Arbeiten mit dem Sachverhalt
Zunächst ist der Sachverhalt genauestens zu lesen und zu verstehen. Oft hilft es dabei auch, Diagramme und einen Zeitstrahl zu zeichnen und Markierungen im Falltext vorzunehmen, sowie eine Skizze der Personenverhältnisse anzufertigen.
Weiterhin muss die Fallfrage genauestens beachtet werden. Geht es etwa nur um die Ansprüche einer bestimmten Person, sind die anderen nicht zu berücksichtigen (auch wenn oft das Bestehen bestimmter Rechtsverhältnisse dieser Personen inzident geprüft werden muss).
Prüfungsaufbau
Man beginnt stets im Kopf mit der Frage: Wer will was von wem woraus? Nach Möglichkeit sollten zuerst Zweipersonenverhältnisse geprüft werden.
Ist etwa die Fallfrage: „Wie ist die Rechtslage?“, hat der Bearbeiter sämtliche Ansprüche aller Personen zu prüfen.
Im Kopf geht man dann folgendes durch:
- Wer: Anspruchssteller
- will was: Anspruchsgegenstand – etwa Kaufpreiszahlung, Schadensersatz oder Herausgabe einer Sache
- von wem: Anspruchsgegner – etwa der Vertragspartner
- woraus: Anspruchsgrundlage – etwa § 433 Abs. 2 BGB auf Kaufpreiszahlung?
Nicht zu vergessen ist, dass jede auch nur mögliche Anspruchsgrundlage geprüft werden muss, selbst wenn ein Anspruch bereits bejaht wurde. Dies ist dem Gutachtenstil zu verschulden.
Merksatz:
V-iel Q-uatsch S-chreibt D-er B-earbeiter
Die Prüfungsreihenfolge der Anspruchsgrundlagen sieht wie folgt aus:
- Vertragliche Ansprüche
- Erfüllungsansprüche d.h Primäransprüche (z.B. § 433 Abs. 2 BGB)
- Sekundäransprüche auf Schadensersatz und Aufwendungsersatz (z.B. § 280 Abs. 1 BGB)
- Tertiäransprüche (z.B. § 255, § 285 Abs. 1 BGB)
- Quasivertragliche Ansprüche
- Auf Erfüllung (z.B. § 179 Abs. 1 BGB)
- Auf Schadensersatz (z.B. § 179 Abs. 2, §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 S. 1 BGB)
- Auf Aufwendungsersatz (z.B. §§ 683, 670 BGB)
- Sachenrechtliche Ansprüche
- Auf Herausgabe (z.B. § 985, § 1007 Abs. 1, Abs. 2, § 861, § 2018 BGB)
- Auf Beseitigung und Unterlassung (z.B. § 1004 BGB
- Duldung der Zwangsvollstreckung (z.B. § 1147 (§ 1192) BGB)
- Mitwirkung/ Berichtigung (z.B. § 888 Abs. 1, § 894 BGB)
- Sekundäransprüche aus EBV (z.B. §§ 987 ff. BGB)
- Tertiäransprüche (z.B. §§ 951, 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB)
- Deliktische Ansprüche
- Gefährdungshaftung (z.B. § 7 Abs. 1, 3 HS. 1 StVG, § 1 Abs. 1 S. 1 ProdHaftG, § 833 S. 1 BGB)
- Haftung für vermutetes Verschulden (z.B. § 831 Abs. 1 S. 1, § 832 Abs. 1 BGB, § 18 StVG)
- Haftung für nachgewiesenes Verschulden (z.B. § 823 Abs. 1, Abs. 2, § 826 BGB)
- Bereicherungsrechtliche Ansprüche (Kondiktionsansprüche)
- Durch Leistung (z.B. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt., § 813 Abs. 1 S. 1, § 817 S. 1 BGB)
- In sonstiger Weise (z.B. § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt., § 816 Abs. 1 S. 1, S.2, Abs. 2, § 822 BGB)
I. Vertragliche Ansprüche
Vertragliche Ansprüche sind stets zuerst zu prüfen. Denn diese können die Geschäftsführung ohne Auftrag ausschließen, einen Rechtfertigungsgrund für deliktisches Handeln, sowie einen Rechtsgrund bieten, welcher Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (Kondiktionsansprüche) ausschließt.
Vertragliche Ansprüche sind meistens entweder Primär- oder Sekundäransprüche. Primäransprüche sind auf Vertragserfüllung gerichtet, Sekundäransprüche sind auf Schadens- und Aufwendungsersatz gerichtet.
II. Quasivertragliche Ansprüche
Die Ansprüche aus vertragsähnlichen Verhältnissen sind nach den vertraglichen Ansprüchen zu prüfen, da sie diesen sehr nahe kommen. Meist mangelt es jedoch an einem Vertragsschluss. Ein Beispielsfall für ein quasivertragliches Verhältnis ist das zwischen Gläubiger und Vertreter ohne Vertretungsmacht, § 179 BGB.
III. Sachenrechtliche Ansprüche
Die sachenrechtlichen Ansprüche schützen dingliche Rechte vor Beeinträchtigungen.
Die Herausgabeansprüche sind insbesondere der des Eigentümers gegen den Besitzer (§ 985 ff. BGB), der des früheren Besitzers gegen den aktuellen Besitzer (§ 1007 BGB) und der des Besitzers gegen den fehlerhaft Besitzenden (§§ 861, 858 Abs. 1 BGB).
Es gibt zudem noch sachenrechtliche Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung von Beeinträchtigungen, etwa aus § 1004 und § 862 BGB.
Durch die Sperrwirkung des EBV § 993 Abs. 1 aE BGB für das Delikts- und Bereicherungsrecht werden die sachenrechtlichen Ansprüche vor ihnen geprüft. Dieses kann u.a. den Schadensersatz aus Delikt nämlich ausschließen.
IV. Deliktische Ansprüche
Die deliktischen Ansprüche gehen auf Schadensersatz.
Die Ansprüche aus Deliktsrecht sind u.a. in §§ 823, 826 BGB normiert. Hierzu geprüft werden auch die Ansprüche aus Gefährdungshaftung aus § 7 Abs. 1 StVG, § 1 Abs. 1 ProdHaftG und § 833 S. 1 BGB.
V. Bereicherungsrechtliche Ansprüche
Das Kondiktionsrecht soll unrechtmäßige Vermögensverschiebungen rückgängig machen.
Zunächst sind Leistungskondiktionen zu prüfen, da diese die Bereicherung in sonstiger Weise ausschließen.
Unter die ungerechtfertigte Bereicherung in sonstiger Weise fallen die Eingriffskondiktion, die Rückgriffskondiktion und die Verwendungskondiktion.
Prüfung des einzelnen Anspruchs
Der einzelne Anspruch wird wie folgt geprüft:
- Anspruch entstanden: Der gesetzliche Tatbestand muss erfüllt sein
- Anspruch nicht untergegangen: Dem Anspruch darf keine rechtsvernichtende Einwendung entgegenstehen, z.B. § 362 und 275 Abs. 1 BGB
- Anspruch durchsetzbar: Der Anspruchsgegner darf keine rechtshemmende Einwendung erhoben haben, z.B. § 214 Abs. 1 und § 275 Abs. 2 BGB
Quellen
- Brox, Hans / Walker, Wolf-Dietrich: Allgemeiner Teil des BGB, 37. Auflage 2013.
- Plate, Jürgen: Das gesamte examensrelevante Zivilrecht, 5. Auflage 2011.