I. Die Abgrenzung von unechten und echten Unterlassungsdelikten
Im Strafrecht wird grundsätzlich zwischen echten und unechten Unterlassungsdelikten unterschieden.
1. Unechtes Unterlassungselikt, § 13 StGB
Die unechten Unterlassungsdelikte sind in § 13 StGB geregelt und dadurch gekennzeichnet, dass dem Betroffenen aufgrund seiner Garantenstellung eine Pflicht zur Erfolgsabwendung aufgebürdet wird, die Norm selbst aber im aktiven Tun formuliert ist.
In § 13 Abs. 1 StGB heißt es:
Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
Das Unterlassen bei unechten Unterlassungsdelikten (§ 13 StGB) entspricht wertungsmäßig der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands durch ein aktives Tun (sog. Entsprechungsklausel, § 13 StGB). Daher kommt auch die Bezeichnung als Spiegelbild.
Notwendiges Merkmal beim Vorliegen eines unechten Unterlassungsdelikts (§ 13 StGB) ist neben des Vorhandenseins einer Garantenstellung, das Unterlassen der im Gesetz geforderten Handlung und die theoretische Möglichkeit, handeln zu können.
2. Echtes Unterlassungsdelikt
Demgegenüber sind die echten Unterlassungsdelikte als selbstständige Straftatbestände im StGB geregelt. Ihre Verwirklichung erfordert keine Garantenstellung. Stattdessen genügt hier die Nichtvornahme der Handlung, die das Gesetz verlangt.
Die Prüfung erfolgt dabei wie gewohnt nach den im Gesetz genannten Tatbestandsmerkmalen. Die im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte geltenden Besonderheiten spielen also keine Rolle.
Ein Beispiel für das echte Unterlassungsdelikt ist die unterlassene Hilfeleistung nach § 323 c StGB.
II. Schema: Unechtes Unterlassungsdelikt, § 13 StGB
Prüfungsschema des unechten Unterlassungsdelikts (§ 13 StGB):
- I. Tatbestand
- 1. Objektiver Tatbestand
- a) Eintritt des tatbestandlichen Erfolges
- b) Nichtvornahme / Unterlassen der tatsächlichen möglichen und rechtlich gebotenen Handlung
- c) Hypothetische Kausalität und objektive Zurechnung
- d) Garantenstellung i.S.d. § 13 StGB
- e) Entsprechungsklausel, § 13 Abs. 1 StGB
- 2. Subjektiver Tatbestand
- II. Rechtswidrigkeit und Schuld
- 1. Besonderer Rechtfertigungsgrund: Rechtfertigende Pflichtenkollision
- 2. Besonderer Entschuldigungsgrund: Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens
1. Nichtvornahme der möglichen und gebotenen Handlung
Der Täter muss eine objektiv gebotene, erforderliche und ihm subjektiv zumutbare Handlung unterlassen haben.
Objektive Erforderlichkeit meint, dass der Täter in der Lage sein muss eine zur Abwendung des Erfolgs geeignete Handlung auszuüben. Der Täter muss die geeignet erscheinende Handlung hierbei selbst oder durch einen Dritten vornehmen lassen. Die Situation ist aus einer ex ante Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen.
Wie man positives Tun vom Unterlassen abgrenzt, kann jedoch teilweise schwer fallen und ist auch sehr umstritten.
- Eine Meinung stellt auf den kausalen Energieeinsatz (Muskelenergie) ab. Dabei wird aktives Tun angenommen, wenn Energie in eine bestimmte Richtung aufgewendet wird und Unterlassen gerade im Nichtaufwenden von Energie.
- Die wohl herrschendere Meinung richtet sich nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit.
Die Handlungsfähigkeit des Täters setzt die physisch-reale Möglichkeit der Vornahme der gebotenen Handlung voraus. Diese fehlt insbesondere bei völliger Handlungsunfähigkeit, bei mangelnder räumlicher Nähe oder bei Fehlen von nötigen Hilfsmitteln. Die Situation ist aus einer ex ante Sicht zu beurteilen.
Ein aktives Tätigwerden kann nicht verlangt werden, sofern dies mit unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen einhergeht (subjektive Zumutbarkeit). Abzuwägen sind insbesondere das Gewicht und der Grad der drohenden Gefahr für die jeweiligen Interessen. Zumutbarkeit ist bspw. abzulehnen, sofern mit dem Tätigwerden eine eigene konkrete Lebensgefährdung verbunden ist.
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2. Hypothetische Kausalität und objektive Zurechnung
Kausalitätszusammenhang in naturgesetzlicher Hinsicht nicht möglich, da der Täter eben keine Bedingung setzt, sondern untätig bleibt. Die Definition der sogenannten Quasikausalität lautet daher wie folgt:
Definition: Ein Unterlassen ist kausal für den Erfolg, wenn durch Hinzudenken der gebotenen Handlung der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele.
Sofern nicht feststeht, dass die Handlung den Erfolg verhindert hätte, entfällt die Kausalität („in dubio pro reo“). Entscheidend ist, ob der Erfolg auch eingetreten wäre, wenn die gebotene Handlung vorgenommen worden wäre.
Für die objektive Zurechnung kann grundsätzlich auf das vorsätzliche Begehungsdelikt verwiesen werden.
Definition: Im Erfolg muss sich die Gefahr realisieren, die der Täter durch die pflichtwidrige Unterlassung der gebotenen Handlung geschaffen hat.
Eine besondere Fallgruppe ist v.a. die hypothetisch rechtmäßige Alternativhandlung.
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3. Garantenstellung, § 13 StGB
[…] wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt […]
Die Grantenstellung ergibt sich aufgrund einer Pflicht zum Handeln. Demnach gibt es Beschützergaranten und Überwachergaranten.
Beschützergarant:
Definition: Beschützergaranten übernehmen eine umfassende Obhutspflicht für ein bestimmtes Rechtsgut und müssen aufgrund dessen dafür Sorge tragen, dass dieses Rechtsgut nicht verletzt wird.
Beispiele: Gesetz (§§ 1353, 1626 I BGB), Vertrag, tatsächliche Übernahme, Gefahrengemeinschaft, enge persönliche Verbundenheit.
Überwachergarant:
Definition: Überwachergaranten kommt die Verantwortlichkeit für bestimmte Gefahrenquellen zu und müssen verhindern, dass diese Gefahrenquellen unbeteiligte Dritte verletzen.
Beispiele: Baustelle oder Atomkraftwerk, Verantwortlichkeit für Verhalten Dritter, Ingerenz.
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4. Entsprechungsklausel, § 13 StGB
[…] das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
Das Unterlassen muss dem Unrechtsgehalt des aktiven Tuns der Tatbestandsverwirklichung entsprechen, um eine Strafbarkeit zu begründen.
Bei reinen Erfolgsdelikten, die lediglich einen bestimmten Taterfolg verlangen, ist die Entsprechungsklausel in der Regel zu bejahen. Bei den verhaltensgebundenen Delikten ergeben sich in der Regel Schwierigkeiten.
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5. Subjektiver Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Schuld
Der Vorsatz des Unterlassungsdelikts definiert sich wie folgt:
Definition: Entschluss, trotz erkannter Möglichkeit des Erfolgseintritts untätig zu bleiben, obwohl der Täter die Umstände kennt, aus denen sich seine Garantenstellung ergibt.
Im Rahmen der Rechtswidrigkeit ergeben sich im Vergleich zum normalen Begehungsdelikt keine Besonderheiten. Auch hier indiziert die Tatbestandmäßigkeit die Rechtswidrigkeit.
Als gewohnheitsrechtliche anerkannter, unterlassungsspezifischer Rechtfertigungsgrund existiert zudem die rechtfertigende Pflichtenkollision.
Definition: rechtfertigenden Pflichtenkollision ist die Kollision zweier rechtlich gleichwertiger Handlungspflichten, von welchen der Normadressat jeweils nur eine auf Kosten der anderen erfüllen kann.
Die Prüfung der Schuld erfolgt grundsätzlich wie beim Begehungsdelikt. Im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte kann die Strafbarkeit über das Kriterium der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ausgeschlossen sein.
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