A. Allgemeines
Irrtümer können einem im Strafrecht auf jeder der klassischen Prüfungsebenen begegnen. Sowohl auf der Tatbestandsebene in Form des Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB des Tatbestandsirrtum über privilegierende Tatbestandsmerkmale oder des Subsumtionsirrtums etc. Ferner kann auf der Rechtswidrigkeitseben ein Irrtum vor allem in Form eines Erlaubnistatbestandsirrtums auftreten.
Tipp: Lies hier mehr zum Klausurklassiker dem Erlaubnistatbestandsirrtum!
Aber auch auf der Schuldebene können zahlreiche Irrtümer auftauchen.
Diese können in
- tatsächlicher Hinsicht
durch die Vornahme einer Verletzungshandlung in der irrigen Annahme des Umstandes, dass objektiv ein Entschuldigungsgrund eingreift oder - rechtlicher Hinsicht
als Irrtum über die rechtlichen Grenzen eines Entschuldigungsgrundes erscheinen.
Tipp: Um sich einen Überblick über alle relevanten Irrtümer im Strafrecht zu verschaffen, lies hier.
I. Verbotsirrtum, § 17 StGB
Zunächst soll es dabei um den Verbotsirrtum gehen. Dieser ist in § 17 StGB geregelt.
Fehlt dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun, so handelt er ohne Schuld, wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Konnte der Täter den Irrtum vermeiden, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Es handelt sich hierbei also um einen Schuldausschließungsgrund. Hätte der Irrtum jedoch vermieden werden können, bestimmt § 17 S. 2 StGB, dass seine Strafe lediglich nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden kann.
Damit knüpft das Gesetz vorliegend an der normativen Ebene an. Eine Person irrt über das, wie das Gesetz ihr Verhalten behandelt
Dabei ist ein Verbotsirrtum grundsätzlich zu verneinen, wenn es sich um einen bloßen Strafbarkeitsirrtum handelt. Die Kenntnis von der Strafbarkeit ist für die Vorstellung des Täters von einem Verbot nicht erforderlich. Er muss nur die spezifische Rechtsgutsverletzung als Unrecht erkennen, die der Straftatbestand umfasst.
Beispiel: B hat in einem Laden einen Hut gestohlen. Stolz schenkt er diesen dem A. A weiß, dass der Hut gestohlen wurde, geht aber davon aus, dass nur das Abkaufen des Hutes strafbar wäre (§ 259 Abs. 1 StGB).
An die Vermeidbarkeit stellt die Rechtsprechung indessen sehr hohe Anforderungen.
Das richtige Stichwort ist hier die „Gewissensanspannung“. Danach kommt es unter anderem darauf an, ob der Täter unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten, seiner sozialen Stellung und seiner Wertvorstellungen das Unrecht hätte einsehen können. Er hat dabei auch die Pflicht, sich im Zweifel zu erkundigen.
Abgrenzung zu Wahndelikten
In diesem Zusammenhang ist auch der umgekehrte Verbotsirrtum zu nennen. Dabei geht der Täter davon aus, dass ein Verhalten gegen eine Strafvorschrift verstößt, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt bzw. nimmt er fälschlicherweise an, dass eine existierende Vorschrift sein Verhalten umfasst. Es handelt sich hierbei um ein strafloses Wahndelikt.
II. Erlaubnisirrtum (indirekter Verbotsirrtum)
Darüber hinaus ist auch der sogenannte Erlaubnisirrtum innerhalb der Schuld zu thematisieren. Dieser wird als indirekter Verbotsirrtum bezeichnet und führt ebenfalls zu einer Anwendung des § 17 StGB. Dieser Irrtum knüpft ebenfalls an die normative Ebene an. Eine Person irrt über das, wie das Gesetz ihr Verhalten behandelt.
Dieser Irrtum ist dabei in zwei Varianten denkbar:
- Wenn der Täter die rechtlichen Grenzen eines Rechtfertigungsgrunds nicht korrekt einschätzt, unterliegt er einem Erlaubnisgrenzirrtum.
Beispiel: B will A schlagen. Um einen Schlag des B abzuwehren, schießt A ihm in den Bauch. Dabei hätte er dem Angriff auch wirksam mit einem Faustschlag entgegentreten können. Stattdessen erachtete A auch den Schuss von seinem Recht auf Notwehr gedeckt.
- Außerdem ist ein Erlaubnisnormirrtum anzunehmen, wenn der Täter glaubt, dass ihm ein Rechtfertigungsgrund zur Seite stehe, der in Wirklichkeit überhaupt nicht existiert.Beispiel: Die Lautstärke der auf der Straße spielenden Kinder stört den Nachbarn N. In der Annahme, dass ihm Kindern gegenüber ein allgemeines Züchtigungsrecht zustehe, versetzt er beiden eine Ohrfeige.
Natürlich gibt es auch einen umgekehrten Erlaubnisirrtum. Dabei steht dem Täter ein Rechtfertigungsgrund zur Seite. Er hält sich aber irrtümlich für strafbar, weil er die Grenzen des Rechtfertigungsgrundes zu seinem Nachteil auslegt. Auch in dieser Situation begeht der Täter lediglich ein strafloses Wahndelikt.
III. Doppelirrtum
Auch der sogenannte Doppelirrtum ist auf der Ebene der Schuld zu verorten. Ein solcher ist anzunehmen, wenn augenscheinlich ein Erlaubnis- und ein Erlaubnistatbestandsirrtum gleichzeitig vorliegen.
Der Täter geht zum einen irrtümlicherweise davon aus, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gegeben sind. Wäre dem so, würde er aber dennoch dessen Grenzen überschreiten.
Beispiel: A denkt, dass B ihn schlagen will. Stattdessen möchte B ihn nur umarmen. A schießt ihm jedoch ohne Vorwarnung in den Bauch.
Hier ist A zunächst irrtümlich von einer Notwehrlage ausgegangen. Zusätzlich hat er auch die Grenzen des vorgestellten, aber ihm tatsächlich nicht zustehenden Notwehrrechts überschritten.
Der Doppelirrtum wird dabei ebenso bewertet wie der Verbotsirrtum. Dies ist bei genauerem Hinsehen auch logisch. Dadurch, dass A das Notwehrrecht überschritten hat, dass er sich vorgestellt hat, ist ein Erlaubnistatbestandsirrtum nämlich zu verneinen. Die vorliegende Konstellation muss also genauso wie ein Erlaubnisirrtum behandelt werden.
IV. Irrtum über das Eingreifen von Entschuldigungsgründen
Schließlich ist an dieser Stelle auch der Irrtum über das Eingreifen von Entschuldigungsgründen mit seinen rechtlichen Konsequenzen zu erläutern. Es handelt sich dabei um einen parallelen Irrtum zum Erlaubnisirrtum, nur irrt der Täter nicht in Hinsicht auf einen Rechtfertigungsgrund, sondern einen Entschuldigungsgrund. Hierbei ist zunächst auf die Fallgestaltung einzugehen. Es gilt herauszufinden, ob der Täter sich hinsichtlich des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen eines Entschuldigungsgrunds irrt.
Beispiel: A und B treiben im Meer, nachdem ihr Kreuzfahrtschiff gesunken ist. Eine schwimmende Tür ist der einzige Schutz vor dem eiskalten Wasser. Da A dies für die einzige Möglichkeit ihrer eigenen Rettung hält, schubst sie B herunter, woraufhin dieser augenblicklich einen Herzstillstand erleidet. Dabei verkennt A jedoch, dass ein Rettungsboot mit Aufnahmekapazitäten bereits in der Nähe ist.
Hält der Täter irrtümlich die Voraussetzungen für einen anerkannten Entschuldigungsgrund für gegeben und war dieser Irrtum nicht vermeidbar, ist er entschuldigt. Für den entschuldigenden Notstand ist dies in § 35 Abs. 2 StGB ausdrücklich geregelt. War der Irrtum vermeidbar, ist seine Strafe nach § 35 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern.
Diese Regelung wird auf die anderen Entschuldigungsgründe entsprechend angewandt. Über die Strafbarkeit der A entscheidet demnach die Frage, ob ihr Irrtum nach § 35 Abs. 2 S. 1 StGB vermeidbar war.
Außerdem ist die Konstellation denkbar, dass der Täter sich hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen oder gar der Existenz eines Entschuldigungsgrundes irrt. Dieser Irrtum wird allgemein als unbeachtlich angesehen.
B. Fazit
Die strafrechtlichen Irrtümer im Bereich der Schuld sind, einmal gelernt, gut in den Griff zu bekommen. Merke dir am besten zu jeder Konstellation einen Beispielsfall und bewahre in der Klausur einen kühlen Kopf – dann kann nichts mehr passieren.
Vertiefungshinweis
- Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 44. Aufl. , Rn. 820 ff.