Vertretungsmacht sein. Nicht ausreichend hingegen ist eine Vertretung ohne Vertretungsmacht.
Beispiel: P ist Mitarbeiter der X-AG. Im obliegt die Vollmacht für die X Verpflichtungen bis zu einer Höhe von 100.000 € einzugehen. Allerdings geht P für die X Verpflichtungen in Höhe von 2 000 000 € ein.
Im Innenverhältnis besteht eine Beschränkung der Rechtsgeschäfte bis zu einer Höhe von 100 000 €. Im Außenverhältnis hat sich der P namens der X einer unbeschränkten Vertretungsvollmacht bedient.
Rechtsprechung als auch h. M. verlangen daneben eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht [BGHSt 47, 187, 192]. Dazu unter IV.1.
Tipp: Sieh dir hier unser Video zum Missbrauchstatbestand der Untreue gem. § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB an!
IV. Untreue: Treuebruchtatbestand, § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB
1. Vermögensbetreuungspflicht
Aus dem Wortlaut lässt sich nicht darauf schließen, welcher Art die fremden Vermögensinteressen sein müssen. Um eine konturlose Ausdehnung des Tatbestands zu vermeiden, ist eine restriktive Interpretation anerkannt.
Charakterisiert wird das Unrecht gem. § 266 Alt 2 StGB als die Verpflichtung zu einer besonderen fremdnützigen Vermögensfürsorge. Hinzu treten zwei einschränkende Kriterien – die Hauptpflicht und die Selbständigkeit.
Zunächst erforderlich ist, dass es sich bei der Verpflichtung um eine Hauptpflicht handelt. Eine Nebenpflicht ist nicht tatbestandsmäßig. Darüber hinaus darf die Vermögensbetreuungspflicht nicht nur untergeordnete Bedeutung haben. Vielmehr muss sie typischer und wesentlicher Inhalt des Treueverhältnisses sein. Grundlage hierfür sind Inhalt und Umfang der auf dem Rechtsverhältnis beruhenden Treueabrede [BGHSt 47, 295, 297].
Des Weiteren muss die Tätigkeit Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen geben und dem Verpflichteten eine gewisse Selbständigkeit lassen. Ist also die übertragene Tätigkeit in allen Einzelheiten vorgegeben, sodass keine eigene Beurteilung erfolgen kann, fehlt es an der Selbständigkeit der Vermögensbetreuungspflicht.
Ob Vereinbarungen, die gesetzes- oder sittenwidrigen Zwecken dienen, faktische Treueverhältnisse begründen können, ist umstritten. Die h.M. bejaht dies unter Erwägung, dass auch § 263 StGB das Vermögen schützt, das zu missbilligten Zwecken genutzt wird.
2. Tathandlung
Als Tathandlung kommt rechtsgeschäftliches als auch jedes tatsächliche Verhalten in Betracht. Dieses kann in positivem Tun als auch Unterlassen bestehen.
Liegt seitens des geschützten Vermögensinhabers ein Einverständnis in die Tathandlung vor, so kann der Vermögensbetreuungsverpflichtete keine ihm obliegende Pflicht verletzen. Regelmäßig ist dann ein tatbestandsausschließendes Einverständnis gegeben.
V. Vermögensnachteil der Untreue, § 266 StGB
Der Vermögensnachteil stimmt mit dem in § 263 StGB verlangten Vermögensschaden überein. Der Taterfolg muss sich also als Vermögensnachteil niederschlagen, der gemäß den allgemeinen Kausalitätsregeln eine objektiv zurechenbare Folge der Pflichtverletzung als Tathandlung ist.
VI. Beispielfall der Untreue (§ 266 StGB): Bildung schwarzer Kassen (Siemens-Fall)
1. Sachverhalt
K hat als leitender Angestellter der S-AG die kaufmännische Leitung über einen bestimmten Geschäftsbereich inne. Unter seine Zuständigkeit fällt die Buchhaltung. K hat die Befugnis Zahlungen in unbegrenzter Höhe anzuweisen.
Ebenfalls zum Geschäftsbereich des K gehört auch ein eingerichtetes System zur Zahlung von Bestechungsgeldern. Diese werden auf Auslandskonten in Lichtenstein und Dubai gelagert, die nicht unter dem Namen der S-AG geführt werden und nicht ordnungsgemäß verbucht werden. K hatte dieses System von W (Vorgänger des K) übernommen.
Der Vorstand der S-AG hat über dieses System keine Kenntnis und billigt dieses auch nicht. Vielmehr widerspricht die Einrichtung eines solchen Systems dem ausdrücklichen Verbot der Zahlung jeglicher Schmiergelder. Um zwei Aufträge zu bekommen, zahlte K Bestechungsgelder in Millionenhöhe. Basierend auf den erlangten Aufträgen erwirtschaftete die S-AG einen Gewinn von mehr als 100 Mio. €.
2. Lösung
Nach Ansicht des BGH erfüllt K den Tatbestand des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB. Grund hierfür sei, dass das tatbestandsrelevante Verhalten des K darin liege, dass er die Gelder nicht ordnungsgemäß gebucht und der S-AG offenbart habe. Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt im Unterlassen.
Darüber hinaus nimmt der BGH eine schädigende konkrete Vermögensgefährdung als auch das Vorliegen eines endgültigen Vermögensschadens an. Denn die schwarzen Kassen seien unter Ausschluss des Vermögensinhabers geführt und diesem entzogen worden. Letztlich stünde der Entziehung des Vermögenswertes keine schadensabwendende direkte Kompensation gegenüber.
Tipp: Schau dir hier unser Video zum Treuebruchtatbestand der Untreue gem. § 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB an!
VII. Fazit
Das Verständnis der Untreue dürfte Ihnen leichter fallen, wenn Sie die Parallele zu den Regeln der Stellvertretung, §§ 164 ff BGB, und zum Betrug ziehen, § 263 StGB. Mit diesem Vorwissen verbleibt nicht mehr allzu viel Neues zum Lernen. Der Korrektor wird Ihr Wissen und das Ziehen von Parallelen mit reichlich Punkten belohnen.
Quellen
- Saliger, JA 2007, 327
- Rengier, StrafR BT, Teil I, 13. Auflage