Dafür empfehlen wir Ihnen vor allem liberalisierte, konstruktivistische Ansätze in der Erwachsenenbildung wie das situierte Lernen. Was das eigentlich bedeutet, wie das philosophische Konzept des Konstruktivismus überhaupt mit betrieblicher Weiterbildung zusammenhängt und wie Sie konkret konstruktivistische Impulse bei Weiterbildungen oder dem Career Counseling setzen, betrachten wir nun ausführlicher.
Weiterentwicklung überholter Lernansätze
Unter dem Begriff Konstruktivismus fassen Experten mehrere Strömungen der Philosophie des 20. Jahrhunderts zusammen. Obwohl die einzelnen Varianten teils sehr unterschiedlich sind, lässt sich der Konstruktivismus generell so definieren, dass der Betrachter selbst durch den Vorgang des Erkennens einen Gegenstand überhaupt erst als diesen erkennt, also selber konstruiert. Diese These wird im radikalen Konstruktivismus so weit ausgedehnt, dass die Schule allgemein bestreitet, objektive Realität wäre für einen Menschen zu erkennen. Sehr viel verbreiteter ist ja bekanntlich eher die umgekehrte Sichtweise, dass ein Gegenstand eben dieses oder jenes ist und der Betrachter den Gegenstand genau deshalb erkennt.
In den 90er Jahren hielt die philosophische Schule des Konstruktivismus Einzug in die Arbeitswelt.
Ausgehend aus Nordamerika setzten Pädagogen bei der Erwachsenenbildung immer stärker auf die Rolle der individuellen Wahrnehmung, das selbstständige Verarbeiten von Wissen und die praxisorientierte Anwendung. Das jeweilige Vorwissen und die Erfahrungen eines Mitarbeiters spielen beim konstruktivistischen Wissenserwerb also eine wichtige Rolle. Unter welchen Bedingungen ein Mitarbeiter erfolgreich lernt, hängt entscheidend von seinen Erfahrungen und seiner eigenen Wahrnehmung des Lernprozesses ab.
Besonderheiten des Lernens im Erwachsenenalter
Die Unterschiede des Lernverhaltens von Kindern und Erwachsenen sind bekanntlich immens. Erfolgreiches Lernen im Erwachsenenalter zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass Erwachsene vorzugsweise selbstständig lernen und sich dabei direkt praktisch ausprobieren sollten. Die Lerninhalte sollten mit dem Job-Profil zusammenhängen und neben reinem Faktenwissen rüsten sich Erwachsene am besten auch mit entsprechenden kognitiven, sozialen und materiellen Tools.
Die Realität sieht leider in vielen Betrieben ganz anders aus. Da werden die Mitarbeiter auf Weiterbildungen mit rein mentalem Wissen gefüttert, ohne einen Kontext zum Job erkennen zu lassen. Am Ende können Ihre Mitarbeiter einen Vortrag über die neue Software halten, scheitern aber bei der Umsetzung einfacher Anweisungen.
Situiertes Lernen beim Career Counseling
Setzen Sie stattdessen auf konstruktivistische Lernansätze und machen Sie das Wissen anwendbar für die alltäglichen Herausforderungen Ihrer Mitarbeiter. Die Technik des situierten Lernens hebt die Wirkungsweise von Lernumgebungen in den Vordergrund. Das wollen wir nun näher am Beispiel des Career Counselings betrachten.
Setzen Sie den Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Beratung bei Berufslaufbahnentwicklungen auf ein Problem, das für den Mitarbeiter selbst relevant und interessant ist. Betrachten Sie nicht nur die Bedürfnisse Ihres Unternehmens oder Vorgaben Ihres Chefs, sondern versuchen Sie sich in eine ganzheitliche Perspektive einzufühlen, die auch die individuellen Probleme, Wünsche, Werte und die Motivationshaltung des Mitarbeiters umfasst. Fordern Sie Mitarbeiter auf, sich selbstständig Gedanken über eine erstrebenswerte Berufsrolle zu machen, und schrecken Sie dabei auch nicht davor zurück, mit alten Unternehmenstraditionen zu brechen.
Selbstständiges Lernen fördern
Machen Sie sich bewusst, dass Mitarbeiter selbst Lust auf neue Inhalte und Herausforderungen bekommen sollten – und nicht, dass Sie als Personalentwickler einfach über Köpfe hinweg entscheiden. Sie helfen Mitarbeitern beim Entschlüsseln von Erfahrungen und Formulieren von wünschenswerten Veränderungen. Dabei hilft es, wenn Sie an dem Punkt ansetzen, wie der Mitarbeiter sich in Kontext zum Unternehmen positioniert und warum er so denkt.
Sehen Sie sich nicht als reinen Wissensvermittler, sondern als Berater im Lernprozess Ihrer Mitarbeiter.
Eifert ein Kollege bloß den anderen nach, verkennt dabei aber seine individuellen Stärken und Schwächen, ist es um seine zukünftige Berufslaufbahn aller Wahrscheinlichkeit nach nicht allzu erfolgreich bestellt. Ist ein Kollege dagegen ein mutiger Querdenker und äußert auch ausgefallene Karrierewünsche, kommen Sie ihm entgegen und am Ende profitiert Ihr Unternehmen nicht nur von einem besonders motivierten und lernbereiten Mitarbeiter, sondern vielleicht auch ein ganzer Unternehmenszweig von seinen Impulsen.
Neue Formen von Gruppenarbeit
Konstruktivistische Ansätze in der Erwachsenenbildung wie ein Fokus auf selbstständigen Lernprozessen bedeuten allerdings nicht, dass Ihre Mitarbeiter zu Einzelkämpfern werden. Ganz im Gegenteil, auch das Lernen in Gruppen funktioniert unter dem konstruktivistischem Blickwinkel besonders effektiv. Lerninhalte werden aus mehreren Perspektiven betrachtet. Mitarbeiter kommen mit ihrem individuellen Vorwissen zusammen und in einen authentischen und sozialen Austausch, bei dem Sie sich als Gruppe neues Wissen erarbeiten. Möglich ist es auch, dass Sie Ihre Rolle als Lehrenden an einen Lernenden vergeben.
Gerade beim Lernen in Gruppen sollten Sie sich zurückhalten. Sie werden überrascht sein, was für komplexe Probleme und Herausforderungen eine Gruppe meistern kann, wenn einzelne Kompetenzen zusammenkommen. Sie schaffen und initiieren Lernangebote und hilfreiche Werkzeuge. Anstatt einen festen Wissensschatz vorwegzunehmen, lassen Sie Mitarbeiter diesen selber abstecken und in ihrer Sichtweise und Sprache und in Hinblick auf ihren Job verstehen. Dabei beobachten Sie die Lernprozesse und greifen gegebenenfalls korrigierend ein.