I. Produzentenhaftung, § 823 Abs. 1 BGB
Die Anspruchsgrundlage der deliktischen Produzentenhaftung ist der Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB. Dieser setzt grundsätzlich ein Verschulden des Anspruchsgegners voraus. Allerdings wird der Käufer praktisch nie beweisen können, dass den Hersteller ein Verschulden trifft, weshalb Ansprüche gegen ihn ausgeschlossen wären.
Daher nimmt die Rechtsprechung in diesen Fällen eine Beweislastumkehr vor, so dass der Hersteller nachweisen muss, dass ihn kein Verschulden und objektive Pflichtwidrigkeit treffen.
Ebenso gilt die Beweislastumkehr für die ordnungsgemäße Organisation des Betriebs, weshalb der Hersteller auch darlegen muss, dass er oder Organe seines Unternehmens alle Maßnahmen dafür getroffen haben, dass keine fehlerhaften Produkte in den Verkehr gelangen. Zu beachten ist, dass sich der Hersteller insoweit auch nicht durch den dezentralisierten Entlastungsbeweis exkulpieren kann.
Dennoch muss der Geschädigte nachweisen, dass das Produkt bereits beim In-Verkehr-Bringen durch den Hersteller fehlerhaft war.
Der Hersteller muss jedoch den Zustand seiner Produkte im Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens überprüfen und als Daten sichern (Befundsicherungspflicht). Ein Verstoß gegen diese Pflicht geht zulasten des Herstellers. Diese Pflicht gilt nur bei Produkten mit besonderer Schadenstendenz.
Ein Verschulden des Herstellers kommt in Betracht, wenn er die notwendigen Verkehrspflichten verletzt, also nicht alle möglichen und zumutbaren Vorkehrungen trifft, um zu verhindern, dass Dritte durch seine Produkte geschädigt werden. Hierbei ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Insbesondere hat der Hersteller die Gefahren, welche durch seine Produkte drohen, möglichst gering zu halten.
Die Grundsätze der Produzentenhaftung gelten auch für Weiterfresserschäden und Produktionsschäden.
Es existieren vier Ausprägungen von Produktfehlern:
- Konstruktionsfehler
Bei Konstruktionsfehlern erfüllt das Produkt wegen seiner Konzeption bereits nicht die Sicherheitserwartungen eines durchschnittlichen Benutzers. Dies kann sich etwa aus Material oder Bauweise ergeben. Entlasten kann sich der Hersteller durch den Beweis, dass es sich um einen Entwicklungsfehler handelt, welcher nicht erkennbar war. - Fabrikationsfehler
Liegt ein Fabrikationsfehler vor, ist es bei einzelnen Stücken zu einer planwidrigen Abweichung von der bei der Konzeption des Produkts zugrunde gelegten Sollbeschaffenheit gekommen. Handelt es sich nur um einzelne Ausreißer und handelte der Hersteller sonst gewissenhaft, ist eine Entlastung vom Verschuldensvorwurf möglich. - Instruktionsfehler
Immer bedeutsamer werden die sog. Instruktionsfehler, bei denen Fehler bezüglich der Instruktion der Produktnutzer vorliegen. Dem Hersteller obliegt nicht nur die Pflicht, dem Benutzer den ordnungsgemäßen Gebrauch des Produkts zu erläutern, sondern auch aufzuzeigen, welche Folgen ein fehlerhafter Gebrauch haben kann (sog. Warnpflicht). Die Reichweite der Instruktionspflicht richtet sich nach dem Grad der drohenden Gefahr und der Frage, ob der Benutzer Verbraucher ist. - Produktbeobachtungspflicht
Die letzte Pflicht des Herstellers betrifft die Zeit nach In-Verkehr-Bringen des Produkts. Hier muss der Hersteller darauf achten, ob sich durch die Verwendung des Produkts Risiken aber ggf. auch Unwirksamkeiten zeigen. Er ist zudem dazu verpflichtet, über diese Beobachtungen zu informieren. Ggf. trifft ihn die Pflicht zum Rückruf.
II. Produkthaftung, §§ 1 ff. ProdHaftG
Das durch Europarecht eingeführte Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) sieht zudem für den Hersteller fehlerhafter Produkte unter bestimmten Voraussetzungen eine verschuldensunabhängige Haftung vor. Dies ist der zentrale Unterschied zur Produzentenhaftung.
Die h.M. geht hierbei von einer Gefährdungshaftung aus.
Anspruchsgrundlage ist § 1 Abs. 1 ProdHaftG. Dort heißt es:
Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Im Falle der Sachbeschädigung gilt dies nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist.
Wie aus § 1 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG ersichtlich wird, sind von der Produkthaftung Weiterfresserschäden nicht erfasst. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn der Hersteller des schädigenden Produktteils auch der Hersteller des Endproduktes ist. Strittig ist der Fall jedoch, wenn ein zugeliefertes Teil zur Zerstörung des Endprodukts führt.
Zudem muss das Produkt für den Privatgebrauch bestimmt sein, § 1 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG. Gewerbliche Produktionsschäden sind somit nicht erfasst.
Was ein Produkt i.S.d. ProdHaftG ist, ergibt sich aus § 2 ProdHaftG. Dort heißt es:
Produkt im Sinne dieses Gesetzes ist jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet, sowie Elektrizität.
Wann ein Fehler des Produkts vorliegt, ergibt sich aus § 3 ProdHaftG. Es besteht eine starke Ähnlichkeit zur Produzentenhaftung.
Wer Hersteller des fehlerhaften Produkts ist, ergibt sich aus § 4 ProdHaftG. Danach gelten auch Quasi-Hersteller und Importeure als Hersteller. Ersatzweise kann auf den Lieferanten abgestellt werden.
§ 1 Abs. 2 ProdHaftG bestimmt gewisse Haftungsausschlussgründe. Weitere Entlastungsmöglichkeiten ergeben sich aus § 1 Abs. 3 ProdHaftG.
Besondere Beachtung verdient der Umstand, dass gem. § 8 S. 2 ProdHaftG vom Geschädigten auch Entschädigung für immaterielle Schäden gefordert werden kann. Hierzu zählt vor allem Schmerzensgeld.
Aus § 10 ProdHaftG ergibt sich ein Haftungshöchstbetrag für den Hersteller. § 11 ProdHaftG bestimmt eine Selbstbeteiligung des Geschädigten bei Sachbeschädigungen.
Mehrere ersatzpflichtige Hersteller haften dem Geschädigten gem. § 5 ProdHaftG als Gesamtschuldner.
Prüfungsschema
Aus dem eben gesagten ergibt sich folgendes Prüfungsschema für den Schadensersatz nach dem ProdHaftG:
- 1. Rechtsgutverletzung, § 1 Abs. 1 ProdHaftG
- 2. fehlerhaftes Produkt
- a) Produkt, § 2 ProdHaftG
- b) Fehlerhaftigkeit, § 3 ProdHaftG
- 3. Kausalität
- 4. Anspruchsgegner ist Hersteller, § 4 ProdHaftG
- 5. Kein Haftungsausschluss, § 1 Abs. 2, 3 ProdHaftG
- 6. Schaden
Weitere Gesetze, die auf die Haftung des Herstellers eingehen, sind das Produktsicherheitsgesetz und das Arzneimittelgesetz.
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Quellen
- Brox, Hans / Walker, Wolf-Dietrich: Besonderes Schuldrecht, 39. Auflage 2015.
- Looschelders, Dirk: Schuldrecht Besonderer Teil, 9. Auflage 2014.
- Fuchs, Maximilian/Baumgartner, Alexander: Ansprüche aus Produzentenhaftung und Produkthaftung, JuS 2011, 1057.