I. Geschützte Rechtsgut und Zielsetzung des § 138 StGB
§ 138 StGB schützt diejenigen Rechtsgüter, die durch die hier genannten Katalogtaten bedroht sind. Zusätzlich erachten manche die Rechtspflege als geschützt.
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Der Zweck des § 138 StGB ist nicht die Pönalisierung einer in der Nichtanzeige zutage getretenen gemeinschaftswidrigen Gesinnung, sondern die Verhütung verbrecherischer Erfolge.
Eine Anzeigepflicht besteht nur dann, wenn weiterer Schaden durch eine Anzeige möglicherweise verhindert werden kann. Steht fest, dass auch durch Anzeige eine Verhütung der Tat nicht möglich wäre, so besteht grundsätzlich keine Anzeigepflicht.
II. Schema des § 138 StGB
Das folgende Prüfungsschema verdeutlicht die einzelnen Prüfungsschritte des § 138 StGB:
- I. Tatbestand
- 1. Objektiver Tatbestand
- a) Die Tatsituation
- aa) Vorhaben oder Ausführung einer Katalogtat gem. § 138 Abs. 1 oder 2 StGB
- bb) Glaubhafte Kenntnis
- cc) Zu einem Zeitpunkt, in dem die Ausführung oder der Erfolg noch abgewendet werden kann
- dd) durch eine Person, die weder der ausschließlich Bedrohter noch Beteiligter an geplanter Tat ist und nicht die Voraussetzungen des § 139 Abs. 2, Abs. 3 erfüllt
- b) Die Tathandlung
- aa) Unterlassen der Anzeige
- bb) gegenüber der Behörde oder dem Bedrohten (nur bei § 138 Abs. 1 StGB)
- cc) rechtzeitig (bei § 138 Abs. 1 StGB) bzw. unverzüglich (bei § 138 Abs. 2 StGB)
- dd) keine Verhinderung der Tat, § 139 Abs. 4 StGB
- 2. Subjektiver Tatbestand
Vorsatz bzgl. der Tatsituation und Vorsatz oder Leichtfertigkeit (§ 138 Abs. 3 StGB) bzgl. der Tathandlung - II. Rechtswidrigkeit
- III. Schuld
- IV. Absehen von Strafe, § 139 Abs. 1 StGB
III. Tatsituation des § 138 StGB
1. Vorhaben oder Ausführung einer Katalogtat, § 138 Abs. 1, Abs. 2 StGB
Als erste Voraussetzung muss ein Vorhaben oder die Ausführung einer Katalogtat im Sinne des § 138 StGB vorliegen.
Definition: Der Begriff Vorhaben meint den ernstlichen Plan, eine Tat zu begehen, die in ihren wesentlichen Umrissen bereits festgelegt ist.
Definition: Bei der Ausführung handelt es sich um die Umsetzung der tatbestandlichen Handlung vom Versuchsstadium bis hin zur Beendigung.
Im Rahmen des § 138 Abs. 1 StGB sind dies unter anderem die Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 138 Abs. 1 Nr. 1 StGB), Mord und Totschlag (§ 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB) sowie Raub und räuberische Erpressung (§ 138 Abs. 1 Nr. 7 StGB).
Dagegen umfasst § 138 Abs. 2 StGB nur die Ausführung der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a StGB und die Vorbereitung bzw. Ausführung der Bildung terroristischer Vereinigungen nach § 129a StGB (auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1 S. 1, 2 StGB). Diese sind im Examen jedoch von geringerer Relevanz.
2. Glaubhafte Kenntnis
Daneben muss der Täter glaubhafte Kenntnis von dem Vorhaben oder der Ausführung erhalten.
Definition: Eine solche liegt vor, wenn der Täter an sie glaubt und demzufolge ernsthaft von der Realisierung der Tat ausgeht.
Diese Kenntnis muss der Täter zu einer Zeit erlangen, zu der die Ausführung bzw. der Erfolg der Tat noch abgewendet werden kann.
3. Person ist weder Bedrohter noch Beteiligter
Schließlich darf der Betroffene nicht der alleinige Bedrohte der geplanten Tat sein. Dies ergibt sich daraus, dass der Anzeigepflicht zumindest im Rahmen des § 138 Abs. 1 StGB Genüge getan wird, wenn die Anzeige gegenüber dem Bedrohten erfolgt.
Umstritten ist, ob auch einen Beteiligten an der Katalogtat die Anzeigepflicht trifft.
Hiergegen spricht zum einen, dass eine solche Pflicht in vielen Fällen gegen das Selbstbegünstigungsprinzip verstoßen würde. Daneben ist bereits fraglich, ob bei einem Beteiligten überhaupt von einem „Erfahren“ von der Tat gesprochen werden kann, wie es § 138 StGB voraussetzt.
Kann nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, ob es sich bei dem potenziellen Täter um einen Beteiligten an der Haupttat handelt, wurde in der früheren Rechtsprechung der in dubio pro reo-Grundsatz zweimal angewandt: Einmal bezogen auf die Katalogtat und einmal bezüglich § 138 StGB.
Der BGH hat dies inzwischen jedoch für nicht notwendig erklärt und in diesem Zusammenhang auf das „normativ-ethische Stufenverhältnis“ zwischen § 138 StGB und den aufgezählten Katalogtaten verwiesen. Nimmt man ein solches an, ist der Täter im Zweifel gemäß § 138 StGB zu bestrafen.
Nicht zur Anzeige verpflichtet ist außerdem ein Geistlicher hinsichtlich Dingen, die ihm in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut wurden, § 139 Abs. 2 StGB. Darüber hinaus sind gemäß § 139 Abs. 3 S. 1 StGB Personen straffrei, die eine Anzeige unterlassen, die sie gegen einen Angehörigen erstatten müssten, wenn sie sich ernsthaft bemüht haben, ihn von der Tat abzuhalten oder den Erfolg abzuwenden. Dies gilt allerdings nicht für Mord und Totschlag und andere Delikte, die in § 139 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 – 3 beschrieben sind.
Gemäß § 139 Abs. 3 S. 2 StGB sind Rechtsanwälte, Verteidiger und einige weitere Berufsgruppen unter denselben Voraussetzungen nicht verpflichtet anzuzeigen, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden ist. Auch ihre berufsmäßigen Gehilfen trifft laut § 139 Abs.3 S. 3 StGB keine Pflicht mitzuteilen, was ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft bekannt geworden ist.
IV. Die Tathandlung des § 138 StGB
Der Täter muss außerdem die Anzeige unterlassen. § 138 Abs. 1 StGB verlangt die Anzeige gegenüber der Behörde oder dem Bedrohten. § 138 Abs. 2 StGB lässt demgegenüber nur eine Anzeige gegenüber der Behörde zu.
Definition: Behörde meint in diesem Zusammenhang eine staatliche Dienststelle, deren Aufgabengebiet die Verhütung von Verbrechen umfasst (z.B. die Polizei).
Definition: Der Bedrohte ist die Person, gegen die sich die geplante Straftat richten soll.
Im Rahmen des § 138 Abs. 1 StGB muss dabei rechtzeitig, innerhalb des § 138 Abs. 2 StGB hingegen unverzüglich, Anzeige erstattet werden.
Definition: Rechtzeitig bedeutet, dass noch genügend Zeit vorhanden sein muss, um die zu befürchtende Rechtsgutverletzung abzuwenden.
Definition: Die Anzeige wird unverzüglich erstattet, wenn dies ohne schuldhaftes Zögern geschieht.
Schließlich führt es gemäß § 139 Abs. 4 StGB zu einem Ausschluss des objektiven Tatbestandes, wenn der Täter die Ausführung oder den Erfolg der Tat anders als durch Anzeige abwendet. Sein ernsthaftes Bemühen, den Erfolg abzuwenden, genügt indessen für eine Straflosigkeit, wenn die Ausführung oder der Erfolg der Tat bereits ohne Zutun des zur Anzeige Verpflichteten unterbleibt.
V. Der subjektive Tatbestand des § 138 StGB
Subjektiv muss der Täter mindestens dolus eventualis aufweisen. § 138 Abs. 3 StGB ordnet eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe an, wenn der Täter über glaubhafte Kenntnis hinsichtlich der Katalogtat verfügt, jedoch das Absenden der Anzeige leichtfertig unterlässt.
VI. Absehen von Strafe, § 139 Abs. 1 StGB
Hinzukommend kann das Gericht gemäß § 139 Abs. 1 StGB von Strafe absehen, wenn die Katalogtat nicht versucht worden ist.
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