Einleitung
Der Sinn der einstweiligen Anordnung gem. § 32 BVerfGG ist, dass der Antragsteller in Eilfällen nicht bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens warten müssen soll.
Beispiel: Die Bundesregierung beschließt, Bundeswehrsoldaten zu einem Einsatz nach Mali zu senden. Die X-Fraktion des Bundestags hält diese Entscheidung für verfassungswidrig. In der Hauptsache wäre ein Organstreitverfahren durchzuführen. Die Entsendung soll aber bereits in einem Monat stattfinden. Ein Organstreitverfahren würde zu lange dauern. Um eine schnelle Entscheidung zu erhalten, die den Einsatz ggf. noch verhindern könnte, muss die X-Fraktion einen Antrag auf einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG beim Bundesverfassungsgericht stellen.
Besonderheit der einstweiligen Anordnung ist ihre Akzessorietät, also Abhängigkeit, zum Hauptsacheverfahren. Sie soll die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit der späteren verfassungsgerichtlichen Entscheidung sichern. Die einstweilige Anordnung hat folglich eine verfahrenssichernde Wirkung, die vergleichbar mit dem vorläufigen Rechtsschutz im Verwaltungsprozessrecht ist (§§ 80 Abs. 5, 80a und 123 VwGO).
Prüfungsschema
A. Zulässigkeit
I. Statthaftigkeit des Antrags
Der Wortlaut des § 32 Abs. 1 BVerfGG eröffnet die Möglichkeit der einstweiligen Anordnung für den “Streitfall”. Eine einstweilige Anordnung kann daher für jedes Hauptsacheverfahren, für welches das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 GG, § 13 BVerfGG zuständig ist, erfolgen.
II. Antragsberechtigung
Aus § 32 BVerfGG ergibt sich nicht direkt, wer antragsberechtigt ist. Aus der ratio des § 32 BVerfGG lässt sich jedoch entnehmen, dass eine einstweilige Anordnung nur beantragen kann, wer im Hauptsacheverfahren beteiligungsfähig ist. Die Beteiligungsfähigkeit richtet sich nach den Anforderungen der Verfahrensart in der Hauptsache.
III. keine evidente Unzulässigkeit des Hauptsacheverfahrens
Eine Prüfung der Zulässigkeit des Hauptsacheverfahrens erfolgt grundsätzlich nicht, denn die Hauptsache darf nicht umgangen werden. Eine Ausnahme besteht jedoch bei evidenter Unzulässigkeit des Hauptsacheverfahrens, bspw. bei Verfristung.
IV. keine Vorwegnahme der Hauptsache
Die Hauptsache darf auch nicht vorweggenommen werden, das wäre der Fall, wenn der Antragsteller bereits mit der einstweiligen Anordnung das Begehren der Hauptsache vollständig erfüllen würde.
Das BVerfG ermöglicht allerdings die einstweilige Anordnung trotz Vorwegnahme der Hauptsachentscheidung, wenn
- die Entscheidung in der Hauptsache zu spät kommt und
- der Antragsteller nicht in anderer Weise ausreichenden Rechtsschutz erlangen kann und
- dadurch ein nicht wieder gut zu machender, schwerwiegender Schaden für den Antragssteller entstehen würde.
V. Form
Die Form richtet sich nach § 23 BVerfGG: Der Antrag muss schriftlich und begründet gestellt werden.
Eine Antragsfrist besteht nicht. Ist das Hauptsacheverfahren verfristet wirkt dieser Umstand jedoch infolge der Akzessorietät auch auf die einstweilige Anordnung aus.
VI. Rechtsschutzbedürfnis
Das Rechtsschutzbedürfnis ist ausgeschlossen, wenn die Beeinträchtigung bereits eingetreten ist und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.
B. Begründetheit
Anders als bei den §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO findet keine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache statt.
Aber: Ist die Hauptsache offensichtlich unbegründet, dann ist auch der Antrag gem. § 32 BVerfGG unbegründet. Ist die Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, dann ergeht grds. eine einstweilige Anordnung gem. § 32 BVerfGG.
Die häufigste Klausurvariante ist jedoch die folgende: Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist weder offensichtlich begründet noch unbegründet. In diesem Fall findet eine echte Nachteilsabwägung in Form der sog. Doppelhypothese statt:
Es erfolgt eine Abwägung der Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, sich das Hauptsacheverfahren aber als unbegründet erweisen würde.