I. Grundlagen
Das Vertretenmüssen (§ 276 BGB) des Schuldners ist für viele zivilrechtliche Normen von Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Pflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB und die deliktische Haftung nach § 823 BGB.
Dem Grunde nach ist die Pflichtverletzung des Schuldners jede objektive Abweichung vom geschuldeten Pflichtenprogramm. Über das Vertretenmüssen (§ 276 BGB) wird diese Pflichtverletzung dem Schuldner zugerechnet.
§ 276 BGB legt fest, welches Verhalten sich der Schuldner insofern zurechnen lassen muss. Absatz 1 des § 276 BGB lautet:
Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechende Anwendung.
Verschulden bedeutet somit Vorsatz und Fahrlässigkeit. Sobald der Schuldner vorsätzlich oder fahrlässig handelt, handelt er schuldhaft. Ein solch schuldhaftes Verhalten hat er zu vertreten. Dieses Prinzip wird Verschuldensprinzip genannt.
Grundsätzlich hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn dies ausdrücklich normiert ist. Bei § 280 Abs. 1 BGB und anderen Normen ist zu beachten, dass das Vertretenmüssen (§ 276 BGB) vermutet wird und sich der Schuldner insoweit nur entlasten kann.
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II. Verschuldensfähigkeit
Die Verschuldensfähigkeit kann auch ausgeschlossen sein. § 276 Abs. 1 S. 2 BGB verweist insofern auf §§ 827 f. BGB. Deshalb sind Bewusstlose und Personen ohne freie Willensbestimmung sowie Kinder bis 7 Jahre nicht verschuldensfähig. Gem. § 827 S. 2 BGB ist Fahrlässigkeit jedoch nicht ausgeschlossen, wenn sich der Schuldner etwa in einen alkoholisierten Zustand versetzt hat. Auch die Beschränkung aus § 828 Abs. 2 BGB ist zu beachten.
III. Vorsatz
Eine Legaldefinition für Vorsatz besteht im Zivilrecht nicht. Etabliert ist jedoch folgende
Definition: Vorsatz ist Wissen und Wollen eines rechtswidrigen Erfolgs.
Hierfür reicht bereits bedingter Vorsatz (dolus eventualis). Oft stellen sich, wie im Strafrecht, Abgrenzungsfragen zur bewussten Fahrlässigkeit. Allerdings muss der Vorsatz nach der sog. Vorsatztheorie auch das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit umfassen. Im Ergebnis ist dies aber praktisch irrelevant, da es meist nicht an Fahrlässigkeit fehlt. Diese ist für das Vertretenmüssen (§ 276 BGB) ebenso relevant wie der Vorsatz.
IV. Fahrlässigkeit
Die Definition der Fahrlässigkeit findet sich in § 276 Abs. 2 BGB:
Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
Es handelt sich hierbei um einen objektiven Fahrlässigkeitsbegriff. Daher ist auf einen objektiven Schuldner in der Situation des tatsächlichen Schuldners abzustellen und nicht auf den konkreten Schuldner selbst. Daher ist es irrelevant, ob der Schuldner unerfahren ist, wegen persönlicher Probleme schludrig wird oder ähnliches, denn § 276 BGB schützt die Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Fahrlässigkeitsmaßstab vollkommen verobjektiviert ist. Es ist vielmehr auf den Verkehrskreis abzustellen, welcher für das Schuldverhältnis gilt. Der Schuldner muss insoweit den gewöhnlichen Anforderungen genügen. Bei ärztlichen Spezialbehandlungen hat der Schuldner etwa auch die Sorgfalt eines Spezialisten einzuhalten, selbst wenn er kein entsprechender Spezialist ist.
V. Grobe Fahrlässigkeit
In vielen Normen ist festgeschrieben, dass der Schuldner nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit haftet, z.B. in §§ 521, 599 BGB.
Definition: Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten müsste.
Grob fahrlässig ist etwa das Überholen bei dichtem Nebel und Rauchen im Bett.
VI. Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten
Häufig findet sich im Gesetz die Formulierung, dass der Schuldner nur für die Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten einzustehen habe, etwa in §§ 690, 1359 BGB. Dies schließt gem. § 277 BGB die Haftung für grobe Fahrlässigkeit jedoch nicht aus.
Dieser Sorgfaltsmaßstab ist subjektiv nach dem einzelnen Schuldner zu bestimmen. Für ihn gilt der tatsächliche Umgang mit seinen eigenen Sachen als Maßstab. Ist er also schusselig und verliert häufig Dinge, gilt dies auch, wenn er die eigenübliche Sorgfalt zu vertreten hat. Er stellt somit eine Haftungserleichterung dar.
VII. Abweichende Parteivereinbarung
Aus § 276 Abs. 1 BGB ergibt sich bereits, dass ein strengerer oder milderer Haftungsmaßstab bestimmt werden kann. Dies ist entweder gesetzlich oder durch Privatvereinbarung möglich.
Gem. § 276 Abs. 3 BGB kann ihm jedoch im Voraus die Haftung wegen Vorsatzes nicht erlassen werden. Auch finden sich diverse gesetzliche Beschränkungen dieser Haftungserleichterung, z.B. § 309 Nr. 7 lit. a, b BGB.
Quellen
- Brox, Hans / Walker, Wolf-Dietrich: Allgemeines Schuldrecht, 38. Auflage 2014.
- Brox/Walker, § 20 Rn. 2
- Musielak, Hans-Joachim / Hau, Wolfgang: Grundkurs BGB, 13. Auflage 2013.
- Medicus/Lorenz, § 31 Rn. 356