Die aktuelle Entwicklung
Trotz eines Trends zu flexibleren Arbeitszeiten, zeigt der OECD Better Life Index auf, dass in Deutschland 5 Prozent der Berufstätigen immer noch sehr lange Arbeitszeiten in Kauf nehmen müssen. Dies ist zwar geringer im Vergleich zu unseren Nachbarn in der Schweiz mit 6,7 Prozent und Österreich mit 7,2 Prozent, aber dennoch höher als in 15 anderen EU-Ländern. Zum Beispiel erreichen die Niederlande hier eine bemerkenswert niedrige Quote von nur 0,4 Prozent.
Gehören auch Sie zur wachsenden Gruppe derer, die unerledigte Arbeit mit nach Hause nehmen? Lesen Sie anstelle eines guten Romans eher die neuesten Fachartikel Ihrer Branche? Pflegen Sie Ihre beruflichen Kontakte auch in der Freizeit? Die technische Entwicklung und der wachsende Druck im Erwerbsleben haben zu einer immer stärkeren Entgrenzung zwischen Privatleben und Job geführt.
Die meisten Menschen machen hohe Zugeständnisse an die Arbeit, opfern ihr Teile Ihrer Freizeit und stellen sie über die eigenen Bedürfnisse und die von Freunden und Familie. Denn, so glauben wir, es steht ja kein Job auf dem Spiel, wenn wir beim Grillabend noch kurz eine Mail verschicken, oder mit der Kollegin am Telefon das Projekt besprechen, während wir dem Junior beim Fußballspielen zusehen. Häufig erkennt man zu spät, dass man zwar seine Stelle behalten, aber den Ehepartner verloren hat. Oder seine Gesundheit geopfert. Vielleicht auch Beides.
Welche Lehre die nachwachsende Generation daraus gezogen hat
Die Generation Y, die die heute 20- bis 30jährigen umfasst, hat ihre Eltern genau beobachtet. Sie haben sie wahrgenommen, die Väter, denen klar wurde, dass sie die Kindheit ihrer Tochter verpasst haben, als diese stolz mit einem Führerschein in der Hand nach Hause kam. Die Mütter, die neben dem Haushalt, den Kindern und ihrem Halbtagesjob so selten Zeit für sich selbst gefunden haben, dass mancher Sohn im Glauben aufwuchs, sie hätten weder Interessen noch Freundinnen, und außerdem seit Jahren nicht geduscht.
Sie hat außerdem eigene Erfahrungen mit dem Erwerbsleben gemacht: Nach dem stressigen G8-Abitur kämpfte sie sich durch das verschulte Studium, in dem jeder fünfte Nachwuchsakademiker bereits zu chemischen Leistungssteigerern von Koffein bis Ritalin greift, wie eine Studie der Mainzer Johannes Gutenberg Universität ergab . Anschließend sind sie Praktikantinnen, dann Projektmitarbeiter in befristeter Anstellung, ständig im Prekariat.
Wozu das alles? Was bleibt am Ende? Die Generation Y („Why“) hat daraus ihre Schlüsse gezogen: Geld und Karriere allein machen nicht glücklich. Warum also sollte man dafür so viel vom persönlichen Zeitbudget opfern? Die Familie, die eigene Gesundheit, schlicht das, was das Leben lebenswert macht? Nicht einmal die relative Sicherheit, die die Eltern sich durch ihre Priorisierung der Erwerbsarbeit erkauften, hat der Kapitalismus seinem Fachkräftenachwuchs noch anzubieten.
„Eigentlich ist der Begriff Work-Life-Balance für diese Generation schon falsch, denn darin steht das Wort für Arbeit an erster Stelle – genau das wollen sie nicht„, sagt Generationenexperte Ralf Overbeck im Interview mit der Deutschen Welle. Diese Einstellung der jungen Arbeitnehmer kann auch für die Älteren eine Chance zur Veränderung sein. Denn letzten Endes: Leben Sie, um zu arbeiten? Oder arbeiten Sie, um zu leben?
Wird der Arbeitsmarkt die Generation Y verändern – oder die jungen Menschen den Arbeitsmarkt? Möglicherweise ist die Frage falsch gestellt. Denn mit der zunehmenden Diffusion der Arbeit ins Privatleben hinein kann auf Dauer niemand glücklich werden. Wer, wenn nicht die Führungskräfte, die heute im Management tätig sind, könnten eine nachhaltige Veränderung bewirken? Gute Gründe dafür gibt es viele.