Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG lautet:
Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.
Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG stellt ein echtes, subjektives Grundrecht dar. Der Artikel normiert das grundlegende Recht, Gerichte anzurufen und sich damit gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt vor einem Gericht zur Wehr setzen zu können.
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Berufen kann sich auf Art. 19 Abs. 4 GG jeder, der durch öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird.
Das Grundrecht ist ein Leistungsrecht, das nur unter bestimmten Voraussetzungen vorliegt:
Schema: Art. 19 Abs. 4 GG
A. Voraussetzungen
I. Grundrechtsträger
II. Begriff der öffentlichen Gewalt
III. Mögliche Rechtsverletzung
B. Anspruchsinhalt
A. Voraussetzungen
I. Grundrechtsträger
Auf Art. 19 Abs. 4 GG berufen können sich alle natürlichen und inländischen juristischen Personen.
Auf Ausländer ist das Recht anwendbar, soweit sie Träger eines subjektiv-öffentlichen Rechts sind. Demnach können sich nach herrschender Meinung auch ausländische juristische Personen auf Art. 19 Abs. 4 GG berufen, soweit sie Träger eines subjektiv-öffentlichen Rechts sind.
Nicht anwendbar ist die Regel auf juristische Personen des öffentlichen Rechts. Eine Ausnahme hiervon stellen juristische Personen des öffentlichen Rechts dar, die auch Grundrechtsträger sind (z.B. Universitäten und Rundfunkanstalten).
II. Öffentliche Gewalt
Welche der im Staatsaufbau geteilten drei Gewalten mit dem Begriff der “öffentlichen Gewalt” umfasst sind, wird im Folgenden erläutert.
1. Exekutive
Die Exekutive wird unstreitig unter den Begriff der öffentlichen Gewalt gefasst.
Erforderlich ist allerdings, dass der Staat dem Bürger „hoheitlich“ gegenüber tritt. Das ist bspw. nicht der Fall, wenn der Staat als Nachfrager am Markt handelt.
Hoheitlich handelt der Staat mit Verwaltungsakten, Realakten und durch Rechtsverordnungen und Satzungen. Darüber hinaus ist kein besonderes Staat-Bürger oder Gewaltverhältnis erforderlich.
Entsprechend ist auch verwaltungsprivatrechtliches Handeln der öffentlichen Hand umfasst.
2. Judikative
Nach herrschender Meinung ist die Judikative nicht vom Begriff der öffentlichen Gewalt umfasst.
Hierfür spricht, dass Art. 19 Abs. 4 GG Schutz durch und nicht gegen den Richter gewährt. Zudem stünde dem Bürger ansonsten eine Art “unendlicher Rechtsschutz” durch immer wieder neue Rechtswegeröffnung offen. Schlussendlich würde ein Begriff der öffentlichen Gewalt, der die Judikative umfasst und damit “angreifbar” macht, das Institut der Rechtskraft infragestellen.
Allerdings ist zu beachten, dass nur die richterliche Tätigkeit im eigentlichen Sinne, d.h. die streitentscheidende Tätigkeit, nicht von Art. 19 Abs. 4 GG umfasst ist. Das Justizhandeln im Vollzug von Exekutivmaßnahmen, z.B. strafprozessuale Maßnahmen mit richterlicher Anordnung, fallen wiederum unter den Begriff der öffentlichen Gewalt.
3. Legislative
Die Legislative ist unstreitig nicht vom Begriff der öffentlichen Gewalt umfasst.
Dies wird damit begründet, dass bereits verfassungsrechtliche Rechtschutzmöglichkeiten wie die Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG oder Rechtsschutz gegen Parlamentsgesetze im Rahmen der Inzidentprüfung durch die Gerichte möglich sind.
III. Mögliche Rechtsverletzung
Darüber hinaus muss für die Anwendung von Art. 19 Abs. 4 GG eine mögliche Rechtsverletzung gegeben sein.
Definition: Ein Recht ist dann verletzt, wenn es rechtswidrig beeinträchtigt ist.
Die konkrete Möglichkeit einer Rechtsverletzung ist hier, wie bei der Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO, ausreichend.
Dementsprechend muss ein subjektiv-öffentliches Recht des Bürgers beeinträchtigt sein. Es muss sich bei dem subjektiv-öffentlichen Recht nicht zwingend um ein Grundrecht handeln.
Es ist zu beachten, dass beim Eingriff in private Rechtspositionen meistens auch Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG und damit in subjektiv öffentliches Recht vorliegt.
B. Anspruchsinhalt
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet effektiven Rechtsschutz durch ein Gericht.
Definition: Ein Gericht liegt in diesem Zusammenhang vor, wenn die angerufene Stelle den organisatorischen Anforderungen des Art. 92, 97 GG entspricht.
Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet hingegen keinen bestimmten Instanzenzug. Die einmalige Möglichkeit, ein Gericht anzurufen, ist ausreichend.
Dass der Rechtsschutz effektiv sein muss, meint, dass eine umfassende Prüfung der Sach- und Rechtslage stattfinden muss. Dementsprechend ist grundsätzlich ein Hauptverfahren erforderlich. Nur vorläufiger Rechtsschutz ist nicht ausreichend.
Zudem gewährt Art. 19 Abs. 4 GG auch die Möglichkeit zur Einsicht relevanter Akten und die wirkungsvolle Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen.
Bei geheimhaltungsbedürftigen Vorgängen wird diesem Erfordernis durch das sog. in-camera-Verfahren Rechnung getragen: Das Gericht erhält die Akten, der Betroffene erhält aber keine Einsicht.
Ein Problem stellen Beurteilungsspielräume dar: Der Verwaltung ist bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auf Tatbestandsseite ein Einschätzungsspielraum eingeräumt.
Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken ist dies nur unter engen Voraussetzungen zulässig:
- Die Einräumung von Beurteilungsspielräumen muss durch Gesetz erfolgen (Prinzip der normativen Ermächtigung).
- Die Freistellung der gerichtlichen Überprüfbarkeit darf nur in eng begrenzten Bereichen und auf Grund hinreichend wichtiger Sachgründe stattfinden.
- Um die Rechtsbegriffe zu konkretisieren können bestimmte Verwaltungsvorschriften oder technischen Regelwerken herangezogen werden.
- Grundsätzlich werden häufig mehrstufige Verfahren festgelegt.
Als Faustregel gilt: Je stärker Grundrechte betroffen sind, desto intensiver muss die gerichtliche Kontrolle sein.
Deshalb ist es für effektiven Rechtsschutz auch notwendig, dass sich der Bürger noch gegen die Rechtsverletzung wehren kann, wenn sich die Maßnahme bereits erledigt hat.
Darüber hinaus muss der Betroffene benachrichtigt werden, wenn gegen ihn grundrechtsbeschränkende Maßnahmen erfolgen. Die Benachrichtigung ist in bestimmten Fällen auch nachträglich ausreichend.
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Quellen
- Manssen: Staatsrecht II, 18. Auflage 2021.
- Epping/Hillgruber: BeckOK Grundgesetz, 51. Edition.