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I. Die Vertretungsmacht
Die Vertretungsmacht im Allgemeinen ist zunächst die rechtliche Befugnis mit Wirkung für und gegen den Vertretenen zu handeln, § 164 Abs. 1 BGB.
Tipp: Falls die Kenntnisse zur Stellvertretung nicht mehr so ganz vorhanden sind, lies hier.
II. Die Vermutung der Vollmacht von Angestellten im Laden oder Warenlager
Grundsätzlich wird eine wirksame Erteilung der Handlungsvollmacht vorausgesetzt. In § 56 HGB ist hingegen die unwiderlegliche Vermutung enthalten, dass zum Schutze des Rechtsverkehrs der Ladenangestellte in Bezug auf Verkäufe und Empfangnahmen, die „in einem derartigen Laden oder Warenlager gewöhnlich geschehen“, als Bevollmächtigter handelt.
§ 56 HGB:
Wer in einem Laden oder in einem offenen Warenlager angestellt ist, gilt als ermächtigt zu Verkäufen und Empfangnahmen, die in einem derartigen Laden oder Warenlager gewöhnlich geschehen.
Natürlich kann eine Vollmacht auch in diesen Fällen ganz normal erteilt werden (dadurch kann auch der Umfang anders bestimmt werden). Dies muss auch stets zuerst geprüft werden. Sie muss dabei auch nicht ausschließlich durch den Kaufmann erfolgen.
Fehlt die Erteilung der Vertretungsmacht jedoch, gilt sie kraft Gesetz als erteilt. Der Umfang ist dabei gesetzlich geregelt. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn der Angestellte seine Vertretungsmacht (rechtliches Können) überschreitet und so als Vertreter ohne Vertretungsmacht handelt. Um den Vertragspartner zu schützen, ist der Vertrag wegen § 56 HGB dann dennoch wirksam.
§ 56 HGB hat daher zwei Funktionen:
- Er dient zur Erteilung einer Handlungsvollmacht mit festgelegten Umfang.
- Sollte keine Vollmacht erteilt worden sein, gilt durch § 56 HGB die unwiderlegliche Vermutung der Bevollmächtigung des Angestellten.
III. Voraussetzungen und Umfang des § 56 HGB
1. Laden oder Warenlager
Es muss sich für die Vermutungsregelung um einen Angestellten in einem Laden oder Warenlager handeln. Gemeint ist damit eine Verkaufsstätte, die zum freien Eintritt für das Publikum und zum Abschluss von Geschäften bestimmt ist.
Definition: Laden i.S.d. § 56 HGB ist jedes dem Publikum zugängliche – wenn auch nur vorübergehend benutzte – Verkaufslokal gemeint. Entscheidend ist die allgemeine Zugänglichkeit, nicht die Menge an Publikumsverkehr.
Definition: Warenlager sind Räumlichkeiten, die der Aufbewahrung von Warenvorräten dienen.
2. Ladenangestellung
Eine Anstellung im Sinne des § 56 HGB ist jede Tätigkeit der entsprechenden Person, die mit Wissen und Wollen des Geschäftsinhabers geschieht. Ein rechtlich wirksames Arbeitsverhältnis ist somit nicht maßgeblich, geschweige denn notwendig.
Definition: Jeder, der mit Wissen und Wollen des Ladeninhabers in dem Laden zum Verkauf eingesetzt ist. Nicht angestellt i.S.d. § 52 HGB ist, wer ohne Wissen und Wollen des Inhabers im Laden mit den Kunden verkehrt oder dort zu Verkaufszwecken tätig ist.
Wichtig ist aber, dass der Angestellte von seiner Funktion her unter den § 56 HGB fällt. Nicht für jeden Angestellten des Geschäftsinhabers gilt § 56 HGB ohne weiteres – Reinigungspersonal, Buchführungspersonal und ähnliches fallen nicht unter § 56 HGB.
3. Umfang
Nach seinem Wortlaut bezieht sich 56 HGB nur auf „Verkäufe und Empfangnahmen, die in einem derartigen Laden oder Warenlager gewöhnlich geschehen“. § 56 HGB muss jedoch teleologisch ausgelegt werden, so dass unter die Verkäufe auch die damit zusammenfallenden Verfügungsgeschäfte fallen.
Ansonsten bestünde eine Situation, in welcher der Ladenangestellte zwar wirksam verpflichten könnte, das Verschaffen von Eigentum ihm aber nicht möglich wäre. Dementsprechend könnte der Vertragspartner den Ladeninhaber jedoch aus dem Kaufvertrag auf Übereignung verklagen – dies ist nicht der Sinn von § 56 HGB.
Die Vertretungsmacht bezieht sich nur auf branchenübliche und ladenübliche Geschäfte.
4. Guter Glaube des Dritten
Damit die Vermutung zum tragen kommt, muss der Vertragspartner jedoch gutgläubig in Bezug auf die fehlende Vertretungsmacht sein, analog § 54 Abs. 2 HGB.
Der Dritte darf also weder Kenntnis noch fahrlässige Unkenntnis von der mangelnden Vertretungsmacht haben.
Somit kann der Rechtsscheinstatbestand – den § 56 HGB voraussetzt – durch den Geschäftsinhaber mit einem Hinweis zerstört werden. So etwa durch einen Aushang mit dem Hinweis „Zahlungen nur an der Kasse“. Es können neben § 56 HGB jedoch immer auch die Duldungs- und Anscheinsvollmacht eingreifen, welche weitgehender sind.
Merke: § 56 HGB ist eine Art gesetzlich geregelte Anscheinsvollmacht.
Da, nach teleologischer Auslegung, § 56 HGB auch das Verfügungsgeschäft erfasst, muss § 56 HGB auch das Abhandenkommen des § 935 BGB überwinden können, denn sonst liefe § 56 HGB leer.
Im Normalfall, läge ein Abhandenkommen vor, wenn der Besitzdiener die Sache ohne Willen des Besitzherren weggibt oder unterschlägt, da darin ein unfreiwilliger Besitzverlust des Besitzherren zu sehen ist. Greift jedoch § 56 HGB ein, ist in einem solchen Fall ein Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB zu verneinen.
IV. Besonderheiten des § 56 HGB
§ 56 HGB gilt zudem für die Gewährung von Rabatten. Der Wortlaut legt dies zwar nicht nahe, doch ist die Gewährung eines Preisnachlasses eine Nebenabrede, die naturgemäß sehr eng mit dem Verkauf als solchen in Verbindung steht – sodass sie auch zum Verkaufsbegriff des § 56 HGB zählen muss.
Die Vollmacht gilt allerdings nicht für Ankaufsgeschäfte, da hier eine vergleichbare Interessenlage für eine analoge Anwendung fehlt. Beim Ankauf geht es nämlich gerade nicht, wie beim Verkauf, um bestimmte Kaufsachen, welche regelmäßig einen festgelegten Preis aufweisen.
V. Die beschränkte Geschäftsfähigkeit
Fraglich ist, inwiefern die beschränkte Geschäftsfähigkeit gem. §§ 2, 106 BGB im Hinblick auf § 56 HGB zu bewerten ist. In der Klausur ist dies dann anzusprechen, wenn minderjährige Angestellte im Laden mitarbeiten und etwas verkaufen. Dann stellt sich die Frage, ob der Käufer dann mit befreiender Wirkung gegenüber dem Ladeninhaber den Kaufpreis bezahlt hat?
§ 56 HGB begründet nur Verpflichtungen für den Ladeninhaber, nicht für den Vertreter selbst. Die Stellvertretung ist also für den Minderjährigen nicht rechtlich nachteilig. Nach § 165 BGB kann auch ein beschränkt Geschäftsfähiger ausdrücklich wirksam eine andere Person vertreten.
§ 165 BGB:
Die Wirksamkeit einer von oder gegenüber einem Vertreter abgegebenen Willenserklärung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass der Vertreter in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist.
Deshalb ist die Minderjährigkeit für § 56 HGB unproblematisch, man muss dies aber in der Klausur sicher herleiten.