In der heutigen Arbeitswelt erleben wir weitreichende Veränderungen, die Unternehmen vor schwierige Aufgaben stellen und das Personalmanagement zu einem entscheidenden und komplexen Bereich machen. Auslöser dieser Entwicklung sind greifbare Megatrends wie die digitale Transformation, New Work und Wertewandel, deren Auswirkungen durch die Pandemie beschleunigt wurden. Zusätzlich zu diesen disruptiven Veränderungen stellen globale Krisen, Versorgungsengpässe und der Mangel an Arbeitskräften weitere Herausforderungen dar.
Führungskräfte für Kommunikationsprobleme in multinationalen Kontexten zu schulen oder zu sensibilisieren ist sicher notwendig und leuchtet ein, da sie die Verantwortung für das Erreichen interner Unternehmensziele tragen und an diesem Punkt ohne eine entsprechende Thematisierung überfordert sind. In großen Unternehmen bedürfen Führungskräfte oftmals Experten, um die kulturellen Besonderheiten ihrer arabischen, asiatischen oder südamerikanischen Fachkräfte kennenzulernen und angemessen zu berücksichtigen.
Grundsätzlich gibt es zwei Herangehensweisen mit kulturellen Kommunikationsbarrieren umzugehen:
- Unternehmen können sich für eine homogene Mitarbeiterkultur entscheiden.
- Unternehmen können Regeln etablieren, die das Unternehmen lehren, mit Diversität umzugehen.
Beim ersten Weg bieten sich zwei Möglichkeiten an: Top-down oder Bottom-up. Gemäß des top-down Approach schreibt das Management der Personalabteilung vor, worauf bei der Einstellung ausländischer Mitarbeiter in kultureller Perspektive Wert zu legen ist. Hierbei erfolgt eine Homogenisierung der Unternehmenskultur von oben. Dabei werden Unternehmenswerte in Personalprozesse aufgenommen. 49 % der befragten HR-Professionals gaben an, auf diese Weise bereits zu arbeiten. Codes of Conduct, die bei 60 % der Befragten eingesetzt werden, verfolgen aber durchaus den gleichen Zweck.
Andererseits bekräftigten 37 % der befragten Personaler, Mitarbeiter im Sinne des bottom-up Approach bei der Festschreibung der Unternehmenswerte mitwirken zu lassen. Dadurch erfolgt eine Homogenisierung der Unternehmenswerte von unten. Da in der Umfrage Mehrfachnennungen möglich waren, ist auch eine Kombination beider Mechanismen möglich.
Ein Code of Conduct reiht sich theoretisch in die Liste der Managementinstrumente ein, die zur Homogenisierung von oben beitragen. In der Praxis ist der Code of Conduct jedoch mehr ein Managementinstrument als ein wichtiges Dokument in Personalauswahlprozessen. Gleichwohl müssen Personaler den Verhaltenskodex auch in Personalauswahlprozessen auf dem Radar haben.
Verschiedenste Phänomene des Wertewandels
Multinationale Unternehmen beschäftigen viele Mitarbeiter aus unterschiedlichen Ländern und in verschiedenen Ländern der Welt. Wenn der Kommunikationsaufwand aufgrund unterschiedlicher Herkunft steigt, bedeutet das, dass die Mitarbeiter über unterschiedliche Normen und Werte bezüglich des Arbeitsplatzes verfügen.
Die jeweils nationalen Unterschiede zwischen den Arbeitsbedingungen in China und Deutschland, die gesellschaftliche Akzeptanz von Kinderarbeit in Afrika, Asien, Europa oder Südamerika, selbst Themen die bisher als selbstverständlich galten, wie Korruption werden zu Themen der Personalabteilung, in dem Moment, wenn neue Mitarbeiter aus einem von Korruption geprägten gesellschaftlichen Umfeld in das Unternehmen integriert werden. Themen der Arbeitsplatzsicherheit, des kollegialen Umgangs, aber auch der Qualifikation von Bewerbern sind im globalen Kontext auch eine Frage der Kultur.
Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Sie haben einen chinesischen Kollegen eingestellt, der das Chinageschäft im Vertrieb unterstützen soll. Er rät seinem Vorgesetzten dazu, gemäß einem chinesischen Brauch allen Großkunden in einem roten Umschlag einen Barbetrag als Neujahrsgeschenk zu überreichen, anstelle der üblichen Neujahrsglückwünsche.
Ohne Frage ist dieser Vorschlag des chinesischen Mitarbeiters nicht aus der europäischen Kultur heraus zu erklären, sondern beruht auf der Kenntnis regionaler Sitten und Bräuche. Ein Code of Conduct kann für diesen Fall eine klare Verhaltensanweisung geben. Möglichkeiten, um einem Korruptionsverdacht entgegenzuwirken sind:
- Ein klares Verbot
- Ein Verweis auf eine entsprechende Richtlinie, die für das Unternehmen oder die Region gilt
- Ein oberes Limit für Bargeschenke
Eine entsprechende Regelung vermindert somit den Kommunikationsaufwand und reduziert das Risiko eines individuellen Fehlverhaltens, welches auch auf das Unternehmen zurückfallen kann.
Ein Code of Conduct bzw. Verhaltenskodex positioniert ein Unternehmen in unterschiedlich verlaufenden nationalen Diskursen über Sozialstandards, Arbeitsbedingungen, Menschen- und Kinderrechte und anderen Rechten von Minderheiten jedweder Art. Nationale Gesetze sind gleichsam Spiegel der nationalen Kulturen und stehen in globaler Perspektive durchaus im Widerspruch. Codes of Conduct sind daher unternehmerische Antworten auf die Herausforderungen, die durch die Globalisierung und durch den zunehmend sichtbaren demografischen Wandel in den westlichen Gesellschaften ausgelöst werden – sowohl im Inland als auch im Ausland.
Ein Versuch der Erklärung – das Bild der Risikogesellschaft
Ulrich Beck macht es in seinem Bild der Risikogesellschaft greifbar, indem er aufzeigt, dass Umwelt- oder Sozialskandale, die irgendwo auf der Welt geschehen, stets in unserer national geprägten Umwelt wahrgenommen werden. Das Äußere ist im Inneren präsent und löst Betroffenheit aus, weil die Risiken sichtbar werden und nicht länger durch national geprägte Grenzen gestoppt werden können. In der Folge entstehen politische Forderungen an Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.
Die USA hat beispielsweise auf den Enron-Skandal mit Gesetzen reagiert, die Unternehmen dazu drängen oder, wenn es sich um börsennotierte Unternehmen handelt, verpflichten, eine öffentliche Erklärung in Form eines Code of Conduct abzugeben. Unternehmerische Normen und Werte gelten schließlich global für das gesamte Unternehmen und koordinieren die Beziehungen zwischen den Stakeholdern.
Exkurs: Der Enron-Skandal ist die Geschichte vom größten amerikanischen Bilanzbetrug der US-Wirtschaft. 2001 war der global tätige Energiehandelsriese Enron pleite, weil die am Aktienmarkt eingeholten Kredite nicht mehr gedeckt waren. 60 Mrd. Dollar und 20.000 Jobs waren verbrannt. Der Konzern Enron, verkörpert durch seine damaligen Chefs Jeffrey Skilling und Gründer Kenneth Lay, steht für Arroganz und Aggressivität. Über 2.000 Partnerfirmen trugen letztlich die finanziellen Folgen.
Ein Code of Conduct ist viel mehr als nur eine nach außen gerichtete Positionierung des Unternehmens
Ein Code of Conduct beinhaltet Verhaltensweisen, die in unterschiedlichen Umgebungen und Zusammenhängen situationsspezifisch angewendet werden sollen, um ein faires, soziales, wirtschaftliches und nachhaltiges Verhalten der Gesamtunternehmung zu gewährleisten. Dieser einseitig gestellte Kodex ist nicht nur bindend für die Mitarbeiter eines Konzerns, sondern grundsätzlich für alle Stakeholder.
Ein Code of Conduct hat keine rechtliche Bindung, sondern fungiert als eine öffentlich glaubwürdige Selbstverpflichtung. 60 % der befragten HR-Professionals betrachten einen derartigen Verhaltenskodex als wichtiges Element im Strategiemix, um dem Wertewandel als Organisation intern zu begegnen und als wirksames Instrument zur Sicherung und Förderung eines guten Images – sowohl als öffentlicher Akteur im Rahmen der Corporate Social Responsibility, als Handelspartner und als Arbeitgeber.
Der in 2006 veröffentlichte Verhaltenskodex der DHL, der für über 480.000 Mitarbeiter weltweit Gültigkeit besitzt, hebt die gesellschaftliche Verantwortung in Form von Leitlinien des Respekts, der Toleranz, Ehrlichkeit, Offenheit sowie Integrität hervor.
Der Kodex ist heute ein Standardinstrument für multinationale, kleine und mittlere Unternehmen, um Verpflichtungen im Rahmen der Corporate Social Responsibility zu formalisieren und gleichzeitig um gesetzlichen Anforderungen zu genügen. Es handelt sich um ein einseitiges Managementinstrument, welches dazu dient, interne Verhaltensrichtlinien aufzustellen, zu überwachen und durchzusetzen, um ein bestimmtes einheitliches Verhalten der Gesamtunternehmung zu gewährleisten und um die jeweiligen gesetzlichen Verpflichtungen einzuhalten. Aus diesem Grund übernimmt das Unternehmen „staatliche Aufgaben“, indem Sanktionen und Strafen für Verhaltensverstöße festgeschrieben werden.
Die Hauptkritik richtet sich auf das Monitoring. Denn selbst wenn die durch den Verhaltenskodex etablierten Kontrollstrukturen funktionieren, liegt die Sanktionsmacht in der Freiwilligkeit und im Ermessen des Konzerns. Grundsätzlich erfolgt ein Monitoring durch das jeweilige Management oder durch externe Wirtschaftsprüfer. In den meisten Codes of Conduct ist auch eine anonyme Telefon-Hotline benannt, worüber Mitarbeiter Beschwerden über Fehlverhalten bzw. Verstöße melden können.
Was aber motiviert Unternehmen dazu, einen Verhaltenskodex einzuführen?
Bereits in einer OECD-Studie aus dem Jahr 1998 wurden 258 Beispiele des bis dato noch weitgehend unbekannten Führungsinstruments aufgelistet. Die Kodizes haben sich in multinationalen Unternehmen seither stark verbreitet.
Die globalen Markt- und Lieferantenstrukturen sind dafür verantwortlich, dass der Kommunikationsaufwand und die Koordinierungsanforderungen an multinationale Unternehmen enorm angestiegen sind.
Auch die nationale Gesetzgebung des Herkunftslandes hat Einfluss auf die Etablierung eines Verhaltenskodex. Die US Sentencing Guidelines der gleichnamigen unabhängigen Kommission der US-Regierung ermöglichen eine flexible Handhabung von Sanktionen gegen Unternehmen, die gegen Rechtsgrundsätze der Sicherheit, Fairness und Gleichheit verstoßen, in Abhängigkeit von der Kooperationsbereitschaft. Ein Code of Conduct etabliert ein Monitoring gegen derartige Rechtsverstöße mit der Folge, dass die Unternehmen bei Verstoß geringer bestraft werden. Der Sarbanes Oxley Act verpflichtet börsennotierte US-Unternehmen sogar zur Einführung eines Codes of Conduct. Dies hat weltweit zur Nachahmung beigetragen, sodass die Kodizes heute ein globales Phänomen sind, siehe IKEA:
Der Code of Conduct von IKEA, Iway genannt, fußt auf den Umweltskandalen der 80‘ und 90‘ Jahre in Deutschland und Dänemark. Um zu vermeiden, dass auch in zukünftigen Billy-Regalen Formaldehyd enthalten ist, wurden die Einkaufs- und Lieferantenprozesse mit Hilfe des Iway neu strukturiert, indem Nachhaltigkeit und gleichzeitig soziale Werte in das Geschäftsmodell integriert wurden.
Unternehmen sind verpflichtet, grundlegende soziale Rechte überall auf der Welt einzuhalten. Dabei sind nicht nur die jeweiligen nationalen Gesetze entscheidend, sondern Unternehmen orientieren sich an den sozialen Arbeitnehmerstandards der Hauptabsatzländer, die höher sind als die gesetzlichen Standards in den Produktionsländern. Große Unternehmen, die auch auf ihr Image achten müssen, erwarten auch von externen Lieferanten, dass die Sozialstandards eingehalten werden. Codes of Conduct von Unternehmen mit hohem Markenwert haben deshalb auch Strahlkraft auf kleine Unternehmen. Dies gilt insbesondere in längst globalisierten Branchen, wie:
- Metallindustrie
- Chemische Industrie
- Textilindustrie
- Holzverarbeitende Industrie
Der Code of Conduct von H&M behandelt Arbeitnehmerrechte, was insbesondere für Lieferanten von Bedeutung ist, die verpflichtet werden, Grundrechte sowie Abgaben nach den nationalen Gesetzen, existenzsichernde Entlohnung, eine maximale Wochenarbeitszeit von 48 Stunden und Urlaubsansprüche gemäß den nationalen Gesetzen zu garantieren. Außerdem sind Regelungen zu Sicherheit, Umwelt und Kinderarbeit enthalten. Im letzten Punkt finden sich auch Regelungen zum Monitoring. Diese Regelungen mögen im rein nationalen Kontext überflüssig sein. Global aufgestellte Unternehmen mit Personalabteilungen überall auf der Welt aber benötigen den Code of Conduct, um eine einheitliche Unternehmenskultur sicherzustellen.
Der Umgang unter Kollegen aus verschiedenen Ländern ist entscheidend für die erfolgreiche Zusammenarbeit. Das Unternehmen Linde betrachtet die kulturelle Vielfalt des Personals als Schlüsselressource. Gleichzeitig ist das Unternehmen aber auch an lokale Gesetze gebunden, die bestimmen, wie das Unternehmen die Mitarbeiter an den jeweiligen Standorten behandeln muss. Corporate Social Responsibility geht darüber hinaus und definiert ein Leitbild, für das sich Linde weltweit einsetzt. Das bedeutet auch, sich für Standards stark zu machen, die lokal keine gesetzliche Grundlage haben.
Beispiel aus dem Code of Conduct von Linde: Sie versuchen, für eine Position, die das Reisen in eine Reihe von Ländern umfasst, ein neues Teammitglied einzustellen. Der beste Bewerber, den Sie gesehen haben, ist eine Frau. Sie wissen, dass Geschäftsleute mit einer alt hergebrachten Verhaltensweise in einigen dieser Länder den Umgang mit Geschäftsfrauen nicht mögen und dass dies Geschäfte beeinträchtigen könnte. Was sollten Sie tun? Lösung: Eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist unzulässig. Der beste Bewerber bekommt die Aufgabe übertragen.
Der Code of Conduct ist, obwohl er als ein Standardinstrument für multinationale Unternehmen gilt, ein junges Instrument. Arbeitsrechtliche, ökologische und moralische Fragen rund um die Compliance-Thematik wurden historisch zuerst in das Dokument aufgenommen. Der Umgang mit Kollegen wird im Detail noch nicht formalisiert. Ein Code of Conduct ist aber ein geeignetes Instrument, um standortübergreifend Arbeitsbeziehungen formal zu definieren.Beleidigungen und Diskriminierungen bis hin zum Mobbing können im Rahmen des Verhaltenskodexes im Sinne einer arbeitnehmerfreundlichen Unternehmenskultur behandelt werden.
Das sind die 7 Erfolgsfaktoren für einen effektiven Verhaltenskodex
- Sie wissen bereits, dass ein Code of Conduct nur im Kontext der Globalisierung zu verstehen und anwendbar ist. Als öffentlich zugängliches Dokument repräsentiert der Verhaltenskodex gleichzeitig die Werte des Unternehmens, was sich letztlich in einem einheitlichen Verhalten äußert. Folglich müssen Codes of Conduct in die CSR-Strategie integriert werden und Visionen und Grundwerte dokumentieren.
- Die Publikation ist ein Medienereignis. Alle Mitarbeiter bekommen ein Exemplar ausgehändigt. Gleichzeitig muss der Code of Conduct in mehreren Sprachen vorliegen.
- Selbstverständlich ist auch das Management, die Prinzipien des Codes of Conduct zu beachten. Alle Führungskräfte sollten für die bestmögliche Umsetzung geschult werden.
- Für Konkretisierungen, die aus dem Code of Conduct hervorgehen, eignet sich die Erstellung eines Handbuchs.
- Im Einkauf und für Zulieferer besteht ein spezieller Informationsbedarf.
- Für das Whistleblow-Prinzip muss eine verantwortliche Stelle geschaffen werden.
- Die Einbindung externer Prüfer erhöht die Glaubwürdigkeit des Verhaltenskodexes.
Eine weitere spannende Fragestellung betrifft das Verhältnis internationaler Rahmenvereinbarungen mit Verhaltenskodizes, weil Unternehmen ihren Einsatz sehr unterschiedlich beurteilen. In diesem wissenschaftlichen Beitrag werden deshalb nicht nur die Instrumente Code of Conduct und die internationale Rahmenvereinbarung im Detail erläutert.