Allgemeins zu § 123 VwGO
Der vorläufige Rechtsschutz soll verhindern, dass der Kläger durch eine lange Verfahrensdauer schwere und unzumutbare Nachteile erfährt. Die Rechtsposition des Antragsteller soll solange und soweit geschützt werden, bis eine Entscheidung in der Hauptsache ergeht. Dies kann – je nach Auslastung der Gerichte – mehrere Jahre beanspruchen. Letztlich werden durch den vorläufigen Rechtsschutz die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 19 IV GG erfüllt.
Das System des vorläufigen Rechtsschutzes:
Prüfungsschema zum Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 123 I VwGO
Der richtige Obersatz und das Prüfungsschema werden in der Klausur durch die Aufgabenstellung bedingt. Für den klassischen Fall der Frage nach den Erfolgsaussichten des Antrags lautet der Obersatz:
„Der Antrag hat Aussicht auf Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.“
Schema Antrag gemäß § 123 I VwGO
- Zulässigkeit
- Eröffnung Verwaltungsrechtsweg
- Statthafte Antragsart
- Antragsbefugnis
- zuständiges Gericht
- Beteiligten- und Prozessfähigkeit
- Antragsgegner
- Rechtsschutzbedürfnis
- Begründetheit
- Anordnungsanspruch
- Anordnungsgrund
- Glaubhaftmachung
- Rechtsfolge
A. Zulässigkeit
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I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs in der Hauptsache, § 40 I VwGO
Der Verwaltungsrechtsweg des Antragsstellers muss für die Hauptsache eröffnet sein. Folglich wird wie bei den übrigen Klagearten der Verwaltungsrechtsweg maßgeblich nach § 40 I VwGO bestimmt, sofern keine aufdrängenden oder abdrängenden Sonderzuweisungen bestehen.
Tipp: Weitere Ausführungen hierzu finden sich bei diesem Artikel zur Anfechtungsklage.
II. Statthafte Antragsart
Folgende Sätze können an dieser Stelle standardmäßig benutzt werden:
„Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers (§ 88, § 122 VwGO). Ein Antrag gem. § 123 I VwGO ist statthaft, wenn der Antragsteller eine Sicherungs- oder Regelungsanordnung begehrt. Gem. § 123 V VwGO gehen die §§ 80, 80a VwGO dem Antrag nach § 123 I VwGO vor. Deshalb muss an dieser Stelle zu den Anträgen nach §§ 80, 80 a VwGO abgegrenzt werden. Diese sind einschlägig, wenn in der Hauptsache gegen einen belastenden VA vorgegangen werden soll (idR Anfechtungsklage). Ist in der Hauptsache keine Anfechtungsklage statthalft, ist § 123 I VwGO die statthafte Antragsart.“
Tipp: Lese auch diesen Artikel zum einstweiligen Rechtsschutz und seinem Schema nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Sicherungs- oder Regelungsanordnung
Obwohl es die Gerichte in der Praxis selten tun, wird die Abgrenzung zwischen Sicherungs- und Regelungsanordnung von Studierenden in der Klausur erwartet. Daher wird diese auch hingeschrieben.
Merke:
- Die Sicherungsanordnung gem. § 123 I 1 VwGO ist statthaft, wenn der status quo gesichert werden soll.
Beispiel: Antrag auf Sicherung des Rufes vor persönlichkeitsverletzenden Äußerungen oder auf vorläufiges Unterlassen der Vernichtung einer eingezogenen Sache. - Die Regelungsanordnung gem. § 123 I 2 VwGO ist statthaft, wenn der Antragsteller eine Erweiterung seines Rechtskreises begehrt.
Beispiel: Schüler S wurde nur knapp nicht in die nächste Klassenstufe versetzt. Da Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Nichtversetzung bestehen, klagt er vor dem Verwaltungsgericht. Ein Prozess dauert mehrere Monate, daher erreicht er die vorläufige Versetzung in die nächste Klassenstufe durch eine Regelungsanordnung.
III. Antragsbefugnis, § 42 II VwGO analog
Der Antragsteller muss darlegen, dass die Möglichkeit eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes gem. § 123 I VwGO besteht. Der Anordnungsanspruch entspricht dem Anspruch im Hauptsachverfahren. Der Anordnungsgrund besteht, sofern die Angelegenheit besonders eilbedürftig ist.
IV. Zuständiges Gericht
Das Gericht der Hauptsache ist gem. § 123 II VwGO zuständig.
V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit, §§ 61, 62 VwGO
Die Beteiligten und Prozessfähigkeit beider Parteien muss hier bestimmt werden. Hier sind keine Besonderheiten zu beachten.
VI. Richtiger Antragsgegner, § 78 VwGO analog
An dieser Stelle wird der richtige Antragsgegner durch das Rechtsträgerprinzip aus § 78 VwGO analog bestimmt.
VII. Rechtsschutzbedürfnis
Der Antragsteller muss grundsätzlich vorher bei der Behörde den Anspruch geltend gemacht haben. Zudem darf das Hauptsacheverfahren nicht offensichtlich unzulässig sein.
B. Begründetheit
Ein dahingehender Obersatz könnte wie folgt lauten:
„Der Antrag nach § 123 I VwGO ist begründet, wenn der Antragsteller den Anordnungsanspruch- und Anordnungsgrund glaubhaft macht und es zu keiner Vorwegnahme der Hauptsache kommt.“
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I. Anordnungsanspruch
Der Anordnungsanspruch entspricht dem Anspruch im Hauptsachverfahren. Dieser ist in der Klausur vollumfänglich zu prüfen. Der Antragsteller muss diesen gem. § 123 III VwGO i.V.m. §§ 920 II, 294 ZPO glaubhaft machen. Dementsprechend müssen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache überwiegen. Grundsätzlich ist im Eilverfahren eine summarische Prüfung notwendig, da in der Klausur aber eine ganz normale Prüfung verlangt wird, soll dies nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden.
II. Anordnungsgrund
Der Anordnungsgrund besteht, sofern die Angelegenheit besonders eilbedürftig ist. Hier bedarf es nicht nur einer Wiederholung der genannten Argumente, sondern ein wirklich ausschlaggebenden Grund. Auch dies muss gem. § 123 III VwGO i.V.m. §§ 920 II, 294 ZPO glaubhaft gemacht werden.
III. Entscheidung des Gerichts und keine Vorwegnahme der Hauptsache
Gem. § 123 III VwGO i.V.m. § 938 I ZPO steht der Inhalt der Entscheidung im Ermessen des Gerichts. Denn es kann im Einzelfall mehrere Möglichkeiten geben, die Rechtsposition des Antragstellers zu schützen. Jedenfalls muss bei vorliegen eines Anordnungsanspruchs und – Grunds gehandelt werden, das Entschließungermessen ist auf Null reduziert. Zudem darf es durch die Entscheidung des Gerichts nicht zu einer Vorwegnahme der Hauptsache kommen. Eine Ausnahme besteht, wenn sonst schwere und unzumutbare Nachteile für den Antragsteller drohen. Dann darf wegen Art. 19 IV GG ausnahmsweise die Hauptsache vorweggenommen werden. Das sollte in der Klausur den Regelfall darstellen.
Fazit
Beim vorläufigen Rechtsschutz sollten Jurastudierenden keinesfalls auf Lücke lernen. Abgesehen davon, dass er in juristischen Praxis von immenser Bedeutung ist, zählt er auch zu den Dauerbrennern im ersten und zweiten Staatsexamen.
Quellen
- Wolf-Rüdiger Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 13. Auflage 2012.
- Friedhelm Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 9. Auflage 2013.