I. Das Legalitätsprinzip, § 152 Abs. 2 StPO
Grundsätzlich ist der Staatsanwalt an das Legalitätsprinzip aus §§ 152 Abs. 2, 170 Abs. 1 StPO gebunden und muss bei Vorliegen eines Anfangsverdachts Ermittlungen durchführen und Anklage erheben, denn in § 152 Abs. 2 StPO heißt es:
Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.
Definition: Ein Anfangsverdacht ist gegeben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die aus kriminalistischer Sicht auf das Vorliegen einer Straftat schließen lassen.
Das Legalitätsprinzip ist zweifach abgesichert:
- Eine materiellrechtliche Absicherung des Legalitätsprinzips liegt in der Vorschrift der Strafvereitelung im Amt nach § 258a StGB. Danach würde sich der Staatsanwalt strafbar machen, wenn er trotz Kenntnis von einer Strafverfolgung absieht.
- Prozessual ist der Grundsatz des Legalitätsprinzips über die Klageerzwingungsvorschriften der §§ 172 ff. StPO abgesichert. Danach kann das Opfer einer Straftat die Staatsanwaltschaft gerichtlich zur Anklage zwingen.
II. Durchbrechungen des Legalitätsprinzips
Auch das Legalitätsprinzip gilt nicht absolut. So kommt es z.B. durch die §§ 153 ff. StPO zu Durchbrechungen des Legalitätsprinzips. Danach kann die Staatsanwaltschaft bei Straftaten von geringer Schwere nach dem Opportunitätsprinzip von einer Strafverfolgung absehen und das Verfahren einstellen. Dies trägt zur Entlastung der Justiz im Bereich der Bagatellkriminalität bei.
Eine weitere Durchbrechung des Legalitätsprinzips besteht in § 31a Betäubungsmittelgesetz. So kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz absehen, wenn
- Die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre,
- Kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und
- Der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.
Eine weitere Durchbrechung des Legalitätsprinzips findet sich auch in § 45 JGG.
III. Ausnahme vom Legalitätsprinzip bei privater Kenntnisnahme
Weitere Zweckmäßigkeitserwägungen darf der Staatsanwalt grundsätzlich nicht anstellen. Fraglich ist, ob bei privater Kenntniserlangung aufgrund des Schutzes der privaten Lebenssphäre und seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1, 2 GG eine Ausnahme vom Grundsatz des Legalitätsprinzips besteht.
1. Einheitstheorie
Die Einheitstheorie gewährt keine Ausnahme vom Legalitätsprinzip bei privater Kenntniserlangung. Ein Beamter sei schließlich immer im Dienst und müsste daher auch privat erlangte Kenntnisse zur Strafverfolgung nutzen.
2. Trennungstheorie
Die Trennungstheorie will bei privater Kenntnisnahme des Staatsanwalts von der Straftat grundsätzlich eine Ausnahme von der Verfolgungspflicht – also vom Legalitätsprinzip – des Staatsanwalts gewähren. Der Staatsanwalt darf in solch einem Fall Ermessen ausüben. Für diese Ansicht spricht insbesondere der Wortlaut des § 152 Abs. 2 StPO, der sich lediglich auf eine amtliche Kenntniserlangung bezieht. Zudem wäre sonst unzumutbar die Privatsphäre des Staatsanwalts beeinträchtigt, da dieser nie wirklich außer Dienst sei.
3. Differenzierung nach Katalogen von Straftaten
Eine dritte Ansicht differenziert nach der Schwere der begangenen Straftat. Nur bei den besonders schwerwiegenden Katalogtaten aus § 138 StGB besteht bei privater Kenntniserlangung eine Verfolgungspflicht. Katalogstraftaten nach § 138 StGB sind zum Beispiel Mord und Totschlag, aber auch Raub und räuberische Erpressung.
Eine weitere Ansicht will sich an die Katalogstraftaten des §§ 100 a,b StPO anlehnen. Für diese Ansichten spricht, dass die Straftaten der Kataloge als klar definierte Abgrenzungskriterien geeignet sind und zudem die Privatsphäre des Staatsanwalts respektiert wird.
4. Differenzierung nach Verbrechen und Vergehen
Eine weitere Ansicht vertritt, dass ein Verfolgungszwang nur dann bestehe, wenn es sich um ein Verbrechen i.S.d. § 12 Abs. 1 StGB handelt. Für diese Ansicht spricht ebenfalls, dass es sich um ein klar definiertes Abgrenzungskriterium aus dem Gesetz handelt und die Schwelle nicht wie bei den schwerwiegenden Katalogstraftaten des § 138 StGB exorbitant hoch angesetzt ist. Hier handelt es sich um einen einfachen Diebstahl, der lediglich ein Vergehen darstellt.
5. Schweretheorie
Die in Literatur und Rechtsprechung überwiegend vertretene Schweretheorie besagt, dass das Legalitätsprinzip des Staatsanwalts nur dann gegeben sei, wenn es sich um ein Delikt handelt, dass nach Art oder Umfang die öffentlichen Belange besonders berührt. Es ist also eine Abwägung im Einzelfall zwischen privatem Interesse des Staatsanwalts und öffentlichem Interesse an der Strafverfolgung notwendig. Für diese Ansicht spricht der differenzierte, einzelfallgerechte Ansatz.
Kriterien bei dieser Abwägung sind folgende:
- Die Betroffenheit der Privatsphäre,
- Die Schwere des Vergehens und
- Der Grad der Gefährdung der Allgemeinheit beim Absehen von einer Strafverfolgung.
6. Stellungnahme
Die Verfolgungspflicht der Staatsanwaltschaft bei privater Kenntniserlangung muss je nach Delikt differenziert betrachtet werden. Die Lösung nach der Schweretheorie lässt Raum für eine einzelgerechte Abwägung. Bei Bagatellstraftaten von guten Freunden oder Verwandten führt diese Theorie zu einer Durchbrechung des Legalitätsprinzips.
Quellen
- Klesczewski, Diethelm: Strafprozessrecht, 2.Auflage 2013.
- Hannich, Rolf (Hrsg.): Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 8. Auflage 2019.