Der spielerische Mehrwert des Lernens oder was bringt die Gamifizierung des E-Learnings?
Von Kindesbeinen an lernt der Mensch spielerisch die Grundlagen für Konzentration, Kreativität und Selbständigkeit. Das Spiel ist dem Menschen in die Wiege gelegt und genau deshalb führt die Übertragung spielerischer Elemente in Lernprozesse zu einer erhöhten Motivation und besseren Lernkurve.
Gamification ist die Anwendung spieltypischer Elemente und Prozesse in spielfremdem Kontext. Es mag heutzutage ironisch erscheinen, dass ausgerechnet das Lernen in Schule, Ausbildung und Beruf in der klassischen Form ohne Spielelemente gedacht ist. Das gilt auch für moderne E-Learning-Konzepte.
Der Begriff Gamification in seiner heutigen Bedeutung geht auf Nick Pelling, einem britischen Spiele-Programmierer der alten Schule und IT-Fachmann, zurück. In 2002 widmete er sich der Frage, wie Spiele außerhalb der Box zu einem größeren Ertrag führen können und setzte mit diesem Wissenstransfer den Gamification-Prozess in Gang. Der Begriff „gamification“ wurde hingegen erstmals von Richard Bartle 1978 verwendet, setzte sich aber zu jener Zeit im öffentlichen Diskurs nicht fest.
Gamification macht digitale Lernumgebungen noch besser
E-Learning ist modern und zeitgemäß, weil es günstig und flexibel eingesetzt werden kann. Die so positive Kosten- und Nutzenargumentation überzeugt jedoch nicht jeden Personaler. Es wird betont, dass das Lernen an PC oder Smartphone sehr viel Selbstdisziplin von den Nutzern abverlangt, wohl wissend, dass Lernbereitschaft und ein bestimmtes Maß an Lerndisziplin auch in Präsenzlernformen vorausgesetzt werden, damit es funktioniert. Gamification ist daher ein Ansatz, das Lernen der Zukunft noch interessanter zu gestalten, damit die Freude am Lernen nicht verloren geht. Auch freiberufliche Dozenten und sogar Lehrer setzen heute verstärkt auf Spielsituationen im Seminar bzw. im Unterricht – ebenfalls ein Beleg für die Gamifizierung unserer Gesellschaft.
Ein zeitgemäßes E-Learning-System basiert auf einem Lern-Management-System – kurz LMS. Ein LMS ohne Gamification-Elemente stellt dem Anwender nach Registrierung alle Dokumente zur Verfügung, die zum Erreichen eines Lernziels erforderlich sind. Nach Ablauf einer bestimmten Zeit oder nach Bestehen oder Nicht-Bestehen eines bestimmten Tests verlässt der Anwender das LMS wieder bzw. kann der Anwender den Prozess von neuem starten.
Ein solches LMS benotet von oben nach unten. Am Ende wird geprüft, ob die erbrachte Leistung den Mindestanforderungen entspricht. Die herunterladbaren Dokumente sind lediglich in Bezug auf das individuelle Lernziel relevant und sind didaktisch ganz im Sinne des Lernziels konzipiert. Optionale Angebote, die von der Lernumgebung zusätzlich bereitgehalten werden, erlangen so nicht die Aufmerksamkeit des Nutzers. Auch die Dokumentation des Lernfortschritts durch das LMS selbst ist im Prinzip nicht notwendig, weil abschließend geprüft wird, ob das Lernziel erreicht worden ist.
Ein LMS hingegen, dass dem Anwender seinen Lernfortschritt aufzeigen kann, dass relevante Lerninhalte schrittweise einführt, dass den Anwender lobt oder belohnt, wenn ein Lerninhalt erarbeitet wurde, wird in der Summe der Eigenschaften die Anwender motivieren.
Die Gamifizierung von E-Learning hat aber zwei Seiten: ein gute und eine schlechte. Zuerst die gute Nachricht: Das Lernen der Zukunft wird mehr Spaß machen. Die schlechte Nachricht: Der Spaß darf nicht übertrieben werden, weil E-Learning den Wissenstransfer zum Ziel hat. Gamification im E-Learning bedeutet daher, die Balance zwischen Spaß und Lernerfolg zu halten. Da beides motiviert, wird ein gutes LMS den Lernerfolg stärker zur Motivation seiner Anwender nutzen als den Spaßfaktor. Der Produktkern ist eben nicht Unterhaltung, sondern Bildung.
3 geniale Vorbilder erfolgreicher Gamifizierung
Gamification ist ohne Frage ein Trend, der aber bereits auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Diese lässt sich am besten durch Vorreiter erzählen.
Kellogs (1910) – Gamification zur Kundenwerbung und Kundenbindung
Kellogs machte sich erstmals den Faktor Fun zunutze, indem die Firma das Bilderbuch „Funny Jungleland Moving Picture Book“ an all jene verschenkte, die aus einer Cornflakes-Packung heraus eine Postkarte an Kellogs sendeten. Kinder konnten in dem Buch die Körperteile von 4 wilden Tieren bewegen und frei kombinieren, so dass neue Tiergeschöpfe entstanden. Diese Spielidee war für nur 0,10$ erhältlich und wird als Vorläufer des Gamification-Produkts gesehen. Das Modell machte Schule und wird bis heute noch zur Kundenbindung und -werbung eingesetzt. Den Begriff Gamification gab es 1910 allerdings noch nicht.
Donald F. Roy (1959): Wissenschaftlicher Beleg für eine positive Mitarbeiterzufriedenheit
Der Soziologe Donald F. Roy zeigte in einem Aufsatz, dass Gamification in monotonen Arbeitsatmosphären eine belebende Wirkung auf die Belegschaft hat. Konkret hatte die Belegschaft einer Textilfabrik jeden Tag die Aufgabe, die Banane eines Mitarbeiters, der sie offiziell für die Frühstückspause mitbrachte, aber niemals dazu kam, sie auch zu essen, zu stehlen. Durch den Spaßeffekt derartiger kleiner Spiele, die in den Arbeitsalltag integriert wurden, konnte die Mitarbeitermotivation und damit verbunden die Produktivität der Mitarbeiter dauerhaft auf hohem Niveau gehalten werden.
Malone & Lepper (1980’er Jahre): Die Geburt des Formats Edutainment
Thomas Malone und Mark Lepper stellten sich in der florierenden Videospielindustrie die Frage, wie Spieler dazu gebracht werden können, kritisch und lösungsorientiert Aufgaben zu erledigen. Dabei zerlegten sie das Spielekonzept in seine Bestandteile. In den Videospielen „The Oregon Trail“ und „Where in the world is Carmen Sandiego?“ wurden Ziele, Wettbewerb und Geschichten benutzt, um die Spieler vom passiven zum aktiven Mitspielen und Lernen zu ermuntern. Obwohl ein paar Jahre zuvor erstmals der Begriff „gamification“ von Richard Bartle benutzt wurde, sprachen Malone und Lepper von Edutainment im Sinne einer neuartigen Verbindung aus Spiel, Bildung und Unterhaltung.
Malone und Lepper machten vor, worauf es auch heute beim Thema Gamification ankommt: Das Wissen und die Fähigkeit, die Bestandteile des Spiels zu kennen und sie auch auf fremde Kontexte zu übertragen.
Die 6 wesentlichen Elemente gamifizierter Lernanwendungen
Das Zerlegen des Spiels in einzelne Elemente ist der Schlüssel zum Verständnis von Gamification. Unabhängig vom Kontext sind nachfolgend aufgelistete Merkmale zentral für Motivation und Erfolg.
Quests
Dreh- und Angelpunkt sind Quests – kleine Aufgaben mit hohem Spaßfaktor, die das Lernen abwechslungsreicher gestalten. Quests werden vom System automatisiert an die Anwender einer Lernsoftware ausgesteuert. Sie können an einzelne Anwender oder Anwendergruppen adressiert sein und haben je nach inhaltlicher Ausgestaltung folgende Funktionen:
- Vertiefung oder Anwendung des erworbenen Wissens
- Wissensauffrischung vorangegangener Lektionen – didaktischer Reminder
- Mehr Abwechslung beim Lernen bzw. Unterhaltungswert
- Vernetzung mit anderen Anwendern
CodeCademy macht die Quests zum Zentrum des Lernfortschritts, indem Lektionen direkt als Quests formuliert werden, wie dieses Beispiel zeigt:
Lecturio bindet hingegen Quizfragen in die Videokurse ein. Hier ein Quest-Beispiel mit Bild für einen Medizinkurs:
Quests entfalten aber nur dann ihre Wirkung, wenn sie durch weitere Spielelemente ergänzt werden.
Der Fortschrittsbalken
Egal, ob es um das Lernen, die Arbeit oder um das Spiel geht. Anwender wollen jederzeit wissen, welchen Status sie haben. Fortschritt und Ende müssen deshalb dokumentiert sein. Bezüglich des Wie ist durchaus Kreativität gefragt. Die Spannbreite reicht von rational (z.B. in Prozenten) bis kreativ (z.B. Badges). Badges sind Auszeichnungen in Form von kleinen Grafiken, Bildern oder Titeln, die an den jeweiligen Fortschritt gekoppelt sind. Hat sich beispielsweise ein Anwender erfolgreich registriert, könnte er den Titel „Greenhorn“ und ein entsprechendes Icon erhalten.
Der jeweilige Fortschritt kann also ganz unterschiedlich dargestellt werden. Wenn eine Lerneinheit in mehrere Lernpäckchen aufgeteilt ist, so kann der Lernfortschritt entlang der Lernpäckchen visualisiert sein. Dies ist bei Lecturio der Fall.
Rangliste
Eine Rangliste ermöglicht es, den Fortschritt anderer Anwender einzusehen. Sie ermöglicht außerdem eine gezielte Kontaktaufnahme und etabliert wettbewerbsähnliche Rahmenbedingungen. Auf Lernplattformen sind diese Funktionen zwar durchaus denkbar, werden aber bislang kaum unterstützt.
Ganz klassisch ist dieses Element hingegen in Online Games integriert. Ähnlich zu Ranglisten fungieren Highscorelisten mit dem Unterschied, dass nur die Top 10 einer Lern- oder Spielgemeinschaft aufgelistet werden. Highscorelisten werden vor allem bei schulischen Kontexten angewendet, um demotivierende Effekte zu vermeiden.
Transparenz des Resultats und Epic Meaning
Warum sollten Nutzer einer Lernplattform eine Quest bestreiten? Sicherlich dann, wenn die Quest in einer bestimmten Art und Weise Sinn macht. Es müssen Anreize, wie eine kurzzeitige Teamaufgabe, eine Belohnung oder Ruhm, geschaffen werden, damit die Anwender motiviert sind, eine Quest zu machen. Je größer der Anreiz, desto erstrebenswerter und attraktiver ist eine Quest.
Bei Lernapplikationen wie Lecturio ist ein gewisser tieferer Sinn bereits vorhanden, weil die Quests den Wissenstransfer unterstützen. Verfolgen Quests hingegen einen reinen Spaßfaktor und stehen in keinem inhaltlichen Zusammenhang zum Lernobjekt, muss die Motivation, die Quest auszuführen, explizit benannt sein und hinreichend Anreize bieten. Das ist letztlich vergleichbar mit einer Werbeanzeige, die hinreichend Anreiz bieten muss, damit eine bestimmte Handlung ausgeführt wird. Im E-Learning sind Quests, die das Lernziel unterstützen, daher mit niedrigen Anreizen ausgestattet. Je weiter die Quests sich inhaltlich von Lernziel entfernen, desto stärker müssen die Anreize ausgestaltet sein.
Rückmeldung
Beendet der Anwender eine Quest, so sollte er darüber informiert werden. Zwischen der Aktion des Anwenders und der Rückmeldung darf nicht zu viel Zeit liegen, sonst verpufft der Spaßeffekt. Die Lecturio-Quizfragen werden abschließend zusammengefasst, so dass der Anwender sein Ergebnis sofort erhält. Auch nachträglich können die Ergebnisse aufgerufen werden.
Gruppenarbeit
Kann eine Rangliste zugrunde gelegt werden, so sind in der Regel auch Kommunikationsmöglichkeiten vorhanden. Gruppen-Quests fördern die Zusammenarbeit und das Netzwerk unter den Anwendern. Im „virtuellen Klassenzimmer“ können auf diese Weise sich selbstorganisierende Gemeinschaften (Community) entstehen, die hochmotiviert und anwendungsorientiert lernen und arbeiten.
Geht es ums Lernen, so können Gruppenaufgaben bereits durch die gemeinschaftliche Erfahrung Motivation und Sinn geben. Jedoch unterstützen die meisten Lernplattformen dieses Feature noch nicht. In der Game-Industrie gehören Gruppenaufgaben dagegen zum Standardrepertoire.
Im E-Learning-Bereich können Unternehmen, die ihre Mitarbeiter beispielsweise in Photoshop schulen lassen möchten, selbst Gruppenaufgaben geben und diese prämieren. Eine real bereits vorhandene Community interagiert und arbeitet im virtuellen Raum sinnvoller miteinander zusammen als lose Netzbekanntschaften. E-Learning-Dienstleister erarbeiten in der Regel zusammen mit den Kunden individuelle Lösungen, um derartige Projekte umzusetzen. Darüber hinaus bieten Foren oder forenähnliche Funktionen einen guten Kommunikationsrahmen, um Themen oder Gruppenaufgaben zu besprechen.
Fazit
E-Learning macht die betriebliche Weiterbildung im Unternehmen präsent. Vorbehalte gegenüber der Online-Fortbildung am Arbeitsplatz liegen in den Anforderungen von E-Learning-Angeboten an die Nutzer begründet. Dazu gehören eine erhöhte Selbstdisziplin und die Fähigkeit das Wissen anwendungsorientiert zu transferieren. Aus diesem Grund ist Blended Learning die zurzeit am meisten geschätzte Lernform unter Experten.
Unternehmen sollten Gamification als Tool begreifen, um Leistung und Spaß miteinander zu verbinden. Auch vor der E-Learning-Branche wird der Trend Gamification nicht Halt machen und so werden in naher Zukunft viel mehr gamifizierte Lernplattformen am Markt zu finden sein. Gamification erhöht die Motivation und sichert die Selbstdisziplin beim Lernen mit E-Learning-Plattformen. Quests dienen nicht nur dem Spielspaß, sondern können je nach inhaltlicher Ausgestaltung auch den Wissenstransfer unterstützen. Je stärker Gamification auf den Wissenstransfer gerichtet ist, desto eher werden gamifizierte E-Learning-Angebote eines Tages Blended Learning als erfolgreichste Lernform ablösen.
Als Arbeitgeber können Sie gegenüber Ihren Angestellten nun besonders punkten, wenn Sie sich, aufbauend auf den 6 Gamification-Elementen, ein Programm überlegen, dass Arbeit und Spaß zusammenbringt. Die Ausgestaltung der Quests liegt natürlich in Ihrer Hand. Sorgen Sie lediglich dafür,
- dass die Ergebnisse in Form einer Rangliste gemessen werden,
- dass der Einsatz belohnt wird und eine Bedeutung hat,
- dass über den Spielfortschritt an geeigneter Stelle berichtet wird,
- und dass darüber geredet werden kann.