„Unternehmensführung ist nicht die Beschäftigung mit Gegenwartsproblemen, sondern die Gestaltung der Zukunft.“ Daniel Goudevert, Autor und Ex-VW-Vorstand
Laut Ernst & Young beklagten bereits 2011 72% von 700 befragten mittelständischen Unternehmen in Deutschland die schwierige Suche nach qualifiziertem Personal. Viele gaben an, dass die Suche sich in den letzten Jahren massiv erschwert hat. 74% erwarteten sogar, dass sich dass Angebot an Fach- und Führungskräften noch weiter verringern wird.
Seit 2015 wissen wir, dass sich diese Prognose für viele Mittelständler bereits erfüllt hat. Vor allem für die mittelständischen Betriebe, die in ländlichen Gebieten, weit ab von den großen Ballungsgebieten ihren Sitz haben, erschwert sich der Kampf um qualifiziertes Personal erheblich.
Dazu kommen weitere Faktoren, wie ein geringer Bekanntheitsgrad und eine eher mangelnde Arbeitgeberattraktivität, die im Wettbewerb mit großen Konzernen um die sog. High Potentials oft problematisch für Mittelständler sind.
Darüber hinaus sind Personalabteilungen, sofern sie überhaupt vorhanden sind und das Management von Personalfragen nicht von der Geschäftsführung, dem Finanzvorstand oder einer kaufmännischen Leitung betrieben wird, gewöhnlich unterbesetzt. Für strategisches Personalmanagement – geschweige denn für ein Talentmanagement – ist oft keine Zeit.
Die zwei Mythen
Es existieren zwei Mythen, die hartnäckig die strategische Ausrichtung und den Umgang mit dem Talentmanagement im Mittelstand beherrschen. Diese falschen Annahmen erschweren nicht nur den Umgang mit dem Talentmanagement, sondern sie können langfristig große Nachteile für mittelständische Unternehmen bergen.
1. Mythos:
Talentmanagement sei in mittelständischen Unternehmen aus vielfältigen Gründen nicht notwendig. Denn die langfristige Besetzung von wichtigen Schlüsselpositionen ergebe sich ohne Weiteres in kleinen Unternehmen auf eine natürliche Art und Weise. Überschaubare kleine Organisationen würden daher kein Talentmanagement brauchen.
2. Mythos:
In mittelständischen Unternehmen funktioniere Talentmanagement auf die gleiche Art und Weise wie in den großen Unternehmen, jedoch nur mit geringerem, personellem Ausmaß. Talentmanagementsysteme könne man daher sich einfach von den großen Unternehmen abschauen.
Warum die zwei Mythen falsch sind
Prof. Dr. Armin Trost, der einen Lehrstuhl für Human Ressource Management an der Hochschule in Furtwangen inne hat, räumt schlussendlich in seinem Beitrag zum Thema Talentmanagement im Mittelstand mit diesen falschen Annahmen auf. Für ihn sind beide Mythen schlicht weg irreführend und falsch.
Nicht nur Big Player, sondern auch mittelständische Unternehmen können von einer strategischen Planung der Besetzung von Schlüsselpositionen profitieren. Schließlich geht es darum, den geeigneten Nachwuchs für zentrale Schlüsselpositionen erfolgreich und rechtzeitig zu besetzen. Und zwar dann, wenn der Bedarfsfall auftritt.
Natürlich ist die allgemeine Logik eines Talentmanagements im Mittelstand bekannt und auch gewiss mit der Logik in großen Unternehmen vergleichbar. Jedoch geht es hier, laut Armin Trost, weniger um die Logik und weniger darum, ob und wann talentierte Nachwuchskräfte gebraucht werden. Sondern es geht darum, dass die konkrete Umsetzung bzw. die ganze Herangehensweise erhebliche Unterschiede im Mittelstand aufweist.
Die Rahmenbedingungen und die damit verbundenen Optionen und Hindernisse eines erfolgreichen Talentmanagements in mittelständischen Unternehmen unterscheiden sich von denen in großen Unternehmen erheblich. Einerseits kann man den Mittelstand auf der Basis der Mitarbeiterzahl von großen Unternehmen unterscheiden.
Es ist aber nicht die Größe des Unternehmens, die hier als einziges Merkmal in Betracht gezogen wird. Es sind vor allem andere Eigenschaften, die den Mittelstand kennzeichnen, die sich durchaus von der Mitarbeiterzahl eines Unternehmens ableiten lassen (Trost, 2014).
Der feine Unterschied
1. Interne Transparenz
In mittelständischen Betrieben ist ein viel höherer Grad an interner Transparenz vorhanden als in großen Unternehmen. Die einzelnen Mitarbeiter kennen sich zumeist persönlich und umgekehrt hat die Geschäftsleitung ihre Mitarbeiter besser im Blick. Daher sind Talente, Mitarbeiter mit besonderen Potentialen und Karriereoptionen, leichter zu erkennen. Und für die Mitarbeiter sind die Ziele und Karrierewege im Internehmen ebenfalls besser erkennbar.
2. Flachere Hierarchie
In vielen mittelständischen Unternehmen haben die Mitarbeiter einen direkten Kontakt zur Geschäftsführung und umgekehrt auch. Dies ist vor allem auf die die geringere Anzahl von Mitarbeitern und von Hierarchieebenen zurückzuführen.
3. Ergebnisorientierung
Während in großen Unternehmen vor einer wichtigen Entscheidung umfassende Analysen und Überlegungen vorgenommen werden, wird in mittelständischen Unternehmen in Ergebnissen gedacht und nach vorhandener Erfahrung auch mal schnell gehandelt. Mittelständische Unternehmen weisen zumeist ein hohes Maß an Pragmatismus auf.
4. Fokussierung auf Kernkompetenzen
Selten ist in mittelständischen Unternehmen eine umfangreiche Expertise bei Themen, die keinen unmittelbaren Bezug zum Kerngeschäft erkennen lassen, anzutreffen. In den meisten Fällen gibt es einen starken Fokus auf die Kernkompetenzen des Unternehmens. Daher trifft man selten in mittelständischen Unternehmen z. B. einen Experten zum Thema Talentmanagement. Die Personaler sind in der Regel viel breiter aufgestellt.
5. Vertrauen
Ein großer Teil der mittelständischen Unternehmen wird von Unternehmensgründern bzw. Inhabern geführt. Anders als Vorstände in Großunternehmen tragen diese die gesamte Verantwortung für das Unternehmen. Dementsprechend spielt persönliches Vertrauen eine große Rolle bei der Besetzung von Schlüsselpositionen.
Natürlich können diese zusammengetragenen Eigenschaften auf ein mittelständisches Unternehmen in einem unterschiedlichen Maße zutreffen. Doch ergeben sie zusammen zwei logische Schlussfolgerungen im Hinblick auf das Talentmanagement im Mittelstand. Zum einen ergibt sich daraus die Möglichkeit für zwischenmenschliche Lösungen und die Prämisse der Einfachheit bei der Umsetzung des Talentmanagements in einem mittelständischen Unternehmen (Trost, 2014).
Wie sie vorgehen können
1. Definieren Sie Schlüsselpositionen
Prinzipiell kann dies im Rahmen eines moderierten Workshops erfolgen. Anders als in einem Großunternehmen müssen die Schlüsselpositionen und -funktionen nicht in einem großangelegten Projekt mit hoher Komplexität dargestellt werden.
Die Besonderheit für mittelständische Unternehmen liegt weniger darin, möglichst viele Postionen zu benennen, sondern vielmehr darin, bestimmte Positionen nicht als Schlüsselposition zu bestimmen. Das Ergebnis des Workshops sollte einfach sein und zum Schluss nicht mehr als drei Punkte umfassen, auf die sich die gesamte Geschäftsführung einigen kann.
2. Schätzen Sie den konkreten Bedarf der kommenden Jahre
Im Nachgang des Workshops sollte überlegt werden, wer hat welche Positionen inne und welcher Bedarf in kommenden Jahren sich ergeben wird. Lassen Sie Faktoren, wie Verrentung, Fluktuation etc. nicht außer Acht. Naturgemäß kann hier nur eine grobe Einschätzung gemacht werden.
3. Identifizieren Sie Nachwuchskräfte
Welche Mitarbeiter kommen als Nachwuchskräfte generell in Frage? Ziehen Sie dabei einfache Kriterien heran, wie z. B. Leistung, Leistungsentwicklung, Motivation, Persönlichkeit, etc. In einem Meeting mit der Geschäftsführung können anschließend die ausgewählten Kandidaten näher betrachtet und beurteilt werden.
4. Wählen Sie Talente aus
Wie zuvor angemerkt, sind in mittelständischen Unternehmen zwischenmenschliche Lösungen möglich. Daher braucht man an dieser Stelle keine aufwendigen Auswahlverfahren, Kompetenzprofile und persönliche Berichte von Führungskräften.
In persönlichen Gesprächen über Motivation, Karrierepräferenzen und persönlicher Situation der Kandidaten zusammen mit z. B. einer 10 minütigen Präsentation zum bestimmten Thema können Talente ausgewählt werden. Treffen Sie Ihre Wahl zusammen mit der Geschäftsführung. Der zukünftige Bedarf und ein 100 prozentiges Vertrauen in die Kandidaten spielen hierbei eine wichtige Rolle.
5. Führen Sie Mentoren und Mentees zusammen
Auch hier ist eine einfache zwischenmenschliche Lösung denkbar, anstatt auf formale Kriterien und Profilanalysen zu setzen. Lassen Sie potenzielle Mentoren und umgekehrt die Mentees ihre Wahl treffen. So schafft man von Anfang an eine persönliche Vertrauensbasis und ein Commitment. In Großunternehmen wäre dieser Lösungsansatz dagegen sehr aufwendig.
6. Beurteilen Sie das Potenzial und lassen Sie die Sie Ziele festlegen
Hier ist es wichtig, dass die High Potentials ein differenziertes Bild von ihren Stärken und Schwächen entwickeln. In der Regel werden umfangreiche Assessment-Center durchgeführt. Doch auch hier können einfache und zwischenmenschliche Lösungen herangezogen werden. Lassen Sie die High Potentials selbst Beurteilungen abgeben. Mentoren und Mentees können dazu gemeinsam Entwicklungsziele entwickeln und in regelmäßigen Abständen ein Feedback-Gespräch führen.
7. Die Leber wächst mit ihren Aufgaben
Anstatt die Kandidaten einfach nur ins kalte Wasser zu werfen, ist es besser bei der Vergabe von Aufgaben und Verantwortlichkeiten nach einem strukturierten Plan vorzugehen und nach und nach Aufgabenbereiche und Verantwortung zu erweitern. So hat jeder Kandidat bzw. Kandidatin eine faire Chance Potenziale zu entdecken und zu entwickeln und darüber in Feedback-Gesprächen zu reflektieren.
Ein strukturiertes Vorgehen hat den Vorteil eines besseren Überblicks über erbrachte Leistung, Ausschöpfung des Leistungspotenzials und Entwicklung des Kandidaten.
Quellen
Ernst & Young (2011): Agenda Mittelstand: Talent Management im Mittelstand – mit innovativen Strategien gegen den Fachkräftemangel
Silzer, R. F./Church, A. H. (2009): The pearls and perils of identifying potential, in: Industrial and Organizational Psychology: Perspectives on Science and Practice
Trost, A. (2014): Talentmanagement im Mittelstand, in: Schwuchow, K./Gitmann, J. (Hrsg.): Personalentwicklung: Themen, Trends, Best Practices 2014: Freiburg, Haufe