Grundsätzliche Bedeutung des Streitgegenstandes
Der Streitgegenstand ist in zahlreichen Konstellationen des Zivilprozesses von Relevanz, dennoch ist er nicht gesetzlich geregelt. Zudem ist in der ZPO nicht durchgängig von einem Streitgegenstand die Rede. Mitunter wird bspw. auch vom „erhobenen Anspruch“ oder der „Streitsache“ gesprochen. Diese Begriffe sind jedoch deckungsgleich.
Examenskandidaten begegnet das Problem um den Streitgegenstandsbegriff vor allem im Rahmen der Rechtskrafterstreckung, § 322 ZPO. Nach § 322 Abs. 1 ZPO sind Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden ist.
Dabei ist der Gegenstand des Rechtsstreits nach ständiger Rechtsprechung des BGH der prozessuale Anspruch, kein materieller (vgl. etwa BGH, Urt. v. 04.07.2014 – V ZR 298/13). Der Inhalt des prozessualen Anspruchs ist wiederrum der Streitgegenstand.
Aber auch abseits der Rechtskraft hat der Streitgegenstand Bedeutung, etwa im Rahmen der Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) oder der Klagehäufung (§ 260 ZPO). Über jeden Streitgegenstand darf immer nur einmal entschieden werden, um mit der Entscheidung Rechtssicherheit für alle Beteiligten herbeizuführen!
Beachte: Umfangreiche Ausführungen zum Streitgegenstand sind in Klausur und Hausarbeit nur bei Vorliegen von Problemen geboten.
Streit um die Definition des Streitgegenstandsbegriffs
Wie genau der Streitgegenstand begrifflich zu definieren ist, ist nach wie vor umstritten. Grds. wird der Streitgegenstand durch die Klage bestimmt. Der Streit rührt allerdings daher, dass der Kläger im Prozess einen Klageantrag stellt, der einerseits aus dem vorgetragenen Sachverhalt, andererseits aus der behaupteten Rechtsfolge besteht.
Beispiel: A erhebt Klage auf die Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen B. Im Klageantrag trägt er zunächst als zugrundeliegenden Sachverhalt vor, dass B ihm an einer Kreuzung die Vorfahrt genommen hat und er sodann mit seinem Fahrrad heftig gestürzt ist. Sodann behauptet er, ihm stehe in der Folge ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu.
Der Richter entscheidet im Prozess über diesen Klageantrag, weshalb dieser den Inhalt der späteren gerichtlichen Entscheidung bestimmt. Da dieser Antrag aber gewissermaßen „zweigeteilt“ (in den Lebenssachverhalt und den prozessuale Anspruch) ist, stellt sich die Frage, was genau der Streitgegenstand eines jeweiligen Verfahrens ist.
Lehre vom eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff
Diese Theorie stellt zur Bestimmung des Streitgegenstandes allein auf den Antrag im prozessualen Sinne ab. Bei einer Klage auf Schadensersatz, die sich auf mehrere Anspruchsgrundlagen stützt, läge nach dieser Theorie damit – auch bei mehreren materiellen Anspruchsgrundlagen – nur ein Streitgegenstand vor, da sich der Antrag selbst allein auf den Erlass eines Leistungsbefehls in Form eines Urteils stützt.
Lehre vom zweigliederigen Streitgegenstandsbegriff
Die herrschende Meinung geht dagegen von einem zweigliederigen Streitgegenstandsbegriff aus und bestimmt diesen nach dem prozessualen Antrag (dem Klagebegehren) sowie dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (dem Klagegrund).
Auch der BGH geht in ständiger Rechtsprechung von einem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff aus.
Unter dem Lebenssachverhalt ist dabei ein bei natürlicher Betrachtungsweise zusammenhängender Lebensvorgang zu verstehen, auf den ein Antrag gestützt wird – bezogen auf das obige Beispiel wäre das der Verkehrsunfall des A.
Streitentscheid
Insbesondere bei gleichlautenden Leistungsklagen käme die Lehre vom eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff zu einem unbilligen Ergebnis hinsichtlich der Rechtskrafterstreckung. Zudem zieht auch die Theorie vom eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff den Lebenssachverhalt als Auslegungshilfe heran. Folglich erscheint die Lehre vom zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff vorzugswürdiger.
So könnte ein Kläger, der einen Schadensersatzanspruch unter Berufung auf § 823 Abs. 1 BGB gerichtlich geltend macht, später nicht mehr eine erneute Klage unter Berufung auf vertragliche Schadensersatzansprüche erheben, da es sich nach der Lehre vom eingliedrigen Streitgegenstandsbegriff um denselben Streitgegenstand handeln würde.