Gedächtnis Fähigkeit des Gehirns, Informationen so zu speichern, dass sie später wieder ins Bewusstsein zurückgerufen werden können. Dabei unterscheidet man folgende Vorgänge:
1. Lernen (Informationsaufnahme)
2. Speicherung von Gedächtnisspuren (Engramme)
3. Erinnern (Abgabe und Ausnutzung der gespeicherten Informationen).
Obwohl man bisher in keinem bestimmten Bezirk des Gehirns oder des Nervensystems Gedächtnisspuren nachweisen konnte, scheint es festzustehen, dass begrenzte Regionen für das Lernen und Behalten eines bestimmten Vorgangs wesentlich sind. Auf jeden Fall gehört das Gedächtnis zu den Grundeigenschaften des sozialen Lebens. Man unterscheidet zwischen der Merkfähigkeit (Kurzzeitgedächtnis) und der Erinnerungs- oder Reproduktionsfähigkeit (Langzeitgedächtnis).
Die Gedächtnisstörungen reichen von der zeitlich begrenzten Gedächtnislücke (Amnesie) - z. B. nach einer Gehirnerschütterung - bis zum hochgradigen Gedächtnisausfall. In den allermeisten Fällen handelt es sich um organische Hirnschäden wie Hirnverletzungen, Arteriosklerose des Gehirns, Gehirngeschwülste, Alkoholismus, Gehirnerweichung und multiple Sklerose. Gedächtnisstörungen können, besonders wenn sie von kurzer Dauer sind oder nur bestimmte Inhalte betreffen, psychogener Natur sein (Neurosen, Hysterie); man spricht dann von einer Verdrängung. Unter starkem Gefühlsdruck - Angst, Erregung, Erwartung, Spannung usw. - können Gedächtnisinhalte verfälscht werden, d. h., die Erinnerung wird illusionär .umgebaut
Die Leistung des Gedächtnisses als Speicher mit abrufbaren Informationen beruht auf mannigfaltigen und umfangreichen Stoffwechselvorgängen in den Ganglienzellen von Groß- und Kleinhirn. Schon bei normaler geistiger Tätigkeit im Wachzustand werden in jeder Zelle des Gehirns in einer Sekunde etwa 15000 Eiweißmoleküle umgebaut. Trotz Aufdeckung zahlreicher biochemischer und elektrophysiologischer Vorgänge ist es noch immer ein Geheimnis, wie die einzelnen Prozesse miteinander gekoppelt werden und wie die Auswahl des zu Verarbeitenden erfolgt. Vermutet wird, dass die Information in Formzirkulierender Erregung gespeichert wird. Dabei bewirkt die immer wiederkehrende Erregung die Neubildung von Synapsen (Nervenumschaltstellen) bzw. Veränderungen an bereits vorhandenen Synapsen. Eine Aktivierung dieser Synapsen ermöglicht ein Abrufen der gespeicherten Information. Als alleinige Erklärung für die Funktion des Gedächtnisses sind diese Ansätze jedoch nicht ausreichend. Diskutiert wird weiterhin eine Beteiligung von Makromolekülen mit einem Fett- und einem Kohlenhydratanteil (Ganglioside). Lernprozesse scheinen stets mit dem Auf- und Umbau dieser Stoffe in den Membranteilen des synaptischen Spaltes verknüpft zu sein; dadurch entstehen spezifische Membranmuster, die mit der Speicherung der Inhalte verknüpft sind. Auch die Bildung bestimmter Eiweißstoffe wird in diesem Zusammenhang diskutiert. Neben dem individuellen Gedächtnis jedes einzelnen Geschöpfs gibt es auch ein angeborenes, ererbtes Gedächtnis. Dieses genetische Gedächtnis umfasst ganze Verhaltensmuster, die sich eindrucksvoll sowohl im Instinktverhalten neugeborener Tiere als auch in den elementaren Reflexen des neugeborenen Kindes (Schluck-, Saug-, Klammerreflex usw.) zeigen. Derart programmierte Handlungsabläufe oder »Schablonen« sind für die Erhaltung der Einzelwesen und der ganzen Art unerlässlich. So gesehen sind alle Zellen des Körpers, ganz besonders die Geschlechtszellen, Gedächtnisträger. Das erweist sich während der Befruchtung, wenn beide Keimzellen das Gedächtnis für den Bauplan des neuen Organismus entfalten. Das Gedächtnis ist als Arbeitsanweisung für Zellen oder Zellverbände eine Grundeigenschaft des Lebens. Es ist aber auch eine unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung des menschlichen Geistes und damit der ganzen Kultur.
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