I. Allgemeines zur Verleitung zur Falschaussage, § 160 StGB
Die Aussagedelikte (geregelt in § 153 – § 162 StGB) bestrafen überwiegend denjenigen, der vor Gericht oder gegenüber einer Behörde vorsätzlich die Unwahrheit sagt. Dabei sind § 153 – § 156 StGB eigenhändige Delikte.
Jedoch soll auch bestraft werden, wer einen Zeugen, Sachverständigen oder eine andere Beweisperson dazu verleitet ein gerade solches Aussagedelikt zu begehen.
Das Problem liegt sodann darin, dass eine Tatbegehung in mittelbarer Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) bei eigenhändigen Delikten nicht möglich ist. Um diese Strafbarkeitslücke zu schließen, kam der § 160 StGB ins Gesetz.
Absatz 1 des § 160 StGB lautet:
Wer einen anderen zur Ableistung eines falschen Eides verleitet, wird […] bestraft; wer einen anderen zur Ableistung einer falschen Versicherung an Eides Statt oder einer falschen uneidlichen Aussage verleitet, wird […] bestraft.
Dabei soll vor allem verhindert werden, dass eine Störung von behördlichen oder gerichtlichen Verfahren entsteht.
II. Prüfungsschema des § 160 StGB
Schema: Verleitung zur Falschaussage, § 160 StGB
- I. Tatbestand des § 160 StGB
- Objektiver Tatbestand
- Taterfolg: objektiv falsche Aussage i.S.e.
- Meineids, § 154 StGB, oder
- einer falschen uneidlichen Aussage, § 153 StGB oder
- einer falschen Versicherung an Eides Statt, § 156 StGB
- Tathandlung: Verleiten
- Gutgläubigkeit des Aussagenden
- Subjektiver Tatbestand – Vorsatz
- II. Rechtswidrigkeit
- III. Schuld
III. Voraussetzungen des § 160 StGB
1. Tatbestand
Der objektive Tatbestand des § 160 Abs. 1 StGB verlangt, dass der Täter einen anderen zur Ableistung eines falschen Eides (§ 154 StGB), einer falschen Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB) oder einer falschen uneidlichen Aussage (§ 153 StGB) verleitet.
Definition: Verleiten meint grundsätzlich jede Art der Veranlassung zu einer der genannten Taten.
Eine Täuschung oder Drohung ist hierfür beispielsweise ausreichend. Typische Tathandlungen sind: Täuschung, Ausnutzung eines bereits bestehenden Irrtums oder Drohung
Subjektiv muss der Täter mindestens mit bedingtem Vorsatz handeln.
Anforderungen im Hinblick auf das „Verleiten“
Umstritten ist jedoch, wann noch von einem Verleiten durch den Täter gesprochen werden kann:
- Nach einer Ansicht in der Literatur soll § 160 Abs. 1 StGB nur Anwendung finden, wenn die Voraussetzungen einer mittelbaren Täterschaft nach § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB an sich erfüllt sind, eine Strafbarkeit aber deshalb nicht möglich ist, weil die Aussagedelikte eigenhändige Delikte sind. Demnach muss der subjektive Tatbestand auch den Vorsatz des Täters hinsichtlich der Gutgläubigkeit des Vordermanns beinhalten.
- Nach Ansicht der Rechtsprechung und eines anderen Teils der Literatur kommt eine Vollendungsstrafbarkeit gemäß § 160 Abs. 1 StGB zusätzlich auch in Betracht, wenn der Vordermann bösgläubig handelt.
Konsequenzen für die verschiedenen Fallgestaltungen
Dieser Streit ist von großer Bedeutung für die Behandlung unterschiedlicher Fallkonstellationen:
a. Der Täter hält den Aussagenden für gutgläubig, dieser ist es auch tatsächlich
Beispiel: A hat einen Banküberfall verübt. Sein Nachbar N soll im Prozess als Zeuge aussagen. Im Vorfeld überzeugt A den N, dass die beiden am fraglichen Abend zusammen ein Fußballspiel angesehen haben. N glaubt dies und sagt dementsprechend vor Gericht aus. Dies hatte A sich auch so vorgestellt.
N hat hier gutgläubig falsch ausgesagt. Davon ist A im Vorfeld auch ausgegangen. Hier liegt nach beiden Ansichten ein Verleiten des N vor, sodass § 160 Abs. 1 StGB erfüllt ist. Dies ist die einfache Fallkonstellation ohne weitere Probleme.
b. Der Täter hält den Aussagenden für gutgläubig, dieser ist tatsächlich aber bösgläubig
Beispiel: A hat einen Banküberfall verübt. Sein Nachbar N soll im Prozess als Zeuge aussagen. A erklärt ihm vor der Aussage, dass sie doch an besagtem Wochenende auf einer Feier gewesen seien. A geht dabei davon aus, N werde gutgläubig in diesem Sinne aussagen. N durchschaut jedoch As Plan, sagt aber dennoch zu seinen Gunsten aus.
- Nach der Literaturansicht steht die Bösgläubigkeit des N einer Bestrafung nach § 160 Abs. 1 StGB entgegen. Diese setzt eine Werkzeugeigenschaft des Vordermanns voraus. Es kommt nur eine Strafbarkeit gemäß §§ 160 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB in Frage.
Eine Strafbarkeit wegen einer Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage gemäß §§ 153, 26 StGB ist nicht möglich, da A der Vorsatz im Hinblick auf eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat fehlt. - Auf Grundlage der Ansicht der Rechtsprechung und eines Teils der Literatur ist hingegen eine Vollendungsstrafbarkeit des A gemäß § 160 Abs. 1 StGB anzunehmen, da ein Verleiten auch bei einem bösgläubigen Vordermann bejaht werden kann.
Streitentscheid
Sofern Sie den Streit in der Klausur entscheiden müssen, können Sie folgende Argumente ins Feld führen:
- Für die Literaturmeinung spricht, dass kein Bedürfnis besteht, solche Fälle in die Anwendung des § 160 Abs. 1 StGB einzubeziehen, in denen der Täter den bösgläubigen Vordermann irrtümlich für gutgläubig gehalten hat. In dieser Situation kommt unproblematisch eine Versuchsstrafbarkeit gemäß §§ 160 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB in Frage.
- Für die Ansicht der Rechtsprechung und eines Teils der Literatur wird argumentiert, dass der Täter sein Ziel, eine Gefährdung der Rechtspflege herbeizuführen, vollumfänglich erreicht hat, auch wenn der Aussagende entgegen seiner Vorstellung bösgläubig ausgesagt hat. Daneben führe die Literaturansicht einen Wertungswiderspruch herbei, wenn sie denjenigen, der jemand anderen zu einer vorsätzlichen Falschaussage veranlasst, milder bestraft als jemanden, der einen anderen zu einer gutgläubigen Falschaussage bringt.
Im Ergebnis kann beiden Meinungen gefolgt werden, für welche sich entschieden wird, hängt von der persönlichen Überzeugung bzgl. der Argumente ab. Hier ist gutes Argumentieren gefragt und führt zu zahlreichen Punkten. Der Streit sollte aber nur dann thematisiert werden, wenn auch wirklich eine solche Konstellation vorliegt, bitte nicht nur gelerntes Wissen runterschreiben!
c. Der Täter hält den Aussagenden für bösgläubig, dieser ist tatsächlich gutgläubig
Beispiel: A hat einen Banküberfall verübt. Sein Kollege K soll im Prozess als Zeuge aussagen. Vorher zwinkert A ihm verschwörerisch zu und sagt: „Du weißt ja, dass wir an dem Tag zusammen beim Fußball waren!“ Dabei geht A davon aus, dass K weiß, dass er den Überfall begangen hat und dennoch in diesem Sinne aussagen wird. K glaubt, dass sie tatsächlich zusammen bei dem Spiel waren und sagt vor Gericht zu Gunsten des A aus.
Hier ist der Täter wegen einer versuchten Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage gemäß § 159 i.V.m. § 153 oder § 30 Abs. 1 StGB strafbar.
- Nach Ansicht der Literatur ist bereits der Tatbestand des § 160 Abs. 1 StGB nicht erfüllt.
- Nach der Ansichtder Rechtsprechung und eines Teils der Literatur wird § 160 Abs. 1 StGB hingegen aufgrund von Subsidiarität verdrängt.
d. Der Täter hält den Aussagenden für bösgläubig, dieser ist auch tatsächlich bösgläubig
Beispiel: A hat wieder einen Banküberfall verübt. Sein Gärtner G weiß hiervon. Dies ist A auch bewusst. Dennoch bittet er den G, vor Gericht auszusagen, dass beide am fraglichen Abend gemeinsam die Hecke geschnitten haben. G kommt dieser Bitte nach und sagt zu Gunsten des A aus.
In diesem Fall kommen beide Ansichten zu einer Strafbarkeit des A nach §§ 153, 26 StGB. Es liegt eine vorsätzliche rechtswidrige Haupttat durch G vor, zu der A ihn auch bewusst bestimmt hat.
- Nach der Literaturansicht ist der Tatbestand des § 160 Abs. 1 StGB nicht erfüllt.
- Die Ansicht von Literatur und Rechtsprechung nimmt hingegen eine Verdrängung des § 160 Abs. 1 StGB im Wege der Subsidiarität an.
2. Rechtswidrigkeit und Schuld
Bei der Rechtswidrigkeit und Schuld kommen die üblichen Aspekte in Betracht.
Vor allem aber folgende:
- Der Aussagende befindet sich im (rechtfertigenden) Nötigungsnotstand gemäß § 34 StGB
- Der Aussagende befindet sich im entschuldigenden Notstand gemäß § 35 StGB und handelt daher rechtswidrig
IV. Fazit
Hat man sich die möglichen Fallkonstellationen einmal vor Augen geführt, fällt es nicht mehr schwer, über die Strafbarkeit des Täters nach den beiden Ansichten zu entscheiden. So sind Sie für die Klausur bestens gewappnet.
Quellen
- Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Aufl., München 2014
- Kindhäuser, Urs: Strafrecht Besonderer Teil I, 6. Aufl., Baden-Baden 2014
- Wessels, Johannes/Hettinger, Michael: Strafrecht Besonderer Teil I, 38. Aufl., Heidelberg [u.a.] 2014