I. Allgemein
Das Rechtsstaatsprinzip stellt ein tragendes Verfassungsprinzip dar. Der Bestand des Rechtsstaatsprinzips findet keine ausdrückliche Erwähnung im Grundgesetz, wird aber in den Regelungen des Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG und Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG vorausgesetzt.
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Im Grundgesetz finden sich viele Regelungen, die das Rechtsstaatsprinzip zum Ausdruck bringen und konkretisieren. Dementsprechend kann das Rechtsstaatsprinzip als Sammelbezeichnung für die folgenden wichtigsten Einzelregelungen verstanden werden, auf die später genauer eingegangen werden soll:
- Menschenwürde, Art. 1 ff. GG
- Rechtsbindung der Staatsgewalt, Art. 20 Abs. 3 GG
- Gewaltenteilungsprinzip, Art. 20 Abs. 2 S. 2GG
- Rechtsschutzgarantie, Art. 19 Abs. 4 GG
- Staatshaftung, Art. 34 GG
- Prozessuale Grundrechte, Art. 101 ff. GG
Weiter kommt dem Rechtsstaatsprinzip aber auch eine eigenständige Bedeutung zu: Das Rechtsstaatsprinzip ist Auslegungsrichtlinie für die gesamte Verfassungs- und Rechtsordnung. Wenn Einzelregelungen fehlen, kann auf das Rechtsstaatsprinzip zurückgegriffen werden.
II. Grundlage
Die Grundlage des Rechtstaatsprinzips ist strittig. Nach Bundesverfassungsgericht und herrschender Lehre ergibt sich das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4, 28 Abs. 1 S. 1 GG i.V.m. dem Gesamtkonzept des Grundgesetzes.
Häufig wird in Entscheidungen allerdings nur Art. 20 Abs. 3 GG als grundlegende Norm für das Rechtsstaatsprinzip zitiert.
III. Inhalt
Der Inhalt des Rechtsstaatsprinzips ist nicht definitionsmäßig bestimmbar und im Einzelfall aus dem Kontext des Grundgesetzes zu ermitteln.
Allgemein legt das Rechtsstaatsprinzip fest, dass nicht nur die Beziehungen der Bürger untereinander rechtlich geregelt sein müssen, sondern auch die Beziehung zwischen Bürger und Staat. Die Beziehung zwischen Bürger und Staat soll als Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten ausgestaltet sein, nicht als reines Untertanverhältnis.
Es muss zwischen formellem und materiellem Rechtsstaat unterschieden werden. Der formelle Rechtsstaat meint die gesetzliche Bindung des staatlichen Handelns, während der materielle Rechtsstaat auch eine inhaltliche Ausgestaltung fordert.
Das Rechtsstaatsprinzip im Grundgesetz fordert eine inhaltliche Ausgestaltung des Rechtsstaats in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, so dass ein sozialer Rechtsstaat besteht.
IV. Einzelne Ausprägungen
Das Rechtsstaatsprinzip findet, wie bereits erwähnt, Auswirkung in verschiedenen Regelungen des Grundgesetzes und wirkt neben und im Zusammenspiel mit anderen Verfassungsprinzipien rechtsordnungsgestaltend.
1. Grundrechte
Die Grundrechte können als Konkretisierung und Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips gesehen werden. Sie ergeben sich allerdings nicht aus dem Rechtsstaatsprinzip alleine, sondern im Zusammenspiel mit weiteren Verfassungsprinzipien, wie dem Demokratieprinzip und der Menschenwürde etc.
2. Gewaltenteilung
Die Gewaltenteilung als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzip dient der Vorbeugung des Machtmissbrauchs und gewährleistet die Freiheit der Bürger.
3. Rechtsbindung staatlicher Organe, Art. 20 Abs. 3 GG
Die Rechtsbindung staatlicher Organe gem. Art. 20 Abs. 3 GG ist das Kernstück des Rechtsstaatsprinzips.
Die Regelung legt fest, dass alle Maßnahmen, auch Regierungsakte, Gnadenakte, Verwaltungshandeln, fiskalisches Tätigwerden und restliches staatliches Handeln, an gesetzliche Regelungen gebunden sein müssen. Es darf kein rechtsfreier staatlicher Raum bestehen.
An Art. 20 Abs. 3 GG ist auch der Gesetzgeber gebunden.
Problematisch ist die Rechtsfolge, die sich ergeben soll, wenn ein Rechtsakt gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt. Art. 20 Abs. 3 GG legt selbst keine Konsequenz für diesen Fall fest. Nach herrschender Meinung ist der entsprechende Rechtsakt als nicht wirksam anzusehen, wenn er gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt.
4. Gesetzesvorbehalt
Gesetzesvorbehalt meint, dass die Verwaltung nur tätig werden darf, wenn sie durch Gesetz oder aufgrund von Gesetz dazu ermächtigt ist.
Die Grundlage für den Gesetzesvorbehalt ist im Einzelnen strittig. Jedenfalls ergibt sich der Gesetzesvorbehalt aber aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Demokratieprinzip.
In welchem Fall und und Umfang der Gesetzesvorbehalt angewendet werden muss, bestimmt das Bundesverfassungsgericht nach der Wesentlichkeitstheorie: Danach hat der parlamentarische Gesetzgeber alle wesentlichen Angelegenheiten im Verhältnis zwischen Bürger und Staat zu regeln. Als wesentlich wird dasjenige angesehen, was für die Verwirklichung der Grundrechte von Bedeutung ist.
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5. Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG
Der Rechtsschutz gem. Art. 19 Abs. 4 GG schützt den Bürger gegen rechtswidrige staatliche Akte durch unabhängige Gerichte.
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6. Staatshaftung
Staatshaftung meint die Haftung des Staates für Schädigungen des Bürgers durch rechtswidriges Verhalten staatlicher Organe.
7. Rechtsstaatliche Straf- und Prozessgrundrechte
Die rechtsstaatlichen Straf- und Prozessgrundrechte legen die rechtsstaatliche Bindung und Begrenzung der staatlichen Strafgewalt fest. Dies dient dem Schutz vor gewillkürter Bestrafung.
Die Straf- und Prozessgrundrechte ergeben sich aus einem Wechselspiel von ausdrücklich festgelegten Regelungen und dem Rechtsstaatsprinzip:
- nulla poena sine lege, Art. 103 Abs. 2 GG (Keine Strafe ohne Gesetz)
- ne bis in idem, Art. 103 Abs. 3 GG (Verbot der Doppelbestrafung)
- Schuldprinzip (Keine Strafe ohne Schuld)
- Unschuldsvermutung
- Verbot der Selbstbezichtigung (Kein Zwang gegen sich selbst auszusagen)
- in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten)
8. Rechtssicherheit
Die Rechtssicherheit ist ein weiteres wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips.
Die Rechtssicherheit legt fest, dass Rechtsnormen eine gewisse inhaltliche Bestimmtheit aufweisen müssen. Normen müssen klare Formulierungen enthalten, so dass für die Bürger erkenntlich ist, wie sie sich zu verhalten haben.
Darüber hinaus müssen Normen beständig sein. Das Recht muss eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweisen, so dass der Bürger auf Grundlage des Rechts planen und disponieren kann (Vertrauensschutz).
Auch müssen Verwaltungsakte Bestandskraft aufweisen. Ein Verwaltungskat ist eine verbindliche Feststellung, was im Einzelfall gelten soll. Verwaltungsakte werden deshalb grundsätzlich rechtswirksam bis sie aufgehoben werden oder sich im Laufe der Zeit von selbst erledigen, auch wenn sie rechtswidrig sind.
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9. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
An den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die gesamte Staatsgewalt gebunden.
Die Prüfung findet in Relation zum legitimen Zweck statt und erfolgt in drei Schritten:
- Geeignetheit
- Erforderlichkeit
- Angemessenheit
Das entsprechende Pendant zur Verhältnismäßigkeit ist das Untermaßverbot. Das Untermaßverbot legt fest, dass der Gesetzgeber bei Bestehen einer Verpflichtung zum Handeln eine bestimmte Grenze nicht unterschreiten darf, sondern tätig werden muss.
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