I. Allgemeines
Der Urteilsstil ist am Anfang des Studiums kaum von Bedeutung und wächst erst an Bedeutung zum zweiten Examen hin. Dort werden nämlich sog. Urteilsklausuren geschrieben. Wenn man die Grundregeln beachtet, ist es ganz einfach, im Urteilsstil zu schreiben. Die Anwendung des Urteilsstils fällt den meisten Studierenden leicht, weil er unserem normalen Sprachgebrauch viel eher entspricht als der Gutachtenstil. Knifflig ist es lediglich, diejenigen Stellen in der Klausur oder Hausarbeit (im Studium) herauszusuchen, in denen der Urteilsstil angebracht ist.
II. Der Urteilsstil
Ein Text im Urteilsstil wird in zwei Schritten gebildet:
- Nennen des Ergebnisses
- Angabe der tragenden Erwägungen, also die Begründung
- Definition
- Subsumtion
Dies könnte beispielsweise so aussehen: Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB steht A gegen B nicht zu. B hat die Beschädigung des Autos nicht zu vertreten. Er hat die gemäß § 276 Abs. 2 BGB im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht außer Acht gelassen.
Oder knapper formuliert: Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB des A gegen B scheitert, weil es bereits am Verschulden des B fehlt, denn für einen Fahrlässigkeitsvorwurf gemäß § 276 Abs. 2 BGB fehlt es an Anhaltspunkten.
Oder ganz kurz und knapp: Eine Haftung des B aus 823 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht, da er sein Verhalten nicht gemäß § 276 Abs. 2 BGB zu vertreten hat.
III. Der Urteilsstil in der Fallbearbeitung
Der Einsatz des Urteilsstils an den richtigen Stellen in der Bearbeitung, lohnt sich in vielfacher Hinsicht:
- Zunächst einmal kann man sich eine Menge Zeit und Platz für die wirklich problematischen Passagen der Klausur oder Hausarbeit aufsparen.
- Weiterhin zeigt ein dosierter Einsatz des Urteilsstils dem Korrektor, dass man in der Lage ist, Schwerpunkte zu setzen und Problematisches von Unproblematischen zu trennen.
- Zudem wird die Arbeit hierdurch übersichtlicher und lässt sich angenehmer lesen.
Die meisten Korrektoren mögen nichts weniger als Arbeiten, die keine Schwerpunktsetzung und damit keinen roten Faden erkennen lassen. Und das wirkt sich dementsprechend auf die Notengebung aus! Urteilsstil an den richtigen Stellen freut den Korrektor und ein erfreuter Korrektor verspricht eine bessere Bewertung für den Bearbeiter.
IV. Unterscheidung: Gutachtenstil und Urteilsstil
Auf die Einhaltung des Gutachtenstils wird vor allem in den ersten Semestern des Jurastudiums viel Wert gelegt. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass sprachlich genau der Denkprozess zum Ausdruck gebracht wird, mit dem der Verfasser zum Ergebnis einer Rechtsfrage gelangt ist.
Gutachtenstil: Am Anfang des Textes steht die Frage, es folgt die Prüfung der einzelnen Voraussetzungen, von denen ihre Beantwortung abhängt, und am Schluss steht das Ergebnis (Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis).
Beispiel: Es könnte ein Anspruch des A gegen B auf Zahlung von Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB bestehen. Dafür müsste B den Schaden zu vertreten haben. Zu vertreten hat B den Schaden, wenn er zumindest fahrlässig im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB handelte. Fahrlässig handelt demnach, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. B handelte vorliegend im Rahmen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Somit handelte er nicht fahrlässig im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB. Damit hat er den Schaden auch nicht zu vertreten und folglich besteht kein Anspruch des A gegen B aus § 823 Abs. 1 BGB.
Mit dieser Technik lassen sich Probleme und Argumentationen besonders gut darstellen. Es gibt nur einen Nachteil: Im Beispiel und an vielen anderen Stellen wirkt ein ausführlicher Gutachtenstil langatmig und schlichtweg übertrieben. An diesen Stellen ist der Urteilsstil also viel sinnvoller, weil hiermit kurz und prägnant etwas unproblematisches festgestellt werden kann.
Oft ist für den Bearbeiter jedoch gar nicht so leicht erkennbar, was in der Klausur problematisch ist und damit einer ausführlichen Erörterung bedarf. Allgemein gilt, dass die stilistische Form dem Grad der Wichtigkeit entsprechen sollte.
Regel 1: Je übertriebener der Gutachtenstil klingt, desto eher ist er zu vermeiden.
Der Urteilsstil darf aber auch wirklich nur da zur Anwendung kommen, wo der Sachverhalt so eindeutig ist, dass alle weitgehenden Begründungen, die zum Ergebnis führten, entfallen können. Folgen auf ein im Urteilsstil verfasstes Ergebnis noch ausführliche Erläuterungen, liegen die Dinge wohl doch nicht so klar. Hier sollte dann der Gutachtenstil verwendet werden.
Regel 2: Die Alarmglocken des Korrektors läuten immer dann, wenn nach der feststellenden Aussage noch eine Menge Text zur Begründung kommt.
WICHTIG: Studienanfänger sollten zunächst versuchen, den Gutachtenstil weitgehend einzuhalten, denn in den ersten Semestern geht es in den Klausuren oft in erster Linie darum zu zeigen, dass der Gutachtenstil beherrscht wird. Das heißt, sparsam mit dem Urteilsstil umgehen.
Tipp: Für Ausführungen zum Gutachtenstil, empfehlen wir diesen Artikel.
V. Der Urteilsstil in der (Anfänger-) Klausur
Auch wenn die Verwendung des Urteilsstils an vielen Stellen überaus praktisch ist, kann es trotzdem gerade in den ersten Semestern passieren, dass die Verwendung des ungeschönten Urteilsstils an einigen Stellen kritisiert wird. Jeder Korrektor hat unterschiedliche Vorlieben, weshalb es passieren kann, dass in der nächsten Klausur genau das Gegenteil, nämlich langatmiger und überflüssiger Gutachtenstil bemängelt wird.
Es gibt aber einige Möglichkeiten dafür, unproblematische Stellen schnell abzuarbeiten, ohne dabei den reinen Urteilsstil – sondern eine kaschierte Form – zu verwenden, sodass auch der penibelste Korrektor nicht verärgert wird.
1. Signalwörter vermeiden
An Problemschwerpunkten hat der Urteilsstil nichts zu suchen. Es sollte daher versucht werden Wörter, die den Urteilsstil eindeutig implizieren – wie da, weil, denn, nämlich usw. – im Gutachten an diesen Stellen ganz zu vermeiden. Das heißt aber nicht, dass auf kausale Nebensätze ganz verzichtet werden muss. Bei deskriptiven Sätzen sind sie unbedenklich.
Beispiel: A lehnte das Angebot des B ab, weil er mit dem von B geforderten Preis nicht einverstanden war.
Manchmal kann man ein da oder weil durch ein nachdem ersetzen – der Urteilsstil fällt dann gleich nicht mehr so ins Auge.
2. Begründung vor dem Ergebnis
Eine andere Möglichkeit, um den Korrektor nicht zu verärgern, besteht darin, den Gutachtenstil ein wenig zu kaschieren, indem der Satz so formuliert wird, dass die (kurze) Begründung trotz Urteilsstil vor dem Ergebnis steht.
Allgemein formuliert sieht das so aus:
Wegen Grund gilt Ergebnis.
Beispiel: Wegen des zu hohen Preises, lehnte A das Angebot des B ab.
VI. Fazit
Wenn man den Gutachtenstil erst einmal verinnerlicht hat, kommt es einem am Anfang vielleicht etwas ungewohnt vor, im Urteilsstil zu schreiben. Eine der Grundvoraussetzungen eines guten Juristen ist aber nunmal das Vermögen, Problemschwerpunkte in der Bearbeitung erkennen zu lassen. Verwendet man also ab den Fortgeschrittenenübungen an den unproblematischen Stellen des Gutachtens den Urteilsstil, wird dies sicher einen guten Eindruck beim Korrektor hinterlassen.
Quellen
- Putzke, Holm: Juristische Arbeiten erfolgreich schreiben; 3. Auflage. München, 2010, S. 23f.
- Valerius, Brian: Einführung in den Gutachtenstil; 2. Auflage. Berlin, 2006, S. 22ff.
- Möllers,Thomas: Juristische Arbeitstechnik und wissenschaftliche Arbeiten; 4. Auflage. München, 2008, S. 114ff.
- Schimmel, Roland: Juristische Klausuren und Hausarbeiten richtig formulieren; 6. Auflage. München, 2006, S. 57ff.