I. Allgemeines
Definition: Gefahrübergang bezeichnet den Zeitpunkt vom Übergang des Risikos der Verschlechterung oder des Verlustes der geschuldeten Sache vom Schuldner auf den Gläubiger.
Dabei muss zunächst zwischen der Leistungs- und der Gegenleistungsgefahr (auch Preisgefahr) unterschieden werden.
1. Leistungsgefahr
Definition: Leistungsgefahr bedeutet, dass der Gläubiger der Hauptleistung das Risiko des zufälligen Untergangs der Sache trägt.
Das bedeutet, dass er bspw. im Falle der Unmöglichkeit gem. § 275 BGB seinen Leistungsanspruch gegenüber dem Schuldner verliert, da dieser von seiner Leistungspflicht befreit wird.
Diese Regelung kann für den Schuldner sehr hart sein. Hat er keine Sache der gleichen Gattung vorrätig, so trifft ihn sogar eine Beschaffungspflicht. Deshalb sieht das Gesetz in § 243 Abs. 2 BGB die Konkretisierung der Gattungsschuld zur Stückschuld vor, wenn der Schuldner alles seinerseits zur Leistung Erforderliche getan hat. Mit der Konkretisierung geht die Leistungsgefahr also auf den Gläubiger über, was bedeutet: Geht der Leistungsgegenstand unter, so muss der Schuldner nicht erneut leisten.
Fraglich ist, was seinerseits zur Leistung Erforderliche bedeutet. Es hängt von der Art der Schuld ab. Generell erforderlich ist das Auswählen und Aussondern der geschuldeten Sache aus der Gattung. Bei einer Bringschuld muss sie dem Gläubiger an dessen Wohnsitz tatsächlich angeboten werden. Bei einer Schickschuld muss die Sache einer Transportperson übergeben werden. Bei der Holschuld (gesetzlicher Regelfall, vgl. § 269 Abs. 1 BGB) genügt die Mitteilung an den Gläubiger, dass dieser die Sache nun abholen kann.
2. Gegenleistungsgefahr
Definition: Gegenleistungsgefahr ist das Risiko des Schuldners der Hauptleistung, dass er die vereinbarte Gegenleistung (i.d.R. das Entgelt) nicht erhält.
Nach der Grundregel in § 326 Abs. 1 BGB kann beim Entfall der Leistungspflicht auch die Gegenleistung nicht mehr verlangt werden kann. Allerdings kann die Gegenleistungsgefahr ausnahmsweise bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 326 Abs. 2 BGB oder bei Annahmeverzug des Gläubigers gem. §§ 293 ff. BGB auf diesen übergehen, sodass er trotz Unmöglichkeit die Gegenleistung erbringen muss.
II. Gefahrübergang im Kaufrecht
Besonders relevant wird der Gefahrübergang im Kaufrecht. Dort gibt es auch zahlreiche Regelungen, die den allgemeinen vorgehen.
Der Gefahrübergangs spielt im Kaufrecht eine besonders große Rolle, weil dieser Zeitpunkt maßgeblich für die Sachmangelfreiheit der Kaufsache ist: „Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang […]“ (§ 434 Abs. 1 BGB). Tritt der Sachmangel also erst nach dem Gefahrübergang auf, so hat der Käufer grundsätzlich keine Gewährleistungsansprüche aus § 437 BGB. Beim Verbrauchsgüterkauf gem. §§ 474 ff. BGB wird jedoch zugunsten des Verbrauchers innerhalb des ersten Jahres gesetzlich vermutet, dass der Sachmangel schon bei Gefahrübergang vorlag (Ausnahme: Tiere, vgl. § 477 Abs. 1 BGB).
1. Grundsatz, § 446 BGB
In § 446 S. 1 BGB heißt es:
Mit der Übergabe der verkauften Sache geht die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung auf den Käufer über.
Nach § 446 S. 3 BGB steht es der Übergabe gleich, wenn der Käufer im Annahmeverzug ist.
2. Versendungskauf, § 447 BGB
Beim Versendungskauf findet gem. § 447 Abs. 1 BGB der Gefahrübergang statt, wenn der Verkäufer die Sache dem Spediteur, dem Frachtführer oder der sonst zur Ausführung der Versendung bestimmten Person oder Anstalt ausgeliefert hat. Dies gilt gem. § 475 Abs. 2 BGB jedoch grds. nicht beim Verbrauchsgüterkauf: Dort geht die Gefahr grds. erst über, wenn der Verbraucher die Sache erhalten hat, es sei denn der Käufer hat die Transportperson bestimmt.
3. Problem: Transport durch eigene Leute
Ein beliebtes Klausurproblem ist der Transport durch eigene Leute.
Beispiel: Architekt A bestellt für sein Büro fünf Spezialdrucker im Gesamtwert von 12.000 € bei Elektrohändler E. Die Ware soll an A versendet werden. E bittet einen Angestellten X seines Lagerhauses die Drucker mit einem Transporter zu A zu bringen. Auf dem Weg zu A gönnt sich der X eine Pause an einer Raststätte. Dort werden die Drucker, obwohl der Transporter abgeschlossen war, gestohlen.
Vorliegend wurde der Transport durch den im Machtbereich des E stehenden Angestellten X vorgenommen. Fraglich ist jedoch, ob § 447 BGB eine unabhängige Transportperson verlangt und ob er in Fällen des Transports durch sogenannte „eigene Leute“ anwendbar ist. Dazu werden drei verschiedene Ausfassungen vertreten.
a) Erste Ansicht
Vertreter einer Auffassung wenden den § 447 BGB auch auf den Transport durch eigene Leute an. Im Bespielfall müsste A also den Kaufpreis zahlen, obwohl er die Kaufsache nicht erhalten hat, da die Gefahr mit Übergabe an den X auf A überging. Der E hat das Handeln seines Angestellten nicht zu vertreten. Zur Begründung werden vor allem zwei Argumente angeführt:
Nach dem Wortlaut des § 447 BGB findet der Gefahrübergang bei Übergabe an die „zur Ausführung bestimmte Person“ statt. Auch Angestellte des Leistungsschuldners sind daher noch vom Wortlaut umfasst. Ferner sind Transportpersonen aus dem eigenen Machtbereich in Fällen des Versendungskaufs keine Erfüllungsgehilfen i.S.v. § 278 BGB. Denn die Übernahme des Transport ist nicht geschuldet, das bloße Absenden der Ware genügt. Da keine Verbindlichkeit, sondern nur Schickschuld vorliegt, ist nicht ersichtlich, warum der Schuldner die Preisgefahr länger tragen muss.
b) Zweite Ansicht
Die Gegenansicht verneint die Anwendung der Ausnahmeregel gemäß § 447 BGB mit folgender Begründung: Damit ein Gefahrübergang gem. § 447 BGB stattfinden kann, ist eine vom Verkäufer unabhängige Transportperson erforderlich. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm, denn in der Aufzählung werden nur unabhängige Personen erwähnt. § 447 BGB soll den Leistungsschuldner schützen, der die Kaufsache aus seinem Machtbereich an die Transportperson entlässt und keinen Einfluss mehr hat. Steht die Transportperson jedoch selbst im Machtbereich des Verkäufers, verbleibt die Sache ebenfalls in diesem. § 447 BGB ist eine Ausnahme zum § 326 BGB. Ausnahmeregelungen sind eng auszulegen.
Folgt man dieser Ansicht, wäre im Beispielfall die Gefahr also nicht auf A übergegangen und seine Zahlungspflicht entfiele nach § 326 BGB.
c) Differenzierende Auffassung
Vertreter der dritten Ansicht differenzieren: § 447 BGB findet Anwendung, allerdings nur wenn die Kaufsache nicht durch schuldhaftes Handeln der eigenen Transportperson, sondern zufällig untergegangen ist.
Definition: Zufälliger Untergang ist die von keiner Vertragspartei zu vertretende Unmöglichkeit der Leistung.
Die Auffassung ist von dem Gedanken getragen, dass auch wenn der Transport nicht zur Leistungspflicht des Verkäufers gehört, er dennoch die Pflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB hat, die Interessen und Rechtsgüter des Gläubigers zu schützen. Im Beispiel bestand kein schuldhaftes Handeln des Angestellten. Gemäß dieser Ansicht müsste A die Ware ebenfalls bezahlen.