Die verzerrte Selbstwahrnehmung der Unternehmen
Thomas Sattelberger gehört zur alten Garde der Personaler und ist Vorsitzender der HR-Allianz. Es sieht in Zukunft vor allem ein Problem auf die deutsche Wirtschaft zukommen:
Deutschland droht, in eine Sandwichposition zwischen China, dem zukünftigen Maschinenhaus der Welt und den USA als Digital House der Welt zu geraten.
Der HR-Experte ruft dazu auf, sich den Herausforderungen der Industrie 4.0 zu stellen, damit der deutsche Arbeitsmarkt auch im neuen Zeitalter wettbewerbsfähig bleibt.
Eine Studie der Staufen AG vermittelt unterdessen eine sehr selbstbewusste Einschätzung von 140 befragten Industrieunternehmen aus Deutschland.
Bei der Frage, welches Land am besten auf die vierte Industrierevolution vorbereitet ist, platzierte die Mehrheit Deutschland an erster Stelle.
Bei der Frage nach der Umsetzung vermitteln die Ergebnisse jedoch ein anderes Bild. Immerhin 14 Prozent der Unternehmen streben operative Einzelprojekte der Industrie 4.0 an. 39 Prozent der Befragten nehmen jedoch nur eine Beobachterrolle ein, während 34 Prozent sich noch nicht konkret mit dem Thema auseinandergesetzt hat.
Sattelberger sieht außerdem nur wie Ingenieure, Betriebswirte und Informatiker die technologischen Entwicklungen vorantreiben. Während diese Branchen sich mit der Vernetzung, Digitalisierung und Globalisierung beschäftigen, hält der HR-Bereich kaum zukunftsweisende Antworten parat.
Rolle der Personaler
Das Personalwesen sollte einen Neuerungsvorgang so schnell wie möglich in Gang setzen. Ansonsten sieht der HR-Experte die Gefahr, dass Personalabteilungen zu Reparaturbetrieben verkommen.
Vor allem die Verantwortung für den Aufbau neuer Formen der sozialen Arbeitswelt weist Sattelberger seinen Kollegen zu.
Dabei sollten sie darauf achten, dass Industrie 4.0 nur einen bestimmten Teil der Wirtschaft betrachtet. Doch das Personalwesen sollte neben der Digitalisierung ebenso die Aspekte Demografie, Migrationswellen und Wertewandel mit einfließen lassen.
Gewarnt sei jedoch davor, die Mitarbeiter nicht von Anfang an mit einbeziehen. Daraus könnte Reparaturarbeit am Menschen folgen. Diese könnte zur Behinderung der gewollten und notwendigen Neuerungen führen.
Personaler bedienen sich immer noch der Logik industrieller Massenfertigung, obwohl sie die technologischen und sozialen Kräfte der digitalisierten Arbeitswelt längst kennen.
Dadurch werden bestehende Verhältnisse gefestigt und die Entdeckung kreativen Potentials verhindert.
Was ändert sich
Industrie 4.0 bedeutet nicht, dass neue Produktionssysteme alle Aufgaben erledigen. Der Anteil einfacher und manueller Tätigkeiten wird jedoch geringer.
Es wird eine deutliche Umwälzung durch die Interaktion mit intelligenten Maschinen geben, welche die Automation im Berufsalltag noch mehr steigert. Die Aufmerksamkeit wird dadurch verstärkt auf Koordination der Abläufe gelenkt.
Die bisher klare Abgrenzung zwischen Produktions- und Wissensarbeit wird aufgehoben. Arbeit wird zeit- und ortsunabhängig.
Zentralistische Führung hat deshalb ausgedient. In Expertenkreisen spricht man von der „Demokratisierung der Produktion“.
Auch Talent wird diverser definiert sein. Das Souveränitätspotenzial des einzelnen Mitarbeiters erhöht sich immer mehr.
Informations- und Telekommunikationstechnologien, Automatisierungstechnik und Software schließen sich zusammen.
Diese zunehmende Digitalisierung birgt einige Risikofaktoren. Zum Beispiel die Entfremdung der Arbeit und den Ausschluss weniger qualifizierter Arbeitskräfte.
Lösungsansätze
Engagierte Unternehmen sollten daher in den Aufbau einer fortschrittsfähigen und gesunden Arbeitswelt investieren.
Kommunikation muss geregelt und eigenverantwortliche Entscheidungen gefällt werden. Innovationen sollten zeitnah in den Arbeitsalltag eingebunden und angewendet werden.
Vor allem interdisziplinäre Fähigkeiten der Mitarbeiter sind von nun an begehrt. Sie müssen sich auf anspruchsvollere Tätigkeiten bezüglich Organisation und Technologie einstellen.
Aus- und Weiterbildungen sollten sich ebenfalls an die modernen Ansprüche anpassen. Besonders in Zusammenarbeit mit der Industrie lassen sich entsprechende Lösungen für die Anforderungen der neuen Arbeitswelt entwickeln.
Deshalb wären Partnerschaften zwischen Unternehmen und Hochschulen sinnvoll. So kann man den Praxisanteil der Ausbildung erhöhen.
Sattelberger empfiehlt außerdem nachdrücklich, die Erkenntnisse der Industriesoziologie und Arbeitswissenschaften einzubeziehen.
Fazit
Die Arbeitswelt geht in eine neue Phase über. Dadurch kommen Veränderungen auf die Unternehmen und deren Personalabteilungen zu. Beunruhigend muss das nur auf diejenigen wirken, die sich nicht entsprechend auf diesen Wandel vorbereiten.
Unternehmen, die der Realität ins Auge sehen, klare Lösungen finden und sich offen gegenüber Innovationen zeigen, werden den Schritt zur Industrie 4.0 erfolgreich meistern.
Auch Personaler sollten sich eigenverantwortlich zeigen. Denn sie sorgen dafür, dass Mitarbeiter optimal auf die zahlreichen Neuerungen vorbereitet und eingebunden werden. Denn nur in Kooperation mit seinen Arbeitnehmern kann ein Unternehmen erfolgreich bleiben.
Quellen
Studie: Deutsche Wirtschaft hält sich für „Industrie 4.0“-Weltmeister
Interview: „Personaler müssten Treiber sein, hinken aber hinterher“