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I. Allgemeines
Die Heimtücke gehört zur zweiten Gruppe der Mordmerkmale. Diese stellen eine bestimmte Art und Weise der Tatbegehung und damit einen bestimmten Verhaltensunwert des Tatgeschehens unter Strafe, daher werden sie auch als tatbezogene Mordmerkmale bezeichnet.
Tatbezogene Merkmale sind keine besonderen persönlichen Merkmale i. S. d. § 28 StGB, sodass eine Akzessorietätslockerung nicht in Betracht kommt.
Da es sich bei den Mordmerkmalen der zweiten Gruppe um objektive Merkmale handelt, müssen sie von einem entsprechenden Vorsatz umfasst sein. Sie müssen also sowohl im objektiven, als auch im subjektiven Tatbestand geprüft werden.
II. Heimtücke
Definition: Der Täter tötet heimtückisch, wenn er die durch die Arglosigkeit geschaffene Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt.
Der Grund für die Strafschärfung im Vergleich zu § 212 StGB ist die besonders gefährliche Vorgehensweise: der Täter überrascht das arglose Opfer und hindert es so an einer Gegenwehr.
1. Arglosigkeit
Definition: Arglos ist, wer sich keines Angriffs auf sein Leben versieht.
Dabei geht es nicht um die heimliche Planung der Tat, maßgeblich ist der Zeitpunkt, an dem der Täter das Versuchsstadium erreicht. Wenn das Opfer von Beginn an die feindselige Absicht kennt, dann ist es nicht arglos und es kann keine Heimtücke vorliegen. Eine „offene Kampfansage“ im letzten Moment beeinträchtigt jedoch nicht die Arglosigkeit, wenn der Täter diese bis dahin ausgenutzt hat.
Zeitlich ist nicht bedeutend, dass das Opfer im Todeszeitpunkt noch arglos ist, das Merkmal der Heimtücke ist auch dann erfüllt, wenn der Täter sein (argloses) Opfer in einen Hinterhalt lockt und dieses dann zwar die feindselige Absicht des Täters erkennt, jedoch durch den Hinterhalt dem Täter hilflos ausgeliefert ist.
Auch Schlafende können heimtückisch getötet werden, denn nach herrschender Auffassung nimmt man die Arglosigkeit mit in den Schlaf. Wesentliches Kriterium ist die Willentlichkeit – der Schlafende begibt sich bewusst in seinen Zustand und würde dies nicht tun, wenn er mit einem Angriff rechnete. Bewusstlose im Gegensatz dazu begeben sich nicht willentlich in den Zustand der Bewusstlosigkeit und sind demnach – jedenfalls nach herrschender Meinung – nicht arglos.
Einzelfallabhängig ist, ob das Opfer nach einem zeitlich unmittelbar vorher stattfindenden Streit mit dem Täter noch arglos gewesen sein kann. Wenn der Täter seinen Tötungsvorsatz jedoch erst nach der Körperverletzung des Opfers fasst, ist die Arglosigkeit in der Regel durch die Körperverletzung bereits entfallen. Jedoch kann dann gegebenenfalls eine Verdeckungsabsicht vorliegen, wenn der Täter tötet, um die vorangegangene Körperverletzung zu verdecken.
2. Wehrlosigkeit
Aufgrund der Arglosigkeit muss das Opfer wehrlos sein.
Definition: Wehrlos ist, wer nicht oder zumindest nur eingeschränkt zur Verteidigung im Stande ist.
Ein Heimtückemord liegt demnach nicht vor, wenn das Opfer schon konstitutionell wehrlos ist. Dies kann darauf beruhen, dass es die feindselige Willensrichtung des Täters gar nicht erkennen kann (bspw. bei Kleinstkindern oder Geisteskranken). Der BGH bejahte jedoch die Heimtücke, wenn die natürlichen Abwehrinstinkte des Kindes umgangen werden (das bittere Gift wird mit einem süßen Brei vermischt). Ebenfalls kann für die Heimtücke auf abwehrbereite Dritte abgestellt werden, sofern diese die Tötung des Kindes hätten verhindern können.
Die aus der Arglosigkeit resultierenden Wehrlosigkeit des Opfers muss vom Täter bewusst zur Tat ausgenutzt werden. Weil für Mordmerkmale aufgrund der lebenslangen Freiheitsstrafe eine restriktive Handhabung geboten ist, genügt für die Annahme eines Ausnutzens nicht bereits, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit äußerlich wahrgenommen hat. Vielmehr muss er die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit für die hilflose Lage des Opfers erkennen und ausnutzen.
III. Einschränkung der Heimtücke
Höchst klausurrelevant ist das Problem rund um die Einschränkung der Heimtücke. Die Weite der herkömmlichen Definition macht praktisch jede überraschende Tötung zu einem Heimtückemord und erfasst eine Vielzahl von Fällen, in denen eine lebenslange Freiheitsstrafe unangemessen sein kann. Daher muss das Merkmal der Heimtücke eingeschränkt werden (sog. Heimtückerestriktion). Dazu werden verschiedene Lösungsansätze vertreten.
1. Lehre von der feindlichen Willensrichtung
Der BGH fordert ein Handeln in feindseliger Willensrichtung. Dieses kann fehlen, wenn der Täter „zum Besten“ des Opfers handelt.
Auf dieser Basis können zunächst echte Mitleidstötungen, bei denen dem Opfer z. B. Schmerz oder schweres Leid erspart werden soll, von § 211 StGB ausgeschlossen werden. Aber auch in diesen Fällen macht sich der wohlmeinende Täter die Arg– und Wehrlosigkeit des Opfers zunutze, um sein Ziel zu erreichen. In dem Moment, in dem er dem Opfer mit Tötungsvorsatz entgegentritt, steht er ihm gerade in feindlicher Willensrichtung gegenüber.
2. Rechtsfolgenlösung
Weiterhin arbeitet der BGH ggf. mit der sog. Rechtsfolgenlösung: Sofern die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht schuldangemessen erscheint, sind „außergewöhnliche Umstände“ über die Rechtsfolgenseite durch die Anwendung einer Strafmilderung gem. § 49 Abs. 1 StGB zu lösen. Solche Umstände sind etwa tiefes Mitleid, eine notstandsnahe Tatsituation, längere, schwere Kränkung oder große Verzweiflung.
Allerdings verzerrt die Rechtsfolgenlösung das Wertungsgefüge der Tötungsdelikte Mord und Totschlag, da ein Mord nach Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe nicht unter 3 Jahren bestraft werden kann, was deutlich unter der Mindesstrafandrohung des Totschlages liegt.
Außerdem wird bei der Rechtsfolgenlösung zwar keine lebenslange Freiheitsstrafe mehr verhängt, der Täter aber dennoch als Mörder tenoriert. Zuletzt ist die Forderung nach „außergewöhnlichen Umständen“ sehr unbestimmt.
3. Lehre von der Typenkorrektur
Eine Ansicht fordert eine Typenkorrektur, wodurch nur derjenige heimtückisch tötet, der aufgrund einer Gesamtwürdigung von Täter, Tat und Tatumständen im Verhältnis zum Totschläger des § 212 besonders verwerflich handelt. Hierbei vertreten Teile der Literatur positive, andere eine negative Typenkorrektur. Bei der positiven Typenkorrektur muss der Richter zusätzlich den positiven Nachweis der besonderen Verwerflichkeit erbringen. Bei der negativen Typenkorrektur wird ihm dagegen nur die Möglichkeit eröffnet, trotz Vorliegen von Heimtücke den Mord zu verneinen, soweit eine umfassende Gesamtwürdigung die Tötung ausnahmsweise als nicht besonders verwerflich erscheinen lässt.
Dieser Ansicht kann jedoch die Unbestimmtheit des Begriffes der Verwerflichkeit entgegen gehalten werden. Dies sei mit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren.
4. Lehre vom besonders verwerflichen Vertrauensbruch
Eine weitere Ansicht fordert hingegen einen „besonders verwerflichen Vertrauensbruch“. Wie die „Tücke“ innerhalb des Heimtückebegriffs schon zeige, sei für den Heimtückemord typisch, dass der Täter ein ihm vom Opfer entgegenbrachtes Vertrauen ausnutzt. Eine Heimtücke sei demnach zu verneinen, wenn der Täter bloß ein Überraschungsmoment ausnutzt. Das erforderliche Vertrauens basiert auf sozial-freundlichem Kontakt, wie bspw. unter Mitgliedern der Familie oder guten Freunden.
Gegen die Notwendigkeit eines verwerflichen Vertrauensbruch spricht, dass der Heimtückemord hiernach nicht auf die Fälle anwendbar ist, in denen zwischen Täter und Opfer keine Vertrauensbeziehung vorhanden war und deshalb das Opfer dem Täter gar kein Vertrauen entgegenbringen konnte. Der klassische, für die Heimtücke exemplarische Meuchelmord würde wegen fehlender Vertrauensbeziehung nicht unter den Begriff der Heimtücke fallen.
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