Neurose Sammelbegriff für zahlreiche psychische Krankheiten und Störungen, denen nach derzeitigem Kenntnisstand keine unmittelbaren organischen Ursachen zu Grunde liegen, sondern die ihre Wurzeln meist in der gestörten Verarbeitung von Konflikten haben. Man kann daher auch sagen, dass Neurosen die ernsthaften Konflikte, die eine Persönlichkeit bedingen, widerspiegeln. Neurosen gehören zu den häufigsten Gesundheitsstörungen des Menschen; man kann davon ausgehen, dass rund 10 Prozent aller Menschen davon betroffen sind. Sie treten bei Frauen häufiger auf als bei Männern, in den unteren Sozialschichten häufiger als in den oberen. Neurosen haben etwas mit Erleben und Gefühlen, mit Trieben und Konflikten zu tun und beruhen im Grunde darauf, dass es vielen Menschen nicht gelingt, die Lösung ihrer Probleme mit den eigenen Vorstellungen und vor allem mit den Ansprüchen, die sie an sich selbst stellen, in Einklang zu bringen. Eine in solchen Fällen häufig angewandte Strategie ist die Verdrängung, bei der die Betroffenen dem Konflikt - bewusst oder unbewusst - aus dem Weg gehen, statt sich ernsthaft mit ihm auseinander zu setzen. Sie verlagern den quälenden Zwiespalt gewissermaßen ins Unterbewusstsein, wo er jedoch weiter arbeitet und krankhafte Erscheinungen verursachen kann. So führen die innere Widersprüchlichkeit und die Fehlverarbeitung von Erlebnissen bei empfänglichen Menschen zu höchst ungewöhnlichen Verhaltensweisen, die in keiner Weise geeignet sind, die zu Grunde liegenden Probleme in den Griff zu bekommen.
Je nachdem ob körperliche oder seelische Symptome vorherrschen, unterscheidet man zwischen Organneurosen und Psychoneurosen.
Bei den Organneurosen treten in bestimmten Organen (Herz, Magen, Geschlechtsorgane usw.) abnorme Empfindungen auf, denen keine erkennbaren krankhaften Veränderungen zu Grunde liegen. Allenfalls lassen sich funktionelle Störungen nachweisen, für deren Zustandekommen das vegetative Nervensystem verantwortlich ist. Hierher gehören unter anderem die Unfall- und Rentenneurosen, die auf die Erlangung materieller Vorteile abzielen. Die Anzeichen sind so vielgestaltig und abwechslungsreich, dass eine Aufzählung unmöglich ist; sie reichen von Herzklopfen und Magendruck bis zu Stottern, epilepsieähnlichen Anfällen und Lähmungen einzelner Gliedmaßen. Organneurosen neigen zu chronischem Verlauf, doch kommen auch spontane Heilungen vor. Als Behandlung kommt nur eine Psychotherapie in Betracht, die gegebenenfalls durch geeignete Hilfsmethoden (Massage, Gymnastik, Atemübungen usw.) unterstützt werden muss.
Psychoneurosen sind, wie schon gesagt, psychisch bedingte Leiden, die in erster Linie zu seelischen Erscheinungen führen. Man unterscheidet dabei verschiedene Formen: Die Angstneurose ist ein Zustand der Erwartung bedrohlicher und voraussichtlich unüberwindlicher feindlicher Ereignisse. Je nach Ausprägung spricht man von Platz-, Errötungs-, Verletzungs-, Empfängnis- und Krebsangst. Den schwersten Grad einer Neurose stellt jedoch die Zwangsneurose dar. Zwangsneurotiker versuchen durch verschiedene Handlungen (Waschen, Zählen, Schlucken, Blinzeln, Grübeln), ihre Ängste zu beschwichtigen und die Konsequenzen ihrer quälenden Gedanken zu verhindern. Durch ihre übersteigerte Gewissenhaftigkeit und Entschlussunfähigkeit kommen die Betroffenen nicht zum Handeln.
Die neurotischen Depressionen sind durch Verlust der Freude und der Leistungsfähigkeit gekennzeichnet. Auch die Sucht wird zu den Psychoneurosen gezählt.
Im Unterschied zu den Psychosen (Geisteskrankheiten) besteht bei einer Neurose jedoch keine elementare Realitätsverkennung, d. h., den Betroffenen ist ihre Neurose bewusst oder kann ihnen, z. B. im Rahmen einer Psychotherapie, bewusst gemacht werden. Bei der Behandlung, die nur dann sinnvoll ist, wenn beim Neurotiker ein subjektiver Leidensdruck und eine Therapiemotivation bestehen, kann deshalb oft auf Medikamente verzichtet werden.
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