A. Zulässigkeit einer konkreten Normenkontrolle
Das konkrete Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist in Art. 100 Abs. 1 GG geregelt.
I. Zuständigkeit
Das Bundesverfassungsgericht ist gem. Art.100 Abs. 1 GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG für die konkrete Normenkontrolle zuständig, sofern
- ein Bundesgesetz vom Gericht als unvereinbar mit dem Grundgesetz gehalten wird,
- ein Landesgesetz vom Gericht als unvereinbar mit dem Grundgesetz gehalten wird,
- ein Landesgesetz vom Gericht als unvereinbar mit Bundesrecht gehalten wird.
Für eine Überprüfung von Landesrecht anhand der Landesverfassung sind gem. Art. 100 Abs. 1 GG die Landesverfassungsgerichte zuständig.
II. Vorlageberechtigung
Den Antrag auf konkrete Normenkontrolle können gem. Art. 100 Abs. 1 GG Gerichte stellen. Dies umfasst alle deutschen Gerichte einschließlich Gerichten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und Ehrengerichten.
III. Vorlagegegenstand
Vorlagegegenstand ist ein Gesetz. Allerdings können nur formelle und nachkonstitutionelle Gesetze im Wege des konkreten Normenkontrollverfahrens überprüft werden.
Sofern ein vorkonstitutionelles Gesetz verändert oder neu verkündet wird, kann es zum Vorlagegegenstand werden. Vorkonstitutionelles Recht kann auch von den Fachgerichten verworfen werden, weshalb eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die Normverwerfung nicht von Nöten ist.
IV. Antragsgrund
Art. 100 Abs. 1 GG verlangt, dass das Gericht das vorzulegende Gesetz für verfassungswidrig hält. Die Anforderungen sind daher strenger als bloße „Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit“ als Antragsgrund gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG für ein abstraktes Normenkontrollverfahren.
Das Gericht muss in seiner Vorlage die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes evaluieren und dabei die Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung mithilfe der in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten erwägen. Nur wenn eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich ist, ist die Vorlage zulässig.
V. Entscheidungserheblichkeit
Die Norm, auf welche sich die Vorlage bezieht, muss im konkreten Fall auch entscheidungserheblich sein.
Definition: Die Entscheidung des Gerichts muss somit bei Verfassungswidrigkeit der Norm anders ausfallen, als wenn die Norm als verfassungskonform angesehen wird.
Die Entscheidungserheblichkeit muss vom vorlegenden Gericht detailliert dargelegt werden. Eine Ausnahme von der Entscheidungserheblichkeit besteht nur, wenn die Frage der Verfassungswidrigkeit der Norm von grundsätzlicher Bedeutung für das Gemeinwohl und dringlich ist.
VI. Form
Die Vorlage muss gem. § 80 Abs. 2 BVerfGG begründet sein. Die Begründung muss die Gründe für die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit enthalten und die Entscheidungserheblichkeit darlegen.
B. Begründetheit einer konkreten Normenkontrolle
Die Begründetheitsprüfung erfolgt bei der konkreten Normenkontrolle gleich wie bei der abstrakten Normenkontrolle.
Das Bundesverfassungsgericht kann die Norm in seiner Entscheidung entweder als nichtig deklarieren oder dem Gesetzgeber eine Frist zur Änderung der Norm setzen, nach deren Ablauf die Norm nichtig wird. Sinn und Zweck dieser Möglichkeit ist, keine temporären rechtfreien Zustände zu schaffen.
I. Formelle Verfassungsmäßigkeit
Hier ist zu prüfen, ob die Norm formell verfassungskonform ist. Bei der Entstehung des Gesetzes dürfen dem Gesetzgeber keine Fehler unterlaufen sein.
1. Zuständigkeit
Die Zuständigkeit für das Gesetzgebungsverfahren richtet sich nach den Art. 70 ff. GG. Es wird unterschieden, ob die Verbandskompetenz (War der Bund oder die Länder zuständig?) und Organkompetenz (Haben die zuständigen Organe gehandelt?) gewahrt wurden.
Tipp: In der Klausur empfiehlt es sich je nach Sachverhalt verschiedene mögliche Kompetenznormen anzusprechen und ggf. zu verwerfen bevor eine Entscheidung für eine Kompetenznorm getroffen wird.
Sofern keine ausdrückliche Zuweisung zu einer Kompetenznorm im Grundgesetz vorhanden ist, kann der Bund die Kompetenz auch kraft Sachzusammenhang, kraft Natur der Sache und als Annexkompetenz besitzen.
2. Verfahren
Das Gesetzgebungsverfahren ist in den Art. 76-78 GG festgelegt. Zunächst muss die Gesetzesinitiative vom richtigen Beteiligten gem. Art. 76 Abs. 1 GG eingebracht worden sein. Dann muss das Beschlussverfahren im Bundestag ordnungsgemäß abgelaufen sein. Der Bundestag muss insbesondere gem. § 45 GOBT beschlussfähig gewesen sein und mit der Mehrheit gem. Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG das Gesetz beschlossen haben.
Die Anforderungen an die Mitwirkung des Bundesrates gem. Art. 77 GG sind unterschiedlich für Einspruchsgesetze und Zustimmungsgesetze.
3. Form
Schließlich muss das Gesetz auch gem. Art 82 GG vom Bundespräsidenten ausgefertigt werden und im Bundesgesetzblatt verkündet werden. An dieser Stelle ist der Streit über das materielle Prüfungsrecht des Bundespräsidenten zu verorten.
II. Materielle Verfassungsmäßigkeit
In der materiellen Verfassungsmäßigkeitsprüfung wird die Vereinbarkeit des Inhalts des Gesetzes mit dem Grundgesetz untersucht. Bei einer Überprüfung von Landesrecht muss dieses zusätzlich mit sonstigem Bundesrecht vereinbar sein. Verfassungsändernde Gesetze werden gem. Art. 79 Abs. 3 GG lediglich auf ihre Konformität mit Art. 1 und Art. 20 GG untersucht.
1. Keine Verletzung von Grundrechten
Das Gesetz ist zunächst auf die Vereinbarkeit mit den Grundrechten zu untersuchen. Dabei ist in der Prüfung der klassische Dreischritt einzuhalten:
- Schutzbereich des Grundrechts
- Eingriff in den Schutzbereich
- Rechtfertigung des Eingriffs
2. Keine Verletzung von Spezialvorschriften oder Staatsprinzipien
Je nach Sachverhalt kann hier auf Art. 80 GG und die Prinzipien aus Art. 20, 28 GG eingegangen werden. Insbesondere das Rechtsstaatsprinzip, Bestimmtheitsgebot und das Verhältnismäßigkeitsprinzip spielen in vielen Klausurkonstellationen eine Rolle.
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