I. Der Sachverhalt
Arbeitgeber A schließt mit Frau F am 01.04. einen Arbeitsvertrag. Dabei werden für die ersten 6 Monate eine Probezeit vereinbart, in der beide Vertragsparteien den Arbeitsvertrag mit einmonatiger Kündigungsfrist zum Ende eines jeden Monat kündigen können. Am 29.05. teilt der A der F schriftlich die Kündigung zum 30.06. mit, weil sie seinen Erwartungen nicht entspricht. Am 05.06. teilt F dem A mit, dass sie im 4. Monat schwanger sei, und legt ein ärztliches Attest vor. A hält jedoch an der Kündigung fest.
Ist die Kündigung wirksam?
II. Die Wirksamkeit der Kündigung
Die Kündigung wäre wirksam, wenn die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung vorlagen.
Neben der ordentlichen Kündigung gibt es noch die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung. Erklärt der Arbeitgeber im Sachverhalt die „fristlose Kündigung“, so sind zunächst die Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung zu prüfen.
Liegt diese nicht vor, so kann die Erklärung des Arbeitgebers regelmäßig in eine ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt umgedeutet werden, sodass im Anschluss die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung zu prüfen sind.
1. Schriftliche Kündigungserklärung, § 623 BGB
A erklärte F die Kündigung. Dabei hielt er die nach § 623 BGB erforderliche Schriftform ein.
2. Kündigungsfrist, § 622 Abs. 3 BGB
A müsste zudem die Kündigungsfrist eingehalten haben. Gemäß § 622 Abs. 3 BGB beträgt die Kündigungsfrist während Probezeiten 2 Wochen.
Die von A und F vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist von einem Monat entspricht damit der gesetzlichen Frist. Die vertraglich vereinbarte Verlängerung der Frist ist unschädlich, § 622 Abs. 5 S.2 BGB.
3. Unwirksamkeit der Kündigung nach § 9 Abs. 1 S.1 MuSchG i.V.m. § 134 BGB
Einer wirksamen ordentlichen Kündigung könnte jedoch der § 9 Abs. 1 S.1 MuSchG entgegenstehen. Demnach ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung Kenntnis von der Schwangerschaft hatte oder ihm diese innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.
Zwar wusste A zum Zeitpunkt der Kündigung nichts von der Schwangerschaft, jedoch hat die F diese am 05.06. angezeigt. Dabei hat sie das gem. § 5 Abs. 1 MuSchG erforderliche Attest vorgelegt. Folglich wurde die 2-Wochen-Frist eingehalten. Damit ist die Kündigung wegen § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.
4. Ergebnis
Die ordentliche Kündigung am 29.05. war unwirksam.
III. Die Reichweite des § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG
§ 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG hat auch auf andere Beendigungstatbestände Auswirkung. So wird von der Unzulässigkeit des § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG neben der ordentlichen Kündigung auch die außerordentliche Kündigung erfasst. Nur so ist ein umfassender Schutz der Schwangeren gewährleistet. Eine Schwangerschaft und der damit verbundene Arbeitsausfall stellt damit keinen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB dar. Durch § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG wird die Kündigungsmöglichkeit nach § 626 BGB ausgeschlossen.
Als weiterer Beeendigungstatbestand kommt die Anfechtung des Arbeitsvertrages in Betracht. Dabei sind die Meinungen gespalten, ob § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG auch zu Unzulässigkeit der Anfechtung führt.
- Nach wohl h.M. umfasst der § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG nur die Kündigung, die Anfechtung ist daneben ein anderes Gestaltungsrecht. Eine Anfechtung ist also trotz Schwangerschaft möglich, sofern ein Anfechtungsgrund besteht. Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn die Anfechtung ausschließlich aufgrund der Täuschung über die Schwangerschaft erfolgt. Dann soll auch § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG greifen.
- Die Gegenmeinung bejaht eine Anwendung des § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG auch auf die Anfechtung. Begründet wird dies damit, dass die Wirkung der Anfechtung (Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages ex nunc!) im Ergebnis dieselbe wie bei der Kündigung sei. Eine derartige Ausdehnung des Anwendungsbereichs lässt sich jedoch mit dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 S. 1 MuSchG, der ausdrücklich von Kündigung spricht, kaum vereinbaren.